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Slow Storytelling: Content-Manufaktur statt -Fließband

Einmal im Quartal legen wir bei uns in der Agentur ein Zeitfenster fest, in dem jeder Mitarbeiter neuen Content für unseren Blog verfasst. Bei etwa 20 Personen kommen durch so einen „Blogsprint“ genügend Artikel zusammen, um in den kommenden Monaten immer etwas Neues veröffentlichen zu können. Auch heute ist es wieder soweit. Mein Thema dieses „Sprints“ ist ironischerweise „Slow Storytelling“, ein Plädoyer dafür, nicht als Erster durch die Zielgerade zu rennen. Oder doch?

Slow Journalism: Weg von der Sensation

Ich habe den Begriff von Konzepten wie „Slow Journalism“ bzw. „Entschleunigter Journalimus“ und „Slow Media“ abgeleitet. Viele Bücher oder Artikel gibt es dazu noch nicht. Aber einige Stimmen schon. Die erste nennenswerte wissenschaftliche Abhandlung dazu stammt von der australischen Mediendozentin Megan Le Masurier. In ihrem Artikel „What is Slow Journalism“ aus dem Jahr 2015 beschäftigt sie sich mit ersten Definitionen und Charakteristika. Meine Lieblings-Erklärung (übersetzt): “Entschleunigter Journalismus gibt den Fetisch auf, die Konkurrenz schlagen zu wollen. Er schätzt Genauigkeit, Qualität und Kontext, statt nur schnell und erster zu sein. Er vermeidet Berühmtheiten, Sensation und Ereignisse, die bereits von einer Herde Reportern abgedeckt werden. Er nimmt sich Zeit, Dinge zu erfahren. Er sucht unerzählte Geschichten. Er verlässt sich auf die Kraft des Narrativen. Er sieht das Publikum als Kollaborateur an.“ (Berkey-Gerard 2009)

Schöne Beispiele für Slow Journalism sind unter anderem narratively und Aeon.

Doch was soll das jetzt mit Brand Storytelling zu tun haben? Dies ist ja immerhin das übergeordnete Thema unseres Blogs. Die Antwort: Einiges, denn

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Der Kampf gegen Unsichtbarkeit und Müdigkeit

Die Übersättigung macht auch vor dem Content Marketing keinen Halt. „How to Come Up with 93 Blog Ideas in 10 Minutes“, “101 Blog Content Ideas To Make Your Blog Post HOT”, “103 Blog Post Ideas That Your Readers Will LOVE”: Diese und ähnliche Tipps sind nur ein Symptom. Mit schnell ausgedachten Headlines und Themen füttern Unternehmen Suchmaschinen, Social-Media-Kanäle und Posteingänge. Genau wie ihre Konkurrenz veröffentlichen sie ihre Tipps und Tricks, Best Practices, How-tos, etc. Und das müssen sie auch. Sonst verschwinden sie in der Unsichtbarkeit.

Dabei beobachte ich bei mir selbst bereits seit Langem eine gewisse Müdigkeit auch aus Lesersicht. Als ich mit den Vorbereitungen für unser Buch „Storytelling für Unternehmen“ (mitp Verlag) begann, habe ich natürlich ein paar Google Alerts zu dem Thema bestellt, die ich auch weiterhin jeden Tag scanne. Wenn die Headline einigermaßen Business-relevant klingt, klicke ich sie, schaue auf die ersten drei Sub-Headlines und Bilder und poste es ab und zu automatisch auf Twitter weiter. Wirklich gelesen haben ich vielleicht zwei Sätze, weil ich mir den Rest schon denken kann. Nur selten packt mich ein Artikel so sehr, dass ich ihn bis zum Ende aufmerksam verfolge.

