Das gleichmäßige Rattern des Zuges macht müde, das langsame Schwanken der Wagons trägt sein Übriges dazu bei. Mit zweihundert Kilometern pro Stunde fährt der ICE durch die Landschaft. An den Fensterscheiben zieht der trübe Einheitsbrei der deutschen Bahndammbebauung vorbei: eskalierte Brombeersträucher, verlassene Stellwerke und Lieferrampen vorstädtischer Baumarktfilialen. Langsam bremst der Zug ab. Die Fahrtroute liest sich wie die umgekehrte Vita meiner Kollegin und Heldin dieser Mashie-Story, Lisa de Haardt: Berlin, Dortmund, Bochum, Essen. Wenn man einen Menschen kennenlernen möchte, soll es ja helfen, sich auch die Geburtsorte anzuschauen.
Aus diesem Grund steigen wir in Wesel aus dem Zug aus. Der Pott, das fällt schnell auf, besteht längst nicht mehr aus rauchenden Schloten und den endlosen Weiten der ausgebaggerten Kohlegruben. Die 60.000 Einwohner-Stadt ist dagegen sehr idyllisch: Direkt am Rhein gelegen, geben historische Giebelhäuser und der Willibrordi-Dom einen Eindruck von der historischen Vergangenheit der Hansestadt. Handel und Schifffahrt sind seit Jahrhunderten untrennbar mit Wesel verbunden, Das Reisen ist hier allgegenwärtig. Vielleicht ist die Kindheit in dieser Atmosphäre ein Grund, warum es Lisa immer wieder in ferne Länder zieht?
Ihr bislang größtes Abenteuer führte sie einmal um die Welt. Von Thailand nach Laos, weiter nach Vietnam, Malaysia, Indonesien bis ins ferne Neuseeland. Wenn die Welt vor einem liegt wie eine offene Schatzkarte, fällt es schwer, sich festzulegen. Ein paar Tage, ein paar Wochen und schon ging es weiter – ins nächste Flugzeug, in den nächsten Zug, in den nächsten Bus. Eine Weltreise bedeutet für Lisa auch Rastlosigkeit. „Ich will niemals dahin, wo ich schonmal war, sondern immer Neues erfahren.“
Lisa und ihrem Reisepartner war es wichtig, dem Winter zu entfliehen. Aus diesem Grund liest sich ihre Reiseroute wie ein Neckermannkatalog zur Sommersaison. Einzige Ausnahme blieb dabei Neuseeland, wo ihre Wanderungen durch die Weiten von Mittelerde von der einen oder anderen Schneeflocke begleitet wurde. Bevor ansatzweise kühle Temperaturen zur Gewohnheit werden, tauchte Lisa in die Welt Zentralamerikas ein. Ein besonders einschneidendes Erlebnis war dabei eine Schifffahrt von Panama nach Kolumbien. „Weil der Landweg geschlossen ist, konnten wir nur über den Seeweg einreisen. Dumm nur: Unser Motor fiel unterwegs aus. Die Navy war von unserem Manöver dabei wenig begeistert.“ Den Motor konnte die kleine Crew zum Glück selbst reparieren. Der aufkommende Wind trug sie zudem unabhängig von der Technik zum Ziel.
Lisa hat viele solcher Abenteuergeschichten erlebt. Doch um sie aus ihr herauszukitzeln, braucht es manchmal ein kleines Weilchen und aktives Nachfragen. Lisa drängt sich nicht auf. In Zeiten, in denen es fast kein Entkommen aus den Urlaubserinnerungen unserer Mitmenschen gibt, eine erfrischende Abwechslung. Dank der sozialen Medien und der Erwartungshaltung langer Fernreisen zur Selbstfindung sind Palmen und Strände in Erzählungen und Bildern fast alltäglich geworden. Bei Lisa dienen ferne Karibikinsel nicht zur Instagram-Feed-Befüllung, sondern zeugen von ihrem ehrlichen Interesse für andere Kulturen, ihrer Begeisterungsfähigkeit für Abenteuer und das Unvorhergesehene sowie dem Spaß daran, aus ihrer Komfortzone auszubrechen und den Alltag hinter sich zu lassen.
