Was zur Hölle sind eigentlich Insights?
Egal, was wir tun, wie wir es tun und wann wir es tun – wir sollten es auf jeden Fall mit Insights machen. Insights, Insights, Insights. Morgens, mittags, abends!
In der Welt des Werbens gibt es seit jeher Begriffe, die so oft gelesen, gehört und vor allem gesagt werden, dass der eigentliche Sinn dahinter kaum noch hinterfragt wird. Ich meine, wer wird denn bitte nicht wissen, was eine Brand, eine Strategie oder eine Innovation ist? Die Antwort: verdammt viele! Und so schlich sich in die Themen- und Redaktionspläne eines jeden Medienarbeiters ein kleines Wörtchen, das in seiner Bedeutung so grundlegend und einfach ist, dass nur die Wenigsten zu fragen wagten: „Sag mal, was ist das denn?“ I-N-S-I-G-H-T-S. Und ja, auch gleich im Plural. Ein Insight kommt wohl selten allein. Mehrere Insights, bitte sehr!
Aber ganz von vorn! Übersetzt bedeutet das allgegenwärtige Wort „die Erkenntnis“ oder „Einsicht“. Klingt auf einmal viel bedeutsamer. Aber eben eine solche Erkenntnis ist gemeint. Eine, nach der Sokrates vor 3.000 Jahren suchte. Eine, die Galilei im Gefängnis verrotten ließ, und ja, auch die Erkenntnis, nach der jeder von uns ein Leben lang sucht. Nichts geringeres als das! Ziemlich überraschend also, dass jede Umfrage neue Insights liefert und wir jedes Interview mit ihnen verlassen. Aufmerksamen Lesern dämmert es bereits: Nicht überall, wo Insight draufsteht, ist auch Insight drin. Was mich zum ersten Punkt bringt:
Was Insights nicht sind:
Mit einer neuen Erkenntnis über das Verhalten einer Person, Personengruppe oder eines Sachverhalts kann man viel bewegen. Unternehmen machen sie zum Dreh- und Angelpunkt ihrer gesamten Geschäftsstrategie, Werbende kreieren mit ihrer Hilfe Claims, Journalisten und damit auch wir PR-Berater sind auf der Suche nach ihnen, weil sie die Welt aus einer neuen Perspektive zeigen. Ein Verständnis zum Begriff entsteht, wenn man zunächst klärt, was ein Insight nicht ist:
Daten sind keine Insights!
Studien und Umfragen können wunderschöne Daten liefern. Aber das war es dann auch erstmal. Daraus einen Insight zu generieren, verlangt mehr. Die Gefahr, bei der Analyse und Interpretation eines Datensatzes nur einen Zusammenhang zu sehen und ihn zur Erkenntnis zu krönen, ist groß. Wenn beispielsweise das Vergleichsportal Gehalt.de ermittelt, dass Handwerker mit Meistertitel knapp 9.000 Euro mehr verdienen als die Kollegen ohne, ist das noch lange kein Insight. Eine Erkenntnis setzt eine ganzheitliche Form des Denkens voraus.
Beobachtungen sind keine Insights!
„Wir konnten beobachten, dass Supermarktbesucher mehr Wein kaufen, wenn Klaviermusik läuft.“ Beobachtungen wie diese sind eine gute Voraussetzung dafür, eine Erkenntnis zu finden. Die Korrelation an sich genügt jedoch nicht. Beobachtungen lassen das Konsumentenverhalten als große Black Box zurück und verschweigen uns die große Frage nach dem „Warum?“. Welche Motivation und Prozesse stecken hinter dem Verhalten? Dass wir durch Musik beeinflusst werden, ist noch keine Nachricht mit Aha-Effekt.
Bedürfnisse sind keine Insights!
