Fallschirmspringende jagen im freien Fall der Erde entgegen, nicht ohne vor dem Ausklappen des rettenden Schirmes noch einen doppelten Salto in der Luft zu machen. Skifahrende jagen einen schneebedeckten Steilhang herab. Die Bilder, die vom wohl bekanntesten österreichischen Getränkehersteller produziert und verbreitet werden, sorgen regelmäßig für einen hohen Puls und nach einem geglückten Stunt für Begeisterung. Selten ist Storytelling aufregender: Durch einen geschickt erzählten Heldenmythos verleiht Red Bull nicht nur Flügel, sondern auch innovativem Storytelling neuen Schwung. Doch inwiefern kann man die wagemutigen Athlet:innen als Held:innen bezeichnen?
Die Frage, was dem Held oder der Heldin zu ihrem Status verhilft, haben sich in der Wissenschaft schon zahlreiche bekannte Autor:innen gestellt. Ein Held oder eine Heldin ist „eine Gestalt von außergewöhnlichen Gaben. Oft wird er (oder sie) von seiner Gruppe geehrt, oft missachtet oder verachtet.“ Diese Definition stammt von dem „Godfather of Storytelling“, Joseph Campbell, der mit dem Konzept der Heldenreise eine Blaupause für spannende Geschichten geliefert hat. Demnach scheint ein:e Held:in schon durch den Charakter oder sozialen Status aus einer Gemeinschaft herauszustechen. Auch weitere Autor:innen, wie beispielsweise die Literaturwissenschaftler:innen Susan Drucker und Robert Cathcart verweisen auf den außergewöhnliche Status. Statt normaler menschlicher Fähigkeiten und Eigenschaften würden diese Figuren stets das Außergewöhnliche oder Übernatürliche verkörpern. Laut Christian Schneider, der sich in seiner Forschung ausführlich mit dem Heroischen auseinandersetzt, sei niemand aus sich heraus ein:e Held:in. Um diesen Status zu erlangen, benötige es mindestens dreier Dinge – eine Tat, die als außergewöhnlich wahrgenommen wird; ein:e Erzähler:in, welche:r die Geschichte weiterträgt sowie ein Publikum, das dem Erzählten zuhört.
Einer der wesentlichen Grundpfeiler der Red Bull-Geschichte ist die gezielte Inszenierung ihrer Hauptpersonen als Held:innen. Anders als in vielen Storys bekannter Marken sind hier nicht die Kund:innen oder Mitarbeitenden die treibende Kraft des Plots, sondern eine Gruppe Auserwählter. Dieser wird dank sportlicher Höchstleistung und die Vollbringung von einzigartigen Taten ein Heldenstatus zugeschrieben. Red Bull benutzt das Wort „Held“ regelmäßig. Die von Red Bull finanzierte Filmreihe „Heroes by Nature“ präsentiert spektakuläre Sportarten wie Mountainbiking, Freeskiing oder Surfen; bei den „Red Bull Bob Heroes“ behaupten sich Laiensportler:innen beim Rennen mit selbstgebauten Bobs; das von Red Bull publizierte Magazin The Red Bulletin stellt in jeder Ausgabe die „Heroes des Monats“ vor.
Der Heldenmythos von Red Bull stellt keine zusammenhängende Geschichte dar. Vielmehr besteht er aus vielen kleinen Heldenstorys, die wiederum ähnliche Narrationsmuster aufweisen. Charakteristisch ist dabei die gezielte Heroisierung der Persönlichkeit des Sportlers oder der Sportlerin. Dem kommt dabei zugute, dass der Bereich Sport allgemein schon ideal dafür geeignet ist, Heldenbilder zu produzieren. So ist der Sport grundsätzlich auf Beobachtung ausgelegt, Wettbewerbe werden vor einem Publikum ausgetragen. Die simple Logik von Sieg und Niederlage trägt ferner dazu bei, Gewinner:innen von Nicht-Gewinnenden zu unterscheiden.
Bei Red Bull wird diese Logik umgedeutet in ein System aus Erfolg und Misserfolg. Ein Sieg muss dabei nicht bedeuten, dass der Athlet oder die Athletin den ersten Platz erkämpft hat. Das Wagnis der sportlichen Disziplin steht als Wert für sich. Somit liegt dem Sportmarketing von Red Bull vielfach der olympische Gedanke inne, bei dem ein guter und fairer Wettkampf und sein Bestes zu geben die Kernqualitäten sind. Die Heldenstory entsteht aus der Willenskraft einer Person, das Unmögliche nicht als gegeben zu sehen, sondern die Grenzen des Machbaren zu suchen und zu überschreiten. Dadurch entstehen mediale Erfolgsgeschichten wie Red Bull Stratos, dem damaligen höchsten Fallschirmsprung, oder die schnellste Fahrt auf einem Mountainbike. Nicht umsonst heißt es in einem Werbefilm des Unternehmens: „Wenn Du an etwas glaubst, ist alles möglich.“
Und auch das Getränk findet seinen Platz in diesem Heldenmythos: Es erscheint hierbei als das Elixier, was dem Helden oder der Heldin die Kraft oder – um es mit den Worten des Werbespruches auszudrücken – Flügel verleiht.
Genau wie in der Campbell’schen Abenteuerreise ist jeder neue Stunt unter der Flagge von Red Bull ein eigener Plot, der im Grunde den gleichen Mustern folgt von Klassikern wie Matrix, Der Herr der Ringe oder Harry Potter folgt. Die Reise startet ab dem Zeitpunkt, wo die aufwendigen Vorbereitungen des Stunts beginnen. Bei Leistungssportler:innen bedeutet dies für gewöhnlich langes, hartes Training. Währenddessen werden sie immer wieder mit der Verlockung konfrontiert, das Vorhaben aufzugeben und eine andere, körperlich weniger belastende Beschäftigung zu finden.
Trotzdem werden sie von dem Wunsch angetrieben, das scheinbar Unmögliche in die Tat umzusetzen – von einem vergleichsweise niedrigen Hochhaus mit einem Fallschirm zu springen, mit einem Wingsuit durch eine enge Alpenschlucht zu rasen oder einen neuen Geschwindigkeitsrekord aufzustellen. Sie werden zu Pionier:innen, die eine neue Sportart erfinden, oder brechen Weltrekorde in bestehenden Disziplinen. Sind die Gegner:innen in herkömmlichen Storys in Filmen oder Romanen häufig menschliche Widersacher:innen, stellen sich die Sportler:innen dem Kampf gegen das Unmögliche, die Konkurrenz, die Natur und sich selbst beziehungsweise dem inneren Schweinehund. Dem erfolgreichen Sportler oder Sportlerin erwartet die Belohnung in Form von medialer Aufmerksamkeit, Pokalen oder sogar Einträgen ins Guinnessbuch der Weltrekorde. Red Bull forciert den Kampf der Sportler:innen und nimmt die Mentorenrolle eines Kapitäns ein, der mit einer klaren Vision und finanziellem Budget die Reise begleitet oder erst ermöglicht.
Wie bei keiner zweiten Marke fokussiert sich die Marketingstrategie auf Produktplatzierungen und Förderung des Leistungssportes. Konzentrierte sich das Unternehmen zunächst auf Nischensportarten, breitete sich das Universum von Red Bull bald auch auf populäre Disziplinen wie etwa Fußball aus. Mittlerweile betreibt der Getränkekonzern eigene Mannschaften und ist mit eigenen Fernsehsendern und Printpublikationen ein ganzes Medienimperium. Bis heute ist keine Marke im Extremsportsegment so prominent vertreten wie Red Bull.
Schon auf der Homepage des Konzerns sind Informationen, Blogartikel und Nachrichten aus den verschiedensten Sportarten, E-Sports, aber auch (Musik-)Künstler:innen und weiteren Kulturveranstaltungen allgegenwärtig. Informationen zu dem Hauptprodukt von Red Bull, dem gleichnamigen Energydrink, werden erst in einem Untermenü präsentiert und finden auf der Startseite kaum Erwähnung. Ähnlich verhält es sich in nahezu allen Publikationen der Marke – nur bei den comicartigen Fernsehspots verweisen sie auf die energiebringende Wirkung des Erfrischungsgetränkes. Ansonsten wird dies über die scheinbar in endloser Ausführung erzählte Geschichte des Athleten oder der Athletin erzählt, der oder die in die Welt zog, um das Unmögliche zu probieren. Ein Musterbeispiel für konsequentes Content Marketing. Red Bull hat somit verstanden, woran sich auch etablierte Marken regelmäßig schwertun: Handelt die Geschichte nur von dem Produkt, dann ist es kein Storytelling, sondern Werbung.
Nur eine Frage muss noch geklärt werden: Sind die Athlet:innen von Red Bull denn nun eigentlich Held:innen? Legitimationsgrundlage dafür könnte der außergewöhnliche sportliche Einsatz sein. Auch die Passion, die Leidenschaft und der Mut, auf die beschwerliche Heldenreise anzutreten, könnte als Argument herangezogen werden. Zudem haben die außergewöhnlichen Taten Vorbildcharakter für all jene, die mit sich hadern, über den eigenen Schatten zu springen und sich der Herausforderung zu stellen. Andererseits könnte man argumentieren, dass die Sportheld:innen sehr von ihrem Mentor abhängig sind und diese durch gezielten Entzug der Medienberichterstattung durch Red Bull schnell in die Bedeutungslosigkeit verschwinden. Dies ist nicht selten dann der Fall, wenn die Heldenreise etwa aufgrund tragischer Unfälle nicht zum erhofften Triumph führt. Was macht den Sportler oder die Sportlerin dann noch zum Helden oder zur Heldin, wenn das Publikum fehlt, das ihm oder ihr den heroischen Status zu verleihen vermag? Diese Frage muss jeder für sich selbst beantworten und das Fazit fällt je nach Bereitschaft der Zuschauer:innen aus, Sportheld:innen als Teil des medialen Alltags und der Unterhaltungskultur zu begreifen.
Wenn Unternehmen oder Organisationen uns mit ihren Geschichten zum Lachen, Weinen oder Staunen bringen, haben…
In der 27. Folge unseres Praxis-Talk: Brand Storytelling Podcasts spricht Miriam Rupp mit Christiane Grunwald…
Wenn Unternehmen oder Organisationen uns mit ihren Geschichten zum Lachen, Weinen oder Staunen bringen, haben…
Ranking der stärksten Arbeitgebermarken in der Versicherungsbranche: Am meisten kann bei den Talenten punkten, wer…
Vertrauen ist die wichtigste Währung in der Finanzbranche. PR hilft Finanzunternehmen nicht nur, Krisen zu…
Employer Branding als Schlüssel zum Fachkräftemangel In Zeiten des Fachkräftemangels gewinnen starke Arbeitgebermarken an Bedeutung.…