Eine Gute-Nacht-Geschichte mit Horror-Faktor…

soll verhindern, dass die Berliner S-Bahn zu einer Ess-Bahn wird. Doch was hat das mit dem Joker aus Gotham City zu tun? Am 29.03.2019 präsentiert die Berliner S-Bahn das erste Video der Kampagne: „Wir sitzen alle im gleichen Zug. Nehmt Rücksicht!“ Zu sehen ist ein großes, gruselig aussehendes Haus im Dunkeln, an dem eine S-Bahn vorbeifährt und der Titel „Das Haus am Gleis“ in gekräuselter Schrift eingeblendet wird, wie beim Anfang eines Horrorfilms. Zunächst ist ein Mädchen zu sehen, dass sich eine Gute-Nacht-Geschichte vorlesen lassen möchte. Als die Mutter beginnt vorzulesen, wird eine Szene in einer S-Bahn eingeblendet.

Mit schauriger Musik unterlegt ist ein Mann zu sehen, der einen Döner auspackt, sich mit verstohlenem Blick umschaut und diesen daraufhin auf groteske Art verschlingt. Dabei schmiert er sein gesamtes Gesicht mit scharfer und Knoblauchsauce ein und lässt Essensreste auf den Boden fallen. Mitreisende aus dem Waggon rümpfen die Nase und werfen angeekelte Blicke auf den Übeltäter. Dieser hat erstaunliche Ähnlichkeit mit Heath Ledger aus „The Dark Knight“.

Nach dem ersten Streich folgt sogleich der zweite Streich

Das Timing dieses ersten Videos ist in jedem Fall ideal gewählt, denn nur fünf Tage später erscheint der Trailer des „Joker“ Films, der über 21 Mio. Views in den ersten zehn Stunden erzielt. Davon 10 Mio. Zuschauer:innen auf Twitter, 8 Mio. auf YouTube und knapp 3 Mio. auf Facebook. Die Berliner S-Bahn kann bisher immerhin 290.000 Views vorweisen. Es handelt sich um eine zweiteilige Videoreihe, die auf dem YouTube-Kanal der Berliner S-Bahn erscheint.

Das zweite Video folgte am 10. April mit dem Thema: „Rauchen in der S-Bahn – Horror!“. Der Aufbau ist wieder gleich, die Mutter sitzt auf dem Bett ihrer Tochter und liest ihr eine Geschichte vor. Während die unheimliche Musik erklingt, wird ein Mann im Anzug gezeigt. Dieser schnipst seine Zigarette gegen die S-Bahn und atmet den Rauch im Waggon aus.

Beim Schließen der Türen füllt sich der gesamte Waggon mit dem Qualm und man sieht nur noch von außen, wie der Herr mit angsterfüllten Augen an der Scheibe klebt und versucht zu fliehen. Das Happy End wird wiederum dadurch dargestellt, dass in einer neuen Szene die Zigarette vor Betreten des Bahnhofs in den Mülleimer geworfen wird. Daraufhin kann auch das Mädchen wieder beruhigt und angstfrei einschlafen.

Was finden wir gut?

  • Der Spot weist einen hohen Storytelling-Faktor auf, da die S-Bahnreisenden, die ihr Essen nicht in der Bahn verspeisen, als Held:innen dargestellt werden, die Rücksicht auf ihre Mitmenschen nehmen.
  • Weiterhin gliedert sich das Video schön in eine Reihe von lockeren und nahbaren Videos ein, die das Unternehmen von einer sympathischen Seite präsentieren. Auf diese Weise wird den Followern neben den Meldungen zu Bauarbeiten auf den verschiedenen Strecken, auch etwas Unterhaltung geboten.
  • Die aufwendige und visuelle Umsetzung des Videos ist auch gelungen und zeigt viel Liebe zum Detail. Das knapp zwei-minütige Video erinnert tatsächlich an einen Horrorfilm und könnte genauso gut eine Netflix-Produktion sein.
  • Die damit einhergehende Anspielung auf den Joker aus dem Batman-Film ist daher sehr passend und sorgt für einen echten Hingucker und Wiedererkennungswert.
  • Der Claim „Wir sitzen alle im gleichen Zug“ motiviert und überzeugt zudem auf eine charmante und nicht belehrende Art.
  • Zu erkennen ist auch eine gewisse Anspielung auf die Moralgeschichten aus dem Struwwelpeter, die alle Kinder kennen. Mit ähnlich verstörenden Bildern aber auch einem Happy End kommt die Message im besten Fall an.

Wo besteht Potenzial?

  • Der Titel „Das Haus am Gleis“ überzeugt nicht auf ganzer Linie, da er nicht unbedingt das Interesse der Zuschauer weckt. Es klingt zwar nach einem Horrorfilm, aber außer dem Wortspiel „Essen in der S-Bahn ist Horror“ ist kein direkter Bezug da und das Haus an sich nimmt keinen großen Platz im Video ein.
  • Das Haus am Gleis bildet zwar den Rahmen, da die Mutter ihrer Tochter dort die Gute-Nacht-Geschichte vorliest, aber es hat keine Relevanz für die Geschichte.
  • Das Potenzial der Kampagne könnte zudem vergrößert werden, wenn sie auf weiteren Kanälen genutzt werden würde. Hierfür wären Instagram, Twitter oder Facebook sinnvolle Kanäle, wie der Joker-Trailer und seine Aufrufzahlen zeigen.
  • Die Bezeichnung der beiden Clips als „Miniserie“ erscheint dem Format nicht ganz gerecht. Man erwartet bei dieser Bezeichnung mehr als zwei Videos, daher werden mit dem Titel etwas zu hohe Erwartungen geschürt.
  • In dem Zusammenhang wäre es sowieso schön, wenn weitere Videos in dem Stil umgesetzt würden. Genug weitere Verhaltensregeln für den öffentlichen Nahverkehr sollte es geben, und so könnte die Langlebigkeit der Kampagne und das Potenzial maximiert werden.

Fazit:

Inwiefern das Joker-Double oder der Business-Mann die Berliner:innen dazu ermutigen können, Rücksicht auf Mitmenschen zu nehmen, bleibt abzuwarten. Sicher ist aber, dass jemand, der das Video gesehen hat, sich daran erinnern wird.

Christina Schoof

Christina brennt für Content und hält gerne Workshops. Mit farbenfroher To-Do-Liste sind auch die vielfältigsten Aufgaben kein Problem.

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