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Unsere Leser sind wahrscheinlich (hoffentlich) weniger oberflächlich. Doch, wenn wir mal ehrlich sind, auch wir haben uns dem Fließband versklavt, immer wieder etwas Neues zu produzieren, das wir auf unserem Blog, Facebook, Newsletter & Co. posten können und das Google zeigt, dass wir existieren. Dabei gibt es natürlich auch einige andere Motivationen, zum Beispiel, dass wir durch das Schreiben selbst auch immer weiter lernen. Und unser Publikum dankt es uns auch, wie diese Antwort per E-Mail zeigt: „Ich muss Ihnen einfach mal sagen, wie gerne ich Ihren Newsletter lese und wie viele Inspirationen ich hieraus ziehe. Vielen Dank dafür!“ Es gibt also Grund für Optimismus.

Mehr Achtsamkeit für mehr Aufmerksamkeit

Slow Storytelling will dies auch alles nicht wegradieren. Es ist aber eine sinnvolle Alternative oder zumindest Ergänzung, die Marken hilft, ihre eigentlichen Kernwerte zu transportieren, indem sie Tiefgang und Substanz bieten.

Die Warnung vorweg: Es ist aufwendiger. Bei uns benötigt zum Beispiel ein üblicher Blogpost zu einem Standard-Thema etwa vier Stunden, bis er geschrieben, redigiert, bebildert und in WordPress eingefügt ist. Dahingegen investieren wir in Artikel wie unsere Highlight-Storys über Microsoft oder Hilti (die nicht einmal unsere Kunden sind) oder ausführliche Mitarbeiterporträts Tage.

Doch Slow steht hier nicht nur für den Zeitaufwand. Es steht auch für Einzigartigkeit, für das Auslassen von Trivialem, für die narrative Qualität, für die Kollaboration zwischen Story-Protagonist und Autor und für die generelle Achtsamkeit, mit der noch weiter unter die Oberfläche gebohrt wird. Dabei muss es nicht zwangsläufig in längere Artikel münden. Für 2017 haben wir zum Beispiel zwei Jahresrückblicke veröffentlicht: einen positiven und einen selbstkritischen. Während der positive Beitrag vor allem hinsichtlich der visuellen Aufmachung mehr Zeit benötigte, bedurfte es für den selbstkritischen Artikel eher mehr Achtsamkeit in Hinblick auf Selbstreflexion und Ehrlichkeit.

Der Vorteil dieser Investition: „Slow“ kommt auch beim Publikum an. Das merken wir zum Beispiel an Leserfeedbacks und Shares. Aber genug von uns. Ein unabhängigerer Beweis: Die App Blendle ermöglicht es, einzelne Artikel aus Print-Zeitschriften oder Online-Abos zu kaufen und zu lesen. In Zeiten von Kostenlos-Content sind die Leute also immer noch bereit, Geld für redaktionelle Inhalte zu bezahlen. Wer einen genaueren Blick auf die beliebtesten Artikel wirft, wird selten auf tagesaktuelle Trump-Tiraden, Nahrungsmittelskandale oder Bahnstreiks stoßen. Was die Leute interessiert, sind Themen mit Tiefgang, nahbaren Protagonisten und Alltagsbezug, wie die SZ-Reportage über Tinder-Heiratsschwindler oder Einblicke eines berühmten Yale-Seminars, das den Weg zu mehr Glück lehrt, aus dem New York Magazine.

Slow Storytelling heißt also nicht, als letzter anzukommen und sich möglichst viel Zeit zu lassen. Es heißt, bei aller Schnelligkeit und Agilität auch als Unternehmen mehr Energie und Achtsamkeit in Substanz zu investieren und somit dann auf dem Siegertreppchen in der Lesergunst zu landen.

… Und es macht dazu auch noch wesentlich mehr Spaß, solche Inhalte zu kreieren.

Miriam Schwellnus (geb. Rupp)

Miriam nimmt die Rolle der Kapitänin der Agentur ein und führt diese durch die Zeiten des Medienwandels. Sie manövriert bekannte wie auch neue Gewässer mit Begeisterung. Wer sich darauf einlässt, kann eine turbulente, mitreißende Fahrt erleben.

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