Planet Storytelling: Frankreich
Auf unserer Suche nach Storytelling-Traditionen und -Inspirationen begeben wir uns diesmal auf den Weg ins Land des Savoir-vivre und der Lebenskunst: Frankreich! So divers die Landschaften, die Kultur und die Menschen unseres Nachbarlandes sind, so vielseitig sind auch seine Geschichten. Wie diese in Frankreich erzählt werden und was sich im Laufe der Zeit verändert hat, verraten wir im dritten Teil unserer Serie „Planet Storytelling“.
Photo by Pedro Kümmel on Unsplash
Storytelling à la française: vive l’amour und versteckter Protest
Zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert begannen im südlichen Frankreich vor allem Trobadore an den Höfen Geschichten in Form von Gedichten zu erzählen. Charakteristisch waren sie in Reimform und Metrum. Neben Themen wie Ritterlichkeit und Hof ziehen sich vor allem Liebe und Romantik seit dem frühen Mittelalter durch die französische Lyrik. Die Gedichte wurden oft auch musikalisch vorgetragen. Sie beeinflussten in vielerlei Hinsicht das spätere lyrische Erzählen in Frankreich und ganz Europa. Rhythmische Lyrik ist auch in zeitgenössischer französischer Musik zu finden.
Serge Gainsbourg etwa war einer der einflussreichsten Singer-Songwriter seiner Epoche. Zum einen sind seine Texte oftmals in Vers- und Reimform verfasst. Zudem ist er auch inhaltlich durch Satire und seine raffinierten, zum Teil provozierenden Wortspiele das musikalische Äquivalent eines modernen Lyrikers. Auch Chansonniere wie Jacques Brel und George Brassens lassen sich mit ihrer lyrischen Satire in ihren Liedern in die Tradition der mittelalterlichen Trobadore einordnen. So drücken sie vor allem sozialen und politischen Protest aus.
La Grande Nation – ein Leitmotiv der französischen Geschichte(n)
Photo by Joe deSousa on Unsplash
Ganz besonders stolz ist Frankreich auf seine Grande Nation, vor allem auf die gemeinsame Geschichte, Kultur und Sprache. Mithilfe von Erzählungen können die Franzosen ihre Kultur und Geschichte teilen. Diese werden dann von Generation zu Generation weitergegeben. Die Liebe zur Sprache und insbesondere die Literatur machen daher einen großen Teil des Nationalbewusstseins aus.
Die große Bedeutung wird nicht zuletzt durch die Arbeit der Académie française, gegründet 1635, deutlich. Diese ist für die Definition der Sprache und somit auch den Sprachgebrauch verantwortlich. Oftmals wird die heimische Literatur als Herzstück des Staates angesehen. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts war die Durchsetzung der französischen Sprache gegen regionale Dialekte und Sprachen zentral. Auch um das Land kulturell zu vereinigen.
Heute stellt die französische Nation vor allem in politischen Reden ein Leitmotiv dar. Dadurch wird auf die mit ihr verbundenen Werte Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit sowie die gemeinsame Identität abgezielt. Der vielleicht wichtigste Ausdruck dieses Nationalgefühls ist die Nationalhymne. Charakterisiert wird die Marseillaise durch ihren Ruf nach Freiheit und Einigkeit der Franzosen gegen all diejenigen, die sich gegen ihre Nation stellen.
Wie afrikanisches Storytelling in Frankreich einzog
Die Freude an Wortspielen und die Liebe zur Sprache ist tief in Frankreich verwurzelt. Das Aufkommen des Hip-Hop in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren passte daher sehr gut zur französischen Mentalität. Seinen Ursprung fand die Musikform besonders in den sogenannten banlieues. Diese Vorstädte sind stark von Gewalt und Armut geprägt. Der französische Rap wurde vor allem von den afroamerikanischen Communities begründet. Frankreich hat durch seine koloniale Vergangenheit einen starken Bezug zu zahlreichen afrikanischen Staaten. Dabei stammen die größten Minderheiten in Frankreich aus den Maghreb-, aber auch aus westafrikanischen Staaten (z.B. Kamerun, Senegal und Mali). Gerade im Hip-Hop wird deutlich, wie eng verwoben die verschiedenen Storytelling-Traditionen aus Frankreich und Afrika sind. Die Kunst der afrikanischen Erzählweise und die afrikanischen Rhythmen scheinen im französischen Rap immer wieder durch.
Besonders die Tradition des „Griot-Storytelling“ wird oft mit Rap in Verbindung gebracht. Dieser wird auch als „Griot der Moderne“ bezeichnet. Griots gibt es in westafrikanischen Ländern seit Jahrhunderten. Ihre Rolle ist nicht einfach zu beschreiben, da sie gleichzeitig Historiker, Musiker, Lehrer, Berater und vieles mehr sind. Jedoch ist ihr wichtigstes Werkzeug das gesprochene Wort. Sie erzählen Geschichten, welche die kollektive Erinnerung bewahren sollen. Traditionell waren sie Teil aller wichtigen Anlässe und Feste.
Heute sind sie sehr eng mit Musik verbunden. Schlaginstrumente und Gesang spielen die größte Rolle. Viele Rapper greifen die Tradition auf und thematisieren wichtige gesellschaftliche Fragen wie Gewalt oder Arbeitslosigkeit. Zwar würden sich Griots niemals gegen eine bestimmte Person oder Institution aussprechen und der Titel wird traditionell innerhalb der Familie weitervererbt. Dennoch bleibt auch im Rap die wichtigste Aufgabe des Griots erhalten: das Aussprechen der gemeinsamen Geschichte.
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