Blake Mycoskie, Gründer von TOMS Shoes, befindet sich auf dem Weg ins Büro, als seine Frau Heather Lang anruft. Einen Tag zuvor am 08. November 2018 eröffneten Schützen ein Feuer in einem Nachtclub im kalifornischen Thousand Oaks, nur zwanzig Minuten von ihrem Haus entfernt. Seine Frau spricht davon, sich nicht mehr sicher zu fühlen. Sie sei der Gedanken und Gebete müde, sie müssten etwas gegen Waffengewalt tun. Mycoskie schreibt daraufhin seine nach eigenen Aussagen intensivste Email an den Vorstand und jetzigen CEO der Marke. Darin plädiert er dafür, dass TOMS klare Stellung zur Beendigung der Waffengewalt einnimmt – und dabei das Modell überarbeitet, das die Marke seinerzeit berühmt gemacht hat.
TOMS Shoes war ursprünglich mit der Vision „One for One“ gestartet, für jedes verkaufte Paar Schuhe eines an bedürftige Kinder zu spenden. Seit seiner Gründung 2006 ist das Unternehmen ein Synonym für Corporate Giving und Social Engagement geworden. Doch alle bisherigen sozialen Unternehmungen der Marke waren nie politisch. Das Risiko, durch diese Kampagne viele Kunden zu verlieren, die keine politische Marke wünschen, war durchaus berechtigt.
Dennoch wurde nur zwölf Tage, nachdem Mycoskie den Anruf seiner Frau erhielt, die Webseite neu gestaltet, um die Initiative „End Gun Violence Together“ zu bewerben und das Thema zu priorisieren. Das Unternehmen selbst spendete fünf Millionen Dollar an gemeinnützige Organisationen, die sich für das Ende der Waffengewalt einsetzen.
Der Grundgedanke von Blake Mycoskies Engagement war: „Wenn wir als Wirtschaftsführer so viel Macht haben, müssen wir sie auch nutzen.“ Eine Aussage, die sicher auch bei der für Marken attraktiven Generation Z ankommt. Eine Zielgruppe, der es wichtig ist, was Unternehmen tatsächlich tun und weniger was sie sagen. Verbraucher verlangen von Brands mehr denn je, wenn es darum geht etwas Gutes zu tun. Sie unterstützen ein Unternehmen, dessen Themen sie befürworten, wohingegen sie sich weigern, dessen Produkte zu kaufen, wenn es ihren Überzeugungen widerspricht.
Ein Beispiel dafür ist auch die viel diskutierte Nike-Kampagne mit Colin Kaepernick. Unter seiner Moderation zeigt der Werbespot Sportler und Sportlegenden, die trotz äußerer Widerstände ihre Träume verwirklicht haben. Mit „Dream Crazy“ bezieht Nike erneut Stellung in politisch turbulenten Zeiten. Denn der 30 Jahre alte Quarterback und Initiator der kontroversen Kniefallproteste, die ihm in der NFL sein Team und seinen Job kosteten, ist längst mehr als ein Football-Spieler. Er ist ein politisches und gesellschaftliches Symbol. Eine Ikone des Widerstands, von den einen geliebt, von den anderen gehasst.
So verwundert es nicht, dass Gegner des politischen Protestes und Anhänger Trumps nach der Kampagne ihre Nike-Schuhe verbrannten und zum Boykott der Marke aufriefen. Die politischen Anhänger Kaepernicks und Gegner von Trump kauften hingegen erst recht Sneaker des amerikanischen Sportartikelherstellers und stehen komplett hinter der Firma.
Wie auch Nike versuchen viele Marken sich mit sozialen oder politischen Kampagnen zu positionieren, um sich mit emotionalen Geschichten ins Gespräch zu bringen und eine persönliche Verbindung zur Zielgruppe herzustellen. Doch müssen die Unternehmen mittlerweile feststellen, dass traditionelles Geschichtenerzählen nicht mehr so effektiv wie früher ist, um bei der Zielgruppe zu punkten. Der Grund, warum es nicht immer funktioniert, liegt in der mangelnden Authentizität.
Storytelling ist nicht nur ein weiteres Mittel im Marketing-Mix, sondern muss von den Kernprinzipien einer Organisation bestimmt werden und die Stimme und Kultur der Gesellschaft verkörpern. Es reicht nicht länger aus, als Marke nur für eine Sache zu werben. Die Zielgruppe erwartet vielmehr, dass Unternehmen ihr Engagement auch unter Beweis stellen und entsprechende Maßnahmen ergreifen. Doch wenn Storytelling allein nicht mehr genügt, um das Publikum zu erreichen und die Konsumenten auf einer tieferen Ebene einzubeziehen, führt das Brands unabdingbar zum nächsten Schritt.
Wenn reines Storytelling nicht mehr fruchtet, kann Storydoing bzw. Storyliving ein Weg sein, die Authentizität einer Marke zu erhöhen. Das heißt, statt nur eine Geschichte zu erzählen, muss ein Unternehmen auch entsprechende Maßnahmen ergreifen, zum Beispiel um positives Verhalten bei anderen zu fördern, eine Sache zu unterstützen oder sinnvolle Erfahrungen zu machen.
Dass es funktionieren kann, seinen eigenen politischen Glaubensgrundsätzen zu folgen und zur Love Brand für die Zielgruppe zu werden, zeigt auch das Beispiel von Patagonia. Seit sich die Marke früh dafür entschieden hat, keine Felshaken mehr zu verkaufen, weil diese die Natur zerstören, hat diese Wendung dem Unternehmen eine feste Identität gegeben. Bei allen Produkten, Geschichten und Aktionen achtet der Hersteller von Outdoor-Kleidung darauf, dass diese auf den Wert einzahlen, gemeinsam unseren Lebensraum zu schützen.
So ist es nur konsequent, dass Patagonia 2017 gemeinsam mit anderen Klimaschutzaktivisten Präsident Trump verklagen wollte, weil seine Regierung plante, zwei unter Denkmalschutz stehende Nationalparks drastisch zu verkleinern. Ende 2018 hatte das Label angekündigt, seine Gewinne von zehn Millionen Dollar aus der massiven Steuersenkung an Umweltgruppen zu spenden. Der Protest richtete sich gegen die finanziellen Vergünstigungen für Millionenverdiener und Konzerne. Damit setzen die Kalifornier ein Zeichen, dass es die Pflicht von Firmen sei, gesetzliche Abgaben zu zahlen, um damit öffentliche, demokratische Institutionen zu finanzieren sowie zum Schutz sozial Benachteiligter und eben der Natur.
Egal, welche Vision ein Unternehmen antreibt, welche Grundsätze und Werte ihm wichtig sind, jede Marke kann eine Geschichte erzählen. Ob diese jedoch glaubwürdig ist und vom Publikum als wahrhaftig angenommen wird, zeigt sich erst oft im Handeln. Durch die Hingabe, ihre Werte und Vision zu leben, differenzieren sich Brands von bloßen Werbemaßnahmen und ihrer Konkurrenz und helfen zugleich ihrem Publikum, es ihnen nachzutun.
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