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Ich bin kein Superheld: Warum ich es manchmal hasse, Chefin zu sein
Agenturführung Backstage 13. April 2016

Ich bin kein Superheld: Warum ich es manchmal hasse, Chefin zu sein

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Wenn man eine Firma gründet, denkt man als erstes über die Freiheit nach, sich nichts mehr sagen zu lassen, keinen Chef mehr haben zu müssen. Steht man dann auf der anderen Seite, muss man plötzlich feststellen, dass da andere Probleme warten.

Echte Freundschaften gibt es eigentlich nicht

Der Arbeitsplatz ist der Ort, an dem wir mehr Zeit mit Menschen verbringen als mit unseren Freunden und der Familie. Logisch, dass sich dort auch Freundschaften bilden. Meine immer noch allerbeste Freundin Elisa habe ich kurz nach dem Abi bei meinem ersten Studentenjob kennengelernt, meine Weltreise habe ich mit meiner Freundin Janine gemacht, mit der ich zuvor gemeinsam meine Ausbildung in der gleichen Agentur absolviert hatte und mit Miriam habe ich nach unserem ersten gemeinsamen Job später Mashup hochgezogen. Und das Privileg, was ich habe, ist dass ich mir meist die Menschen aussuche, mit denen ich mich während der Arbeitszeit umgebe.

Auch wenn natürlich bestimmte Skills vorhanden sein müssen, entscheidet letztendlich mein Herz, ob ich diesen Menschen mögen und länger mit ihm zusammenarbeiten könnte. Nun ist es nicht so, dass ich nach meiner Arbeitszeit unbedingt noch mit jedem Kollegen etwas unternehmen muss, aber echte Freundschaften bilden sich schon deshalb kaum, eben weil ich die Chefin bin. Selbst als wir noch zu viert in unserem Kellerbüro im gleichen Raum saßen, verabredeten sich meist still über Skype der Trainee und der Praktikant zum Mittagessen und ließen Miriam und mich quasi zurück.

Wenn wir doch mal zusammen auf einer Party sind, werde ich nur als „Chefin“ vorgestellt, was für beide Seiten awkward ist und das Gespräch sofort auf die Arbeit lenkt. Oder die Leute werden erstaunt angeschaut, wenn sie sich überhaupt privat mit ihrer Chefin treffen. Bzw. dann von anderen Kollegen bezichtigt, bevorzugt zu werden, weil sie sich so gut mit der Chefin verstünden. Du kannst den gleichen doofen IKEA-Tisch haben, ebenfalls zum Putzdienst eingeteilt sein und auch mal einen Trinken gehen, am Ende wirst du immer als Chefin angesehen.

Der Chef taugt immer zum guten alten Feindbild

Meine alte Agentur war durch bestimmte Rahmenbedingungen kein Traumarbeitsplatz, aber ich konnte dort eigentlich relativ selbstbestimmt, wenn auch unter den strengen Augen meines Chefs arbeiten. Die Fluktuation in der Agentur war ziemlich hoch, andererseits bestand ein sehr guter Zusammenhalt unter den Kollegen, denn wir alle hatten ein gemeinsames Feindbild: Den Chef. Noch heute ist er unter den Ehemaligen ein beliebtes Thema bei gemeinsamen Treffen.

Und egal, wo ich hinkomme, jeder beschwert sich quasi über seinen unfähigen, bescheuerten Vorgesetzten, ohne den das Leben viel besser wäre. Miriam und ich wollten es immer anders machen, gerade auch, weil wir aus unserem alten Job gelernt hatten. Wir wollten jedem seine Freiheit lassen, eigenverantwortlich entscheiden lassen, eher ein Miteinander leben als ein Top-Down-Management. Wir wurden aber schnell von unseren Mitarbeitern zu Regeln gezwungen, sie wollten und brauchten diese Struktur um besser arbeiten zu können.

Andererseits machten sie aber auch Vorschläge, an die wie gar nicht gedacht hatten, wie die Möglichkeit zum regelmäßigen Homeoffice. Heute probieren wir immer noch viel im gemeinsamen Konsens zu entscheiden, aber es gibt natürlich auch Themen, die wir dann einfach mal bestimmen oder wo wir ein Machtwort sprechen.

Ich mache mir übrigens nichts vor: Auch bei uns gibt es eine Mashup-Skype Gruppe, in der Miriam und ich nicht Mitglied sind und in der (wie ich vermute) ebenfalls Mittagspläne besprochen und über irgendwelche internen Sachen diskutiert wird, aber ich wette auch, sich über mich oder Miriam regelmäßig ausgekotzt wird. Und die meisten unserer ehemaligen Mitarbeiter haben sich übrigens selbständig gemacht und lassen ihre Leser regelmäßig auf ihrem Blog oder in Interviews wissen, wie froh sie sind jetzt ihr eigener Chef zu sein.

Wahrheit oder Pflicht?

Ein weiteres Problem, was ich habe: Manchmal weiß ich einfach nicht, was die Leute denken. Einerseits haben gerade die Jüngeren oder diejenigen, die noch nicht so lange bei Mashup sind, einen Heidenrespekt vor mir. Und selbst wenn sie diese Scheu abgebaut haben, weiß ich nicht, ob sie sich nur so verhalten, bestimmte Dinge nur sagen, weil ich ihre Chefin bin. Vielleicht bin ich ja gar nicht so witzig, wie ich immer denke, vielleicht ist das, was und wie wir es machen, gar nicht gut.

Weil Feedback ja wichtig ist (nicht nur vom Chef gegenüber den Mitarbeitern, sondern gerade auch andersherum), haben wir ein Tool eingeführt, mit dem man jede Woche anonym Feedback geben kann. Es gab Wochen, da gab immer eine Person an, dass ihre Woche richtig Scheiße war, aber nie eine Begründung, warum. Und auch so ist nie jemand zu mir gekommen, um mir zu sagen, was los ist, obwohl ich zu Beidem ermutigt hatte. Und genau da macht es mich traurig, dass sich mir dann niemand anvertraut, aus welchen Gründen auch immer, und ich nicht weiß, welche Stimmung real ist, und welche nicht und ich somit auch nicht helfen kann.

Ich kann nicht immer Vorbild sein

Ich bin die mit der größten Klappe. Ich trage mein Herz auf der Zunge. Ich meine viele Dinge ironisch und mit einem Augenzwinkern, ich verstelle mich nicht, man weiß eigentlich immer, woran man bei mir ist. Andererseits bin ich ja die Chefin, und dazu noch HR-Beauftragte, ich darf also eigentlich nicht pöbeln, sondern müsste immer politisch korrekt Feedback geben, immer gute Laune haben, nie gestresst sein, immer ein offenes Ohr für andere haben… aber ich kann das einfach nicht immer.

An manchen Tagen habe ich kaum Zeit für meine eigenen Aufgaben, ich mag nicht immer konstruktives Feedback geben, ich mag auch mal nöhlen, wenn ich eine mir zugewiesene Aufgabe doof finde. Und werde dann oft an meine Pflicht als Chefin erinnert, die ja Vorbild sein soll und Leute motivieren, und plötzlich merke ich, dass ich gar nicht mehr authentisch bin. Manchmal muss ich kurz durchatmen bevor ich morgens ins Büro komme, weil ich weiß, jetzt bin ich nicht mehr privat, jetzt bin ich ja wieder die Chefin, die mit der Vorbildfunktion. Ich lese wirklich viel über Führung und versuche mich dann daran zu erinnern, um wirklich ein toller Chef zu sein, aber oft scheitere ich doch an meinen eigenen Charakter.

Um jetzt nicht zu negativ zu klingen: Ich liebe meinen Job, meine Firma, meine Mashies, ohne die das alles nicht möglich wäre. Und ich bereue keinen Tag, in die Selbstständigkeit gegangen zu sein. Aber manchmal kämpfe ich eben mit meiner Rolle, in die ich nicht geboren bin und eben auch erst erlernen musste.

Foto: JD Hancock CC BY 2.0



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