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Dass hinter #weilwirdichlieben die BVG steckt, weiß jeder Berliner. Aber weshalb #weilwirdichlieben? Wieso ist die Kampagne nach einem ausgewachsenen Shitstorm mittlerweile so erfolgreich? Wie konnte sich die BVG zur Love Brand mausern? Darüber spricht Miriam Rupp mit Martell Beck, Head of Sales und Marketing bei der BVG.
Miriam: Poste deine schönsten BVG Momente mit #weilwirdichlieben. Dieser Aufruf vom 12. Januar 2015 war der Startschuss einer Storytelling Kampagne, die mit einem Shitstorm begannen, aber bis heute anhält und mittlerweile die Herzen der Berliner erobert hat. Ich habe heute das Vergnügen, darüber mit Martell Beck, Leiter Marketing und Vertrieb der BVG, zu sprechen, der diese Reise von Anfang an mit begleitet hat.
Miriam: Martell, du bist Leiter der Abteilung Marketing und Vertrieb bei der BVG, hast also einiges zu verantworten. Was sind denn eigentlich deine Aufgaben?
Martell: Also im Kern verantworte ich hier im Haus die Kundenschnittstelle. Das heißt, alle Anliegen, die ein Kunde haben könnte, landen irgendwie bei mir und meinen Kolleginnen und Kollegen. Das fängt an mit dem Festlegen der Preise gemeinsam mit dem Verkehrsverbund und den anderen Verkehrsunternehmen, wir machen klassisch Marketing, also Werbung, wir haben den Vertrieb, wir verkaufen die Tickets und wir haben auch die Schwarzfahrkontrolleure bei uns. Ich sage immer, Schwarzfahren ist auch Vertrieb, allerdings zahlt man hinterher und nicht vorher. In Summe ist meine Verantwortung die Kundenschnittstelle und die Verantwortung ist Umsatz. Ich habe die Kasse in der Hand, also am Jahresende sollte die insbesondere stimmen!
Miriam: Kannst du kurz erzählen, was du vorher gemacht hast? Also seit wann bist du bei der BVG? Wo kommst du eigentlich her und was hat dich hierher verschlagen, in die Hauptstadt Berlin und zur BVG?
Martell: Ich bin jetzt sieben Jahre bei der BVG und quasi immer in dieser oder ähnlichen Funktionen tätig: mal Marketing, mal Marketing und Vertrieb oder Marketing und Kommunikation, aber eigentlich eigentlich immer das gleiche Thema.
Ich selbst bin ein Kind der Branche und arbeite seit 2001 in diesem Bereich, hab historisch mal bei der Deutschen Bahn angefangen und war mal Vorstandsassistent, mal in der Konzernstrategie und letztlich dort für die Marketingstrategie zuständig. Das habe ich acht Jahre lang gemacht, war dann bei einem Stuttgarter Verkehrsunternehmen, auch Marketing und Vertrieb. und war da vielleicht drei, vier Jahre und bin dann zur BVG gekommen, weil ich schnöde abgeworben wurde, und bereue es nicht.
Miriam: Also von Stuttgart nach Berlin, die klassische Reise!
Martell: Genau, der ein oder andere glaubt, ich sei ein Schwabe, aber nein, ich bin zwar in Heidelberg geboren, aber aufgewachsen in Westerwald am Rhein, aber Berlin ist super. Ich bin gerne hier und möchte auch nicht mehr weg.
Miriam: Unabhängig von Gehalt und so weiter: Was war das Ausschlaggebende, warum du gesagt hast, du wechselst jetzt zur BVG? Gab’s inhaltlich irgendwelche Punkte, die dich besonders gereizt haben?
Martell: Wir haben hier einen ziemlich jungen Vorstand und ich glaube, der ist auch immer noch jung – quasi mein Alter. Aus eurer Sicht nicht jung, aber ich würde mal behaupten „ja, sie sind jung“ und die sind nicht hier, um Wohlstand zu verwalten, sondern die wollen was bewegen!