Flucht aus dem Alltag? Eine Leidenschaft fürs Unvorhergesehene? Auch diese Elemente ziehen sich wie ein roter Faden durch Lisas Leben, verbrachte sie doch mehrere Jahre in der Kulturszene von Essen und Mühlheim an der Ruhr. Besonders angetan hat es ihr dabei das Theater: die endlosen, verwinkelten Gänge, die immer tiefer in die Katakomben der Schauburgen verschwinden; der Geruch nach Schminke und heißlaufenden Scheinwerfern; die Aufregung, bevor sich der Vorhang bei einer Premiere öffnet. Es liegt ihr nichts daran, selbst auf der Bühne zu stehen. Viel lieber arbeitet sie im Hintergrund – fürs Publikum unsichtbar, für den vollen Zuschauersaal jedoch unabdingbar; selbst nicht in der großen Öffentlichkeit arbeitend, aber in der Öffentlichkeitsarbeit. Ganz grundsätzlich ist sie nicht der Typ Mensch, der sich selbst immerfort in den Mittelpunkt schiebt und das Rednertreppchen besteigt. Eher still – aber hin und wieder mit einem humoristischen Spruch treffsicher und auf den Punkt. In diesen Momenten merkt man, dass sie sich nicht hinter Abdeckfahnen, Backdrop und Kulissenbau verstecken muss, sondern auch im Scheinwerferlicht und an der Bühnenrampe zu glänzen vermag – wenn sie es denn will.
Im Theater schätzte sie besonders das Miteinander. Vom Schauspieler über den Visagisten bis hin zum Einlass müssen hier alle Hand in Hand arbeiten, damit das Erlebnis für das Publikum am Ende perfekt wird. Die wenigsten Involvierten stehen beim Applaus auf der Bühne. Doch wenn das Publikum klatscht, sind alle mitgemeint. Das begeistert Lisa. Genau wie das ständige Improvisieren, das Haushalten mit knappen Mitteln – Not macht erfinderisch – die sprühende Kreativität. „Vielleicht bekomme ich auch einen Schlag, sollte ich eines Tages in diese Szene zurückkehren“, sagt sie selber. Doch trotzdem wird der Kultur- und Schauspielbetrieb für sie immer ein Faszinosum bleiben. Wo sonst lässt sich ihr Interesse für Dialekte besser ausleben? Wo sonst können aufwendige Kostümproduktionen – Lisa ist ein großer Fan davon – auch außerhalb von arte, ARD und ZDF genossen werden?
Nach vielen Jahren in Nordrhein-Westfalen und zahlreichen Monaten in den Paradiesen dieser Welt sehnte sich Lisa wieder nach festem Boden unter den Füßen und einem Zuhause, nicht nur für begrenzte Zeit. Veränderung musste her. Der Zeitpunkt erschien ideal, um einen langen Traum zu erfüllen und Berlin als neuen Lebensmittelpunkt festzusetzen. In Friedrichshain fand sie einen Stadtteil, der Lisa städtebaulich repräsentiert: Ein bisschen Hipster, ein bisschen Alternativ, gesellig. Mit Letzterem kennt sich Lisa ganz besonders aus: Über mehrere Jahre lebte sie in einer 7er-Wohngemeinschaft. Vielleicht kommt daher ihr Hang zum sozialen Miteinander, das auch gemeinsame Mahlzeiten als Ritual berücksichtigt? Offen, doch stets schlagfertig – Lisa kann zudem nicht nur als eine Art Blaupause für den sympathisch-frechen Ruhrpottbewohner herangezogen werden, sondern ist damit mit Berlin mehr als kompatibel.
Ist Lisa nach all den Reisen angekommen? Vorläufig wahrscheinlich schon, doch es ist nicht auszuschließen, dass sie nicht doch nochmal das Fernweh packt und der Ruf des Abenteuers immer lauter schallt. Bis dahin hat sie an der Spree eine Heimat gefunden – und wenn die Vermissung nach den Orten ihrer Kindheit zunimmt und diese eine neue und ungeahnte, exotische Attraktivität bekommen, dann kennt sie den Weg ja: Berlin, Dortmund, Bochum, Essen, Wesel – begleitet von dem gleichmäßigen Rattern und langsamen Schwanken des Zuges.
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