Was wollen die Nutzer meines Produkts, die Besucher meiner Website, die User meiner App? Fragen, die unmissverständlich geklärt werden müssen? Ja! Fragen, deren Antworten uns ein Insight bescheren? Erstmal noch nicht. Auch hier bleibt die tiefergehende Motivation im Kopf der Nutzer, Besucher und User verborgen. Selbst, als Rügenwalder Mühle 2014 erkannte, dass viele Fleischesser viel weniger Fleisch essen wollen, war das, ihr ahnt es bereits, noch keine Erkenntnis. Richtig interessant bleibt auch hier die Frage: „Warum?“
Was Insights übrigens auch nicht sind:
Zu den drei aufgeführten Fällen kommen noch unzählige andere Beispiele, bei denen das Wörtchen mit sechs Buchstaben missbraucht wird. So sind Insights auch keine internen Informationen aus einem Unternehmen, Insider-Wissen eines Experten oder der Besuch eines Kunden im neuen Büro. Die Aufschlüsselung eines komplexen Prozesses, die Offenlegung wichtiger Zahlen, das Finden meines Hausschlüssels – keine Insights.
Was ist denn nun ein Insight?
Wer sich jetzt auf die Zwei-Satz-Definition des Begriffes freut, wird herbe enttäuscht. Es gibt sie nämlich nicht. Da sich Insights fast überall, oft direkt vor unseren Augen befinden, müssen wir vorher klären, was wir mit der Erkenntnis bewirken wollen. Geht es um die Konsumenten (Consumer Insight), um die Brand (Brand Insight), um das Nutzerverhalten (Product- oder Usage Insight)? Wer glaubt, eine gefunden zu haben, muss sich folgende Fragen gefallen lassen:
Handelt es sich um eine nicht anerkannte (neue), grundlegende, menschliche Wahrheit?
Verändert meine Erkenntnis die Art und Weise, wie wir die Welt sehen? (oder auch: F***, wieso ist mir das nicht eingefallen?)
Ist es eine Entdeckung, die die zugrundeliegende Motivation der Handlung einer Person oder Personengruppe beschreibt?
Cases, in denen alle drei Fragen mit „Hell yes!“ beantwortet werden können, sind zum Beispiel der berühmte Schrei von Zalando, der auch noch nach X Jahren in uns nachhallt. Was war der Insight? Es wurde tief in den psychologischen Kaufprozess der Menschen geschaut: Welches ist der emotionalste Moment beim Online-Shopping? Eben, wenn der Lieferant mit den neuen Schuhen an der Tür klingelt. An diesem fast schon uralten Beispiel lässt sich außerdem veranschaulichen, wie vergänglich ein Insight ist. Nach dem Erfolg der Kampagne mag einem die Erkenntnis kaum mehr als eine Solche vorkommen – so gut war sie eben.
Ein anderes Beispiel ist die zig-fach ausgezeichnete Kampagne des thailändischen Immobilienunternehmens AP.
Die denkbar einfache Erkenntnis: Fußballfelder müssen nicht immer rechteckig sein. Ein absoluter Paradigmenwechsel gepaart mit Wohltätigkeit und obendrauf noch lachende Kinder – ein perfekt genutzter Insight.
Hat ein Unternehmen eine Erkenntnis mit solch durchschlagender Qualität gefunden, können sich die Kreativen in der Marketingabteilung erstmal zurücklehnen und sich gegenseitig auf die erleuchteten Schultern klopfen. Für den Claim einer Kampagne müssen sie den Insight nicht mal mehr umformulieren. Wenn er richtig gut ist, haben sie für das ganze nächste Jahrzehnt ausgedient. Das gilt jedenfalls für den amerikanischen Nahrungsmittelkonzern Mars Inc. Vor mittlerweile neun Jahren sah die Welt zum ersten Mal Aretha Franklin auf dem Rücksitz eines zu engen Autos nörgeln. Aber es war gar nicht sie! Es war Jeff, der einfach nur hungrig war! „Du bist nicht du, wenn du hungrig bist“ zeigte das Schokinaschen aus einer völlig neuen Perspektive und ist bis heute Grundlage unzähliger, lustiger Clips.
Das Menschen Hunger haben, ist durchaus bekannt. Dass Menschen aber unausstehlich werden können, wenn sie Hunger haben, war im Jahr 2010 ein neuer Aspekt.
Fazit: Vorsicht!
Es ist also Vorsicht geboten beim Gebrauch des Wortes. Wenn ihr es das nächste Mal hört, stellt euch die drei Fragen und entscheidet: Hat mein Gegenüber mal einen Blogpost zum Thema gelesen? Seid aber nicht zu hart zu ihm, denn in den meisten Fällen, wird sich euer Gesprächspartner still und heimlich denken: „Was zur Hölle sind eigentlich Insights?“
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12. November 2024