Sie haben auch noch viele Jahre vor sich und sagen: „Wir wollen ÖPNV neu denken und wir wollen es groß denken!“ Also das heißt, die Aufgabe ist da und sie wollen etwas bewegen und sagen mir: „Hey, du kannst was bewegen!“ Das ist der eine Punkt. Auf der anderen Seite ist die BVG auch das größte Nahverkehrsunternehmen in Deutschland. Es gibt keinen der größer ist, also wenn man was Wahrnehmbares produzieren will, dann doch hier. Der dritte Punkt ist natürlich Berlin. Berlin ist eine coole Stadt! Ich war schon für die Deutsche Bahn hier. Ich habe hier so schnell Leute kennengelernt, mich sehr wohlgefühlt und da dachte ich mir: „Hey, das ist doch Gehaltsbestandteil, in so einer Stadt arbeiten zu dürfen! Dann mache ich das doch gerne.“
Miriam: Super! Dann sprechen wir jetzt mal über die Kampagne #weilwirdichlieben. Es gab ja unglaubliche mediale Resonanz am Anfang, aber auch immer wieder, wenn ihr ein Highlight-Video auf Facebook postet wie „Is mir egal“ oder „Ohne dich“. Kannst du noch mal drüber sprechen, wie ihr quasi mit diesem Claim „Weil wir dich lieben“ euren Markenkern gefunden habt? Also wie war die Ausgangslage? Als du zur BVG gekommen bist zum Beispiel, da gab es noch nicht „Weil wir dich lieben“ – wie seid ihr dahin gekommen?
Martell: Die BVG hat schon viele Kampagnen gemacht im Vorfeld und es war immer die Frage: „Was muss ich tun, damit es in Berlin zum guten Ton gehört, BVG zu fahren?“ Dieses Unternehmen kann nur dann erfolgreich sein, wenn es umsatzseitig wächst. Also müssen wir neue Kunden gewinnen, aber irgendwie gehört es nicht zum guten Ton.
Die Leute lästern über die BVG nach Herzenslust. Guckt man in die Marktforschung, dann stellt man fest, dass 47% unserer Kunden die BVG hassen. Das ist eine relativ schlechte Ausgangsposition. In deinem Unternehmen ist es hoffentlich nicht so, aber hier ist das eine Besonderheit und wir müssen etwas ändern. „Fahr doch pünktlich! Mach deine Busse doch sauber! Dann ändere doch das Produkt!“ Das ist in unserer Branche aber so unendlich schwierig, weil wir eine Dienstleistung am Kunden produzieren und wenn diese Stadt wächst und immer voller wird, dann steht unser Bus halt auch im Stau und ist nicht schneller und das geht mal nicht so. Auch wenn wir ein U-Bahn Fahrzeug bestellen: Vom Tag der Bestellung bis zur Lieferung der Serie vergehen sieben Jahre! Also es geht halt mal gerade nicht so.
Deswegen der Gedanke: „Dann lass doch – wenn wir das Produkt so schnell nicht ändern können – in das Serviceprodukt investieren!“ Wir machen viele digitale Themen, wir haben hoffentlich eine super App und machen an dieser Stelle relativ viel. Aber dann ändere doch die Wahrnehmung! Arbeite an der Einstellung der Leute, das klappt ja.
Mein Lieblingsbeispiel ist immer Jägermeister, auch weil ich die Kollegen dort gut kenne und gerne mag. Denen ist es gelungen, aus seinem Opa-Getränk ein cooles Getränk zu machen. Das Produkt hat sich nicht verändert!
Miriam: Das ist ein bisschen auch wie bei der BSR. Die hat das ja schon weit vorher gemacht, dass sie einfach so einem Beruf, den man als selbstverständlich nimmt und der irgendwie da ist, aber nicht unbedingt sexy ist, eine neue Wertschätzung gegeben hat.
Martell: Ja, „we kehr for you“, also wir kehren für dich.
Miriam: Das hat die Bahn noch nicht geschafft! Die Bahn hat ja im Prinzip ähnliche Probleme wie die BVG, nur auf einem anderen Level, aber die haben es noch nicht richtig geschafft, dieses Image loszuwerden, so dass sich dann doch jeder über die Bahn aufregt, auch wenn sie pünktlich kommt, irgendwas gibt’s immer.
Miriam: Vielleicht kannst du einfach noch mal ein bisschen erzählen. Ich habe am Anfang darauf schonmal verwiesen, dass die Reaktionen zum Claim #weilwirdichlieben gar nicht so positiv, im Gegenteil eher zynisch waren. Wie seid ihr noch mal auf diesen Claim gekommen? Darauf, das so emotional aufzuladen und was habt ihr euch quasi am Anfang, bevor ihr das rausgeschossen habt, davon versprochen?
Martell: Die Idee war: Das soll zum guten Ton gehören in Berlin, BVG zu fahren. Wie mache ich das am besten? Die Idee ist: Emotionalisiere deinen Fahrgast, also eine emotionale Kampagne zu machen. Willst du die Wahrnehmung ändern, dann emotionalisiere den Kunden. Wenn 45% der Kunden die BVG nicht mögen, dann heißt es: Sie nutzen sie, sie finden sie aber nicht sympathisch! Also was muss ich tun, damit die Leute die BVG sympathisch finden? Und dann war die Idee: Wir machen eine Kampagne und die muss emotional sein!
Wir haben also einen Pitch gemacht, dann lag ein Konzept auf dem Tisch und das hieß #weilwirdichlieben. Mach dem Fahrgast eine Liebeserklärung! Guck mal, das ist wie die Spülmaschine in einer langen Ehe. Also uns gibt es schon 90 Jahre in Berlin. Stell dir vor, das sei eine Ehe und am Anfang sind alle happy und du räumst die Spülmaschine auf, du bekommst ein Danke – nach 90 Jahren schon nicht mehr. Dann sagen wir: Hey, wir müssen es unseren Kunden noch mal sagen: Guck mal, die Busse habe ich für dich gekauft! Warum? Na nicht für mich, sondern weil ich dich liebe. Guck mal, das mache ich alles nur für dich!
Miriam: Auch wenn es nicht immer perfekt ist.
Martell: Genau, auch wenn es nicht immer perfekt ist. Wir machen dem Fahrgast eine Liebeserklärung. Das war die Idee, so sind wir auf den Claim gekommen. Er wurde viel diskutiert, dann sagen hier Kollegen: „Hm ja, die Leute lieben dich aber nicht.“ Also wenn du ihnen eine Liebeserklärung machst und eine Facebook-Seite eröffnest, dann gibt’s morgen die Facebook-Seite #weilwirdichhassen. Dann kannst du dich freuen, denn die haben im Zweifelsfall mehr Freunde als #weilwirdichlieben.
Und warum auch „lieben“? Alle lieben! Radio B2 liebt Schlager, Edeka die Lebensmittel und McDonald’s liebt es und jetzt lieben wir auch. Also wenn ich eine Liebeserklärung machen möchte, dann muss es auch Liebe sein! Es reicht nicht zu sagen „ich mag dich“, weil das funktioniert auch zu Hause nicht. Entweder es ist Liebe – oder nichts! Also sagen wir: „Nein, es muss #weilwirdichlieben sein oder eine Liebeserklärung sein.“ So haben wir es schlichtweg entschieden, wir machen das jetzt.
Ja, die Leute werden sagen: „Ich hasse dich trotzdem“ oder wenn der Bus zu spät kommt, sagen: „BVG, ich fühle die Liebe nicht, dann wärst du doch pünktlich!“ Da müssen wir durch. Es ist aber auch natürlich der Markenkern, es ist ein Serviceversprechen. Es passt deshalb so gut zu einem Dienstleistungsunternehmen wie der BVG, so dass jeder Mitarbeiter an seinem Ort sich quasi immer wieder vergegenwärtigen kann: „Hey, Fahrgast, das mache ich für dich!“ Es ist eine Liebeserklärung an den Fahrgast, also ein Aufruf – auch an die Mitarbeiter – diesen Dienst zu erbringen.
Miriam: Das passt auch super zum Storytelling-Ansatz, dass man im Prinzip nicht über sich selbst spricht, sondern erstmal generell die Zielgruppe zum Helden erweckt, was ihr ja macht, indem ihr eure Liebe eurer Zielgruppe, eurem Publikum schenkt in dem Claim schon und dadurch den Fokus ganz anders hinrückt und auch immer wieder das „warum“ betont. Vielleicht – oder ich weiß nicht, wie du siehst – war es auch ne gute Timing-Sache, weil natürlich #weilwirdichlieben jetzt auch von Mercedes hätte kommen können. Denkst du, ihr wart vielleicht auch mit einer der ersten in dem Bereich, die sagen: „Okay, wir gehen diesen Ansatz“? Und können eben auch diesen Claim noch besetzen, der eigentlich sehr universell ist, wenn man es so nimmt?
Martell: Ja, wir hatten schon den Eindruck, dass schon sehr viele da draußen lieben und wir nicht die ersten sind. Auch weil wir dann quasi als Symbol der Liebe unser viereckiges Unternehmenslogo in ein Herz verwandelt haben und dann waren die Kommentar so: „Ja, hier, Edeka hat doch auch das gelbe Herz und die lieben Lebensmitteln.“ Sind wir jetzt da weit auseinander? Aber die Wahrnehmung der BVG in dieser Stadt – ich brauche keine nationale Bekanntheit, ich brauche lokale Bekanntheit – jeder in Berlin kennt die BVG. Wenn wir das auf jedes Fahrzeug malen, dann haben wir einen Mediadruck, dann haben wir eine Aufmerksamkeit. Jeder wird lernen: „Das ist BVG!“ Unsere Marktforschung sagt auch eindeutig: Wenn die Leute ein gelbes Herz sehen, denken sie an uns.
Miriam: Okay, also 1:0 für euch gegen Edeka!
Miriam: Jetzt waren ja die Reaktion am Anfang gemischt, würde ich sagen. Ich kann mich jetzt gar nicht mehr so genau erinnern, so viele Tweets findet man heutzutage auch gar nicht mehr, aber ich weiß noch, dass die Grundstimmung war „naja, toll“. So ein bisschen wie DHL jetzt gerade, die möchten, dass man Fotos postet von dem tollen DHL Service und die Leute lassen da ihren Frust raus. Wie seid ihr damit umgegangen am Anfang? Habt ihr damit gerechnet, habt ihr mit mehr negativen Reaktion gerechnet und wart eigentlich erleichtert, dass du es nur überschaubar war?
Martell: Es war gar nicht überschaubar, es war eine Katastrophe, ein ausgewachsener Shitstorm, der am 13. Januar 2015, ich erinnere mich noch sehr genau daran, über die BVG hereinbrach. Wir haben ja gleichzeitig Social Media eröffnet. Facebook, Twitter, YouTube waren Fremdwörter für die BVG.
Idee war: Wir wollen die jüngere Zielgruppe ansprechen, dafür brauche ich diese Medien. Und ich will auch Reaktionen von den Kunden bekommen, ich will mit denen in den Dialog kommen. Sonst haben wir immer gesendet, jetzt kriege ich auf einmal Antworten. Und dann haben wir eben aufgerufen: „Hey, schick uns deine schönsten BVG-Momente!“ Aus heutiger Sicht muss ich sagen: Wie naiv waren wir! Die Leute konnten nie mit uns reden, jetzt konnten sie und dann haben wir damit ja eigentlich die Büchse der Pandora geöffnet.
Es ging los, mittags waren 50 Tweets bei Twitter, die sagten sinngemäß: „Ihr habt sie nicht mehr alle!“ Dann hat die – ich meine es war – die Berliner Zeitung zum Shitstorm ausgerufen und sagte: „Die BVG bettelt um Liebe!“ Am Abend hatten wir über Hunderttausend Tweets, waren Trending Topic Nummer eins national mit „Die Idioten von der BVG betteln um Liebe“. Und ja, SPIEGEL ONLINE, alle schrieben – die Welt, Bild – in den nationalen Ausgaben, wie blöd man sein kann.
Dann hat der Vorstand mich eingeladen und sagte: „Wollen wir mal reden?“ und auf die Frage, was ich denn davon halte, sage ich: „Also, Reichweite stimmt.“ Es ist die erste Kampagne der BVG, die augenscheinlich Menschen bewegt und erreicht. Dass wir tatsächlich in nationale Medien schaffen – gut, die Tonalität hätte ich mir schon anders gewünscht. Aber wir haben doch noch gar nicht angefangen, unsere Plakate zu schalten, unsere Tonalität rauszutragen. es ist Tag eins! Jetzt lasst doch mal anfangen!
Und genau das haben wir dann getan. Wir haben uns also nicht ärgern lassen. In öffentlichen Unternehmen wird dann normalerweise der Marketingchef gefeuert und man rudert zurück. Das haben wir nicht gemacht – ich bin ja noch da – sondern haben gesagt: Wir ziehen jetzt unseren Stiefel durch, starten diese Kampagne und wir gucken mal, ob wir damit in der Realität etwas bewegen können. Blöd war lange, wenn man #weilwirdichlieben gegoogelt hat, waren die ersten hundert Treffer immer irgendwie negativ, das hat eine gewisse Zeit gedauert, bis sich das umgekehrt hat.
Miriam: Du sagst das jetzt ganz cool und gelassen. War das wirklich so in der Situation, dass du da einfach hingehen bist und gesagt hast: „Warten wir mal ab und gucken mal, wie sich die Tonalität ändert“ oder ist dir da schon auch irgendwie ein bisschen die Düse gegangen?
Martell: Also der Vorstand war mir schon gewogen, muss ich schon sagen. Die sitzen ja mit mir im Boot. Die haben da ja auch ein Stück weit Vertrauen da rein und haben es auch irgendwie mit verbrochen, insofern.. Aber es war ein schwieriger Moment für unser Team und für alle. Keiner möchte der Doofmann sein, auch unser Vorstand nicht. Aber wir haben wirklich daran geglaubt. Jetzt lasst doch mal die Botschaften senden, wir haben so viel gutes Zeug gesammelt! Nichts ist da draußen zu sehen. Wir haben nur die Tür geöffnet auf Social Media und gesagt „kommt vorbei“ und das haben die Leute gemacht. Was habt ihr denn erwartet?!
Miriam: Da sind wir eigentlich schon beim Thema. Wir können ja vielleicht nachher noch mal zu der Reaktion zurückkommen, aber du sprichst ja hier auch eine sehr einzigartige Unternehmenskultur an. Also wir kennen das auch von Unternehmen, mit denen wir sprechen, wo die Ideen da sind und das Potenzial ist riesig, aber am Ende fehlt es an Mut, ehrlich zu sein auch Transparenz zuzulassen, Kritik zuzulassen und einfach mal zu machen. Kannst du vielleicht ein bisschen beschreiben, wie damals und auch jetzt die Unternehmenskultur war hinsichtlich Storytelling? Und diese Transparenz und diese Authentizität irgendwie auch zu leben, wie sich das vielleicht auch verändert hat und was du vielleicht auch von anderen Unternehmen her da besonders schätzt?
Martell: Ich glaube, dass wir gar nicht so anders sind als andere Unternehmen. Was wir vielleicht anders machen, ist, dass wir Vertrauen in die Leute haben, die diese Art Kommunikation jeden Tag produzieren. Es wird verstanden, dass Social Media – also wenn ich jetzt an Facebook, Twitter denke – das sind schnelle Kanäle, da werden Antworten in kürzester Zeit verlangt. Und wenn ich meine kreative Kraft aus tagesaktuellen Themen schöpfe, also den Events, die hier in Berlin sind – von Fashion Week bis so und so – dann muss ich schnell sein.
Der übliche Weg – Abstimmung mit dem Marketingchef und der Pressestelle und dann gucken wir noch ma, ob Legal irgendwas dazu sagt – dann bleibt nichts übrig. Weil die machen sich alle ernsthaft Gedanken, aber das lebt aus dem Moment! Dafür brauche ich Vertrauen und das heißt letztlich Leitplanken, Leitplanken für mein Team. Ein paar Sachen sind okay, ein paar wollen wir nicht machen. Flughafen-Bashing ist total nett, aber die gehören zur Familie und das wollen wir eigentlich nicht tun. Ok, ist gelernt. Und in diesem Rahmen – also den Leuten vor Ort Freiheit geben. Klar, ab und zu geht es in die Hose, dann muss man auch das Gesicht hinhalten, dann ist das so.
Miriam: Aber das ist auf jeden Fall – zumindest aus meiner Erfahrung – schon eine sehr einzigartige Stimmung, die man dann auch als Grundlage hat.
Martell: Die kommt mit dem Erfolg, wenn man merkt, dass es funktioniert. Na klar, dann schafft das Freiräume. Erfolg führt zu Vertrauen. Das ist ein bisschen wie Henne und Ei, wenn du nicht am Anfang Vertrauen hinein gibst, wie soll denn Erfolg rauskommen? Wir hatten das Glück, am Anfang die Freiheit zu haben, vielleicht weil auch Social Media im Haus unterschätzt worden ist, und „na ja, was da im Internet passiert, also jetzt lasst die Jungs doch da machen“. Und dann hatten wir die Reichweite und es funktionierte. Dann war auch das Vertrauen da.
Miriam: Jedenfalls schön! Ich glaube, so macht die Arbeit dann Spaß, solche Geschichten zu erzählen!
Miriam: Aber noch mal zurück – ein kleines Stückchen zurück zum Anfang. Ihr habt euch dann wahrscheinlich mit den ganzen Reaktionen befasst. Wie habt ihr das überhaupt überblickt, von der Menge her? Habt ihr da irgendwelche Tools eingesetzt oder habt ihr das Bauchgefühl bestimmen lassen?
Martell: Die Reaktionen, also jetzt ganz am Anfang, ich glaube da geht man erstmal in den Schützengraben und wartet ab eine Nacht und dann twittert man zurück: „Wir lieben euch trotzdem oder immer noch“ und dann fängt man an. Wir haben sicherlich das Team dann erstmal deutlich aufgestockt. Wir haben verstanden, das ist jetzt nicht mal gerade so nebenbei zu machen, sowohl auf Agenturseite – das machen wir mit GUD in Berlin hier zusammen und die haben ihr Team aufgestockt. Aber auch wir haben ein ganzes Team aufgebaut mit