„Harry Potter und das Porträt, das wie ein Haufen Asche aussah“ – Ja, es gibt ihn. Den achten Teil der legendären Harry-Potter-Reihe. Allerdings klingt der Titel noch etwas hölzern und auch die Handlung scheint wirr: „Schon steht ein Todesser hinter ihr, der trägt ein T-Shirt, auf dem steht: ‚Hermine hat vergessen, wie man tanzt’“. Was ist der Grund für die merkwürdigen Formulierungen? An dieser Stelle sei verraten: Autor der Fortsetzung ist weder J.K. Rowling noch irgendein anderer Mensch auf der Welt. Das amerikanische Start-up Botnik verfasste das neue Kapitel mithilfe Künstlicher Intelligenz (KI).
Das Ergebnis, noch eher künstlich als intelligent, zeigt die Grenzen der Technologie und beantwortet eine wichtige Frage schon jetzt. Nein, Software wird Autoren vorerst nicht ersetzen. Und dennoch verzaubert sie die Medienbranche zusehends und verändert neben den Texten, die wir lesen, vor allem den Weg, auf dem diese Texte zu uns finden. Wie beeinflusst Künstliche Intelligenz schon heute unseren Medienkonsum?
Der Begriff „Roboterjournalismus“ schwebt bereits seit 2014 durch Redaktionen und Rechner und macht so manchen Schreiber nervös. Den Wetterbericht für 12.500 Städte in Deutschland in wenigen Sekunden verfassen? Kann man das? Nein. Kann KI das? Ja. Unternehmen wie der 2008 in Berlin gegründete Vorreiter Retresco bieten die Erstellung von Berichten auf Knopfdruck an. Auch in anderen, speziell datenintensiven Feldern, wie dem Sport oder der Börse, findet die Technologie Anwendung. Textbausteine auszutauschen, ist hier aber nur die langweilige Grunddisziplin. Die anspruchsvollere Methode ist das Training des Programms, um ihm durch verschiedene Regeln sogenanntes „Weltwissen“ anzueignen, worüber jeder normale Redakteur verfügt. Fällt die Apple-Aktie beispielsweise um 30 Prozent, reicht ein kleiner Absatz dazu nicht aus. Das System muss erkennen, wie ungewöhnlich hoch der Abfall ist, eine entsprechende Formulierung finden und im besten Fall eine Erklärung liefern.
Das Verfassen von Texten ist nicht der einzige kreative Bereich, in denen die KI vordringt. Immer mehr Start-ups speisen ihre Server mit Daten und bauen dank Machine Learning innovative Dienstleistungen, die den digitalen Kampf der Publisher weiter befeuern. So kann das New Yorker Unternehmen Wibbitz aus einem einfachen Text News-Video erstellen – ein Zusatzangebot und riesiger Vorteil im Social-Media-Zeitalter. Aber nicht nur die Produktion visueller Inhalte wird automatisiert. Die Software des Start-ups Lyrebird kann Sprechen lernen. Und damit ist nicht nur das Wiedergeben von Texten, sondern auch von Stimmen gemeint. Die KI ermöglicht es nach Hören von nur 30 Sätzen, den Klang eines jeden Menschens zu imitieren. Auch wenn niemand darum bat, kann man auf der Lyrebird-Webseite Donald Trumps Tweets auch mit Donald Trumps Stimme hören. Nachrichten von Freunden vorgelesen zu bekommen, kann also eine baldige, wenn auch bedenkliche Fortsetzung der Technologie sein.
Ein wahrer Gewinn hingegen kann KI bei der Bekämpfung des größten Problems digitaler Medien werden: Fake-News. Fact-Checking-Tools prüfen mit moderner Software Artikel auf sachliche Behauptungen oder sprachliche Feinheiten und schließen so auch wieder den Kreis zum amerikanischen Präsidenten. Auch die automatische Verifizierung von Quellen ist mit KI denkbar. Die Liste neuer Tools ließe sich beliebig fortführen. So gehören auch Chatbots, Spracherkennungen, Übersetzungen und Fehlerkorrekturen zu den Anwendungsgebieten. Ob die Instrumente dabei nur Arbeit abnehmen oder den Menschen ersetzen, bleibt aber in Einzelfällen zu bewerten.
Der Besuch eines Online-Shops ist im Jahr 2018 ein hoch personalisiertes Erlebnis. Amazon kennt meinen Filmgeschmack und Zalando meine Vorliebe für geblümte Hemden. Was im E-Commerce mittlerweile normal oder gar begrüßenswert ist, geschieht nun auch in der Medienbranche. Bedeutet, mit allen Texten, Videos und Bildern, die wir sehen. Publisher wollen unsere Clicks und unsere Aufmerksamkeit, wobei der Überfluss der Online-Angebote einen harten Wettbewerb entstehen lässt. Da bietet es sich natürlich an, vorgeschlagene Artikel mithilfe von KI zu personalisieren und so die Chance aufs Gelesenwerden zu erhöhen. Auch die Paywall könnte in Zukunft nicht nur preislich, sondern auch thematisch individuell festgelegt werden. Ermittelt eine Software das Begehren des Lesers danach, Berichterstattungen zu lesen, könnten demnächst Kosten personalisiert festgesetzt werden.
Was für den Verbraucher zunächst nachteilig klingt, sichert auf der anderen Seite die Finanzierung von wertvollem Journalismus. Um diese Mechanismen effektiv für Redaktionen einzusetzen, müsste es aber eine monopolistische Macht geben, die entscheidet, welche Informationen, wann, wo hingelangen. Aber Moment! Dieses Monopol gibt es doch schon. Facebook entscheidet mit seinen Algorithmen schon lange, was User lesen, sehen und hören. Bedeutet die vorschreitende KI in der Medienbranche, dass wir nur noch das lesen werden, was wir lesen möchten? Die individuelle Ausrichtung auf subjektive Bedürfnisse ist für Publisher der Weg zum Erfolg. Und für den Leser?
Wie lassen sich die Veränderungen durch KI in der Medienbranche nun also bewerten? Wird unser Wissen über das Weltgeschehen bald von Software fremdgesteuert? Allen Risiken zu trotz überwiegen die Chancen der neuen Technologie. Journalisten können KI als eine Art Lautsprecher für ihre Zielgruppe verstehen. Die Menschen, die über bestimmte Sachverhalte informiert werden wollen, werden informiert. Dazu kommt die Fülle an Möglichkeiten, die den Datenjournalismus in ein neues Zeitalter führen werden. Für Leser kann KI zu einem ganz persönlichen Agenten werden, der weiß, was sie belangt. Angst sollte also niemand vor den Zauberkräften der KI haben. Schließlich vergingen auch sieben Jahre harter Prüfungen bis Harry Potter seinen Zauberstab gegen das Böse erfolgreich einsetzte.
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