Mit dem öffentlichen Bekenntnis „Ich bin schwul – und das ist auch gut so!“ katapultierte sich im Juni 2001 der bis dahin überregional eher unbekannte SPD-Politiker Klaus Wowereit im Berliner Landeswahlkampf in den Mittelpunkt der medialen Aufmerksamkeit. In zahlreichen Nachrichtensendungen und Zeitungsartikeln wurde eben jener Satz zitiert. Damit schaffte er es, innerhalb kürzester Zeit den Fokus der Medien auf sich selbst als Kandidaten, seine Partei und den beginnenden Wahlkampf zu lenken. Es darf allerdings angenommen werden, dass dieser spontan wirkenden Satz wohl kalkuliert im Vorfeld mit seinen persönlichen Berater:innen abgesprochen war.
Diese Sätze stammen aus meiner Bachelorarbeit aus dem Jahr 2007. Thema meiner Arbeit: „Die PR-Strategien politischer Medienberater im modernen Wahlkampf“. Gäbe es nämlich eine Partei, die ich zu 100 Prozent unterstützen wollen würde, wäre ich so gern politische Medienberaterin geworden. Aber zurück zu dem Thema meiner Bachelorarbeit:
Zunächst einmal beschäftigte ich mich damit, was einen modernen Wahlkampf ausmacht.
Moderner Wahlkampf (und das hat sich mit der Herausbildung der neuen Medien eher noch verstärkt) bedeutet eine vermehrte Zunahme von mediengerechten Darstellungen und Inszenierungen der Politiker:innen und Parteien. Sei es eben durch ein kurzes prägnantes Statement, das – wie im Fall Wowereit – Kultcharakter erlangen kann, oder durch Parteitage, die wie eine große Samstagabendshow für die Medien inszeniert werden. Daneben ist ein gewisses Mediencharisma für die Spitzenkandidat:innen zu einem entscheidenden Faktor im Wahlkampf geworden. Kampagnen sind zunehmend auf das Image und die Personen der Partei ausgerichtet. Wobei die Konzentration auf die Kandidat:innen keine neue Erscheinung ist.
Schon die PR-Strategien bei Wahlen von Brandt oder Adenauer waren auf die Spitzenkandidaten zugeschnitten. Dennoch hat die Personalisierung in den meisten modernen Gesellschaften an Bedeutung gewonnen. Politische Inhalte sind heute kaum ohne Personalisierung vermittelbar. Personen symbolisieren Sachverhalte, Kompetenzen und Eigenschaften und simplifizieren die umfangreichen und vielschichtigen politischen Ansätze. Dadurch, dass die Zahl der Wechselwähler:innen steigt, nimmt auch die Bedeutung des kurzfristigen Faktors „Kandidat:in“ zu. Die Strategie der Personalisierung zielt deshalb vor allem auf die immer größer werdende Gruppe der Wechselwähler:innen ab. Deshalb hängt die individuelle Wahlentscheidung zunehmend von der persönlichen Sympathie oder der Antipathie gegenüber dem oder der Spitzenkandidat:in ab.
Kandidat:innen werden vermehrt nach ihren politikfernen Eigenschaften beurteilt, wie Aussehen, Humor oder Charisma. Das Image der Kandidat:innen und ihr Mediencharisma, besonders ihre Ausstrahlung im Medium Bewegtbild, sind bestimmend für den Charakter der betreffenden politischen Kampagnen. Deshalb interessierten sich Medien gern für unpolitische, private Eigenschaften eines oder einer Politiker:in. Bei der Boulevardisierung der Politik wird die gesamte Person des/der Spitzenkandidat:in mit seiner/ihrer Ehe, Hobbys, Kindern, Haustieren und Vergangenheit in den Wahlkampf eingebunden. Traditionelle Kompetenzmerkmale von Politiker:innen reichen heutzutage nicht mehr aus. Wer in der Politik Karriere machen möchte, für den wird zunehmend Medienkompetenz wichtiger.
Denkt nur einmal an Barack Obama, an seine entzückende Frau, seine ebenso entzückenden Kinder, selbst sein Hund war während seiner Präsidentschaft von medialem Interesse und natürlich seine Kindheit in Hawaii, seine Wurzeln in Afrika etc. In den USA ist professionelle Medienarbeit schon lange ein zentraler Bestandteil der großen Wahlkampagnen.
Gerade Barack Obama hat den Wahlkampf aber nochmals auf eine neue Stufe gehoben, indem er die neuen Medien gewinnbringend für sich einsetzen konnte. In Deutschland sind die Versuche via Social Media zu kommunizieren und Wählerstimmen zu generieren eher stümperhaft und werden von den Politiker:innen eher als „muss man jetzt auch machen“ anstatt als wirkliches Engagement gesehen, was man daran sieht, dass die meisten Facebook- und Twitteraccounts nach Beendigung des Wahlkampfs bzw. bei einer Wahlniederlage häufig einfach kommentarlos gelöscht wurden.
Erfahre hier, wie Obama Storytelling im Wahlkampf und während seiner politischen Karriere eingesetzt hat: Yes He Can: Storytelling à la Barack Obama
Wie hingegen Social Media Strategien im Berliner Wahlkampf 2016 aussahen, haben wir hier analysiert: Social Media im Berliner Wahlkampf – Unsere Analyse für die RBB abendschau
Laut einer Studie* (auch wenn sie von 1999 ist) können übrigens telegene Politiker:innen durch Auftritte im Fernsehen besonders nachhaltig für sich werben. Weniger telegene Akteur:innen können dagegen im Fernsehen einen erheblichen Imageschaden erleiden. Gute Bilder einer politischen Person erzielen hingegen schnellere Unterstützung für ihn oder sie, als gute Argumente, da diese einmal eine gewisse Zeit bräuchten, um vorgetragen zu werden. Visuelle Präsenz und Personalisierung gehören also zu einem immer wichtigeren Teil der PR-Strategien bei Wahlen, da die Wähler:innen sich vermehrt an dem über die Medien transportierten Image der Politiker:innen orientieren.
Schauen wir wieder in die USA: Gerade die jungen Politiker Kennedy und Obama, das waren doch die Hoffnungsträger Amerikas im Wahlkampf, die den Glanz einer royalen Familie ins Weiße Haus brachten und eher für ihren Lifestyle und ihre Attitude von den Menschen verehrt wurden, denn durch ihre politischen Errungenschaften. Und auch in Deutschland hatten wir dieses Phänomen. Was wurden die Guttenbergs und Wulffs hochgejubelt, bevor sie über ihre Doktorarbeit bzw. ihren Kredit fürs Eigenheim stolperten und von den Medien gejagt wurden.
Kommunikationsmanagement im Wahlkampf bedeutet, sich jederzeit auf eine neue Situation einzustellen und auf Unvorhergesehenes zu reagieren. Die Zeitspannen, in denen eine neue Lage registriert und bewertet wird, woraufhin sich neue strategische Maßnahmen anschließen, können im aktiven Wahlkampf durchaus von kurzer Dauer sein. Dabei befinden sich die Wahlkämpfer:innen stets im Wettlauf mit dem gegnerischen Team, dem sie mit organisiertem Tempo immer einen Schritt voraus sein müssen. Um schneller als die Gegner:innen zu sein, müssen sich politische PR-Berater:innen im Vorhinein möglichst viele eventuelle Szenarien ausdenken, um im Eintritt einer solchen Situation schnell und angemessen reagieren zu können.
Damit diese Entscheidungsprozesse beschleunigt werden können, bedarf es der Aufstellung einer Wahlkampfgruppe, in der der Aufgabenbereich eines jeden Mitarbeiters genau definiert werden muss. Eine solche Kampagne ist vergleichbar mit einer Werbekampagne für ein Produkt. Somit ist die werbende Kommunikation ein alltäglicher Bestandteil der Politik. Werbestrategien zielen auf die Entwicklung eines Markenbewusstseins ab und kommunizieren das Produkt als Marke, immer gekoppelt mit einem Image. In der politischen Kommunikation wird heutzutage ebenfalls ganz bewusst auf professionelle Markenführung gesetzt. Im Gegensatz zu einer Produktmarke sind jedoch die kommunikativen Rahmenbedingungen für politische Marken sehr viel komplexer.
Neue Marken treten normalerweise aggressiv und innovativ in dem zu erobernden Markt auf. Hier besteht der Unterschied zwischen Produkten aus dem Konsumgüterbereich und politischen Marken. Für PR-Strategien bei Wahlen können nicht einfach die klassischen Werbemittel und -instrumente aus der Wirtschaftswerbung übernommen werden. Politiker:innen müssen darauf hinarbeiten, als vertrauenswürdig, zuverlässig sowie darüber hinaus als stabiler Faktor zu gelten.
Wie Storytelling heutzutage im Wahlkampf bei den Sozialdemokraten bzw. den Grünen aussieht, könnt ihr in unserem Podcast hören. Wir sprachen mit Anna Kleimann über die Kampagne der SPD sowie mit Kurt Georg Dieckert über die Kampagne der Grünen.
*Quelle: Daldrup, Nils: Personalisierung im SPD-Wahlkampf 2005. Kandidat vs. Inhalte? D.A. 7454 Berlin 2006 S.25ff
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