Über die Herausforderung, ein Porträt von Liam zu schreiben

Und ich hatte mich auch noch gefreut. Es ist Miriams letzte Anmerkung bei einem unserer Wochenmeetings gewesen: „Außerdem haben wir wieder gelost! Das nächste Porträt für unseren Blog wird Johannes von Liam verfassen.“ Ich hatte mich wirklich gefreut. Ich mag Schreiben, ich mag Liam, wie schlimm hätte es also bitte werden können? Liam – zweifelsfrei die Sahnetorte unter all meinen Kollegen! Natürlich würde ich mühelos ein überraschendes und ja, auch berührendes Porträt über ihn schreiben. Wie die Überschrift aber bereits verraten hat, legte mir irgendetwas Steine in den Weg.

Viele Wege führen zu Liam

Ich googelte erstmal. Wie schreibt man ein Porträt? Was ist ein Porträt? „Das Porträtschreiben zählt zu den Königsdisziplinen des Journalismus.“ Klasse! „Ein Porträt ist eine möglichst tiefgehende Momentaufnahme des Lebens einer bestimmten Person.“ Des ganzen Lebens? Möglichst tiefgehend? Großartig! „Ein gelungenes Porträt ist authentisch, mehrdimensional, zeigt die Person aus verschiedensten Blickwinkeln und beleuchtet dabei das Denken, Handeln und Fühlen des Porträtierten.“ Mehrdimensional? Denken, Handeln UND Fühlen? Oh Gott, Oh Gott. „Auch sollte genug Zeit zum Kennenlernen eingeplant werden.“ Die erste gute Nachricht. Liam und ich kennen uns seit über 1,5 Jahren. „Ein offenes Gespräch, bei dem das natürliche Verhalten des Porträtierten zum Vorschein kommt, ist zu empfehlen.“ Klingt nach einem ersten Schritt.

Auf der Suche nach mehrdimensionalem Denken und Fühlen bat ich meinen Kollegen also zum Interv… offenem Gespräch. Einen Kaffee verwehrte er, Heißgetränke seien generell nicht sein Ding. Ist das eine authentische Info? Ich weiß es nicht. Wir quatschten.

Erster Versuch

Liam Kreutschmann erblickte im September des Jahres 1994 das Licht der Welt. Beziehungsweise das Licht von Roggentin in Meck-Pomm. Es war das Jahr der Play Station, Akte X und Marushas „Somewhere Over The Rainbow“. Rückblickend betrachtet also ein sehr starkes Jahr. Als Bruder von insgesamt vier Geschwistern wuchs der kleine Liam wohlbehütet auf. Hobbypsychologen und Menschen, die Porträts verfassen müssen, könnten meinen, er erlernte bereits dort seine Ruhe und Diplomatie. Liam hatte nie ein Problem als Schüler und mochte die Schule trotzdem nicht. Keines der angebotenen Themen schien ihn so richtig zu interessieren. Ein Querdenker? Gelangweilt? Hochbegabt? Zu diesem Zeitpunkt nur vage Munkeleien. Er verließ nach seinem Abitur das Nest, um sich in Freiburg zu emanzipieren, wie er sagt. 928 km Entfernung. Weiter konnte er innerhalb Deutschlands nicht umziehen.

Er studierte Medienkulturwissenschaft und Politik. Er sei auch ein toller Politiker geworden, sage ich, doch zu viel Gemäkel (oder Gemälde, meine Gesprächsnotizen sind nicht eindeutig) hätten ihn immer davon abgehalten. Also studierte er, wie wir alle es taten, jobbte als Stadtführer in der fremden Stadt, genoss das Leben in einer WG und träumte den Traum, eines Tages mit irgendetwas selbstständig zu sein.

Zum Ende seines Studiums verschlug es ihn für ein Auslandsemester nach Nantes in Frankreich. An der Audencia Business School schienen die Professoren eine Sprache zu sprechen, die Liam besser verstand. Nicht Französisch, nein, doch zum ersten Mal ging es nicht länger nur um abstrakte Medientheorien. Liam sah, wie Unternehmenskommunikation in der Praxis funktionierte, und fand Gefallen daran. Dank Lehrern aus Unternehmen lernte er, wie man einen Businessplan erstellt, wie man gründet, wie man in der echten Welt eben wirtschaftet. Dort belegte er übrigens auch seinen ersten Storytelling-Kurs.

Die Reise nach Frankreich schenkte ihm eine konkretere Vorstellung seiner Zukunft. Er beendete sein Studium, schrieb seine Bachelor-Arbeit über das Storytelling bei RedBull, bewarb sich bei Mashup, zog nach Berlin, begann ein Praktikum, beendete ein Praktikum, begann ein Traineeship, beendete ein Traineeship, wurde Berater, saß dann irgendwann vor mir und erzählte das alles.

Enttäuschung und oder Verzweiflung

Mist! Das Gespräch ist vorbei. Ich habe keinerlei mehrdimensionale Einblicke, verdammt nochmal. Porträtschreiben ist keine Königsdisziplin. Es ist eine Kampf- … nein, eine Katastrophendisziplin. Habe ich wohlmöglich etwas übersehen? Ich gehe erneut meine Notizen durch. „Liam mag Achterbahnen, Wassereis, Tomaten mit Mozzarella. Liam hasst es zu verkaufen, aber mag es, andere zu trösten. Liam ist technisch fit, mag Bolognese, aber keine Kartoffeln.“ Super. Mit diesen Infos kann ich ein Kochbuch für ihn schreiben, aber ein Porträt?

Zweiter Versuch

Für ein rundes Resultat musste ich mich also auf die Erfahrungen konzentrieren, die ich vor dem Interv… offenem Gespräch mit Liam gemacht habe. Was Leser, die nicht bei Mashup arbeiten, gerade noch gar nicht wissen: Liam ist kein normaler Kollege für mich. Wir wurden fast zeitgleich Trainees und erlebten diese spannende, wenn auch nicht immer unturbulente Ausbildung gemeinsam. Die Gefahr, sich miteinander zu vergleichen, bestand durchaus und blieb doch bis heute hypothetisch. Zwischen Liam und einem anderen Menschen kann etwas derart Negatives nämlich gar nicht entstehen. Dafür ist er in seiner wunderbaren Gesamtkomposition zu harmonisch.

Im Januar 2018 saß ich mit ihm im Meetingraum. Wir hatten die Aufgabe bekommen, eine Presseschau für unseren Blog zu machen. Alle Ideen waren schnöde. Bis uns ein Gedanke kam, der rückblickend betrachtet ziemlich mutig war. Wieso das Wort „Presse-schauen“ nicht wörtlich nehmen und Berliner Redaktionen tatsächlich besuchen. „Zu Besuch bei“, mein liebstes Herzensprojekt bei Mashup, ein Liam-und-Johannes-Projekt war geboren. Knapp ein Jahr später haben wir unter anderem den bekanntesten Radiomoderator der Stadt und den Chefredakteur von Buzzfeed Germany interviewt. Das sind Erfolge, die wir gemeinsam erreicht haben. Jede Minute im Schaffensprozess war geprägt von Gegenseitigkeit, Ruhe und Spaß, jede Diskussion blieb eine Diskussion, konstruktiv und wertvoll. Ich hätte mir keinen besseren Partner backen können. Und DAS gelte, selbst wenn ich backen würde.

Und die Qual von der Geschicht‘

Der Weg zu einem Fazit war selten so hart. Über Pressemitteilungen und Gastbeiträge sinniert man abends nicht im Bett. Wenn man aber ein Porträt von einem Kollegen schreibt, den man so sehr schätzt, wie ich Liam schätze, kann es passieren, dass man ein, zwei, vierzehn Mal alles umwirft, um dann immer noch nicht zufrieden zu sein. Und selbst jetzt. Auf den letzten Zeilen meines Porträtversuchs muss ich nochmal quer durch den Raum spähen und zu Liam schauen. Ich frage: „Liam, warum trägst du eine Weihnachtsmannmütze“. Er schaut auf und lächelt: „Weil bald Weihnachten ist.“

Redaktion

Unser Redaktionsteam nimmt uns mit auf eine Erkundungsreise durch die Welt des Brand Storytelling und durch unseren Agenturalltag. Es appelliert an unsere Vorstellungskraft und verzaubert uns mit Zukunftsmusik. Zudem macht es sich stark für faire Themen mit Haltung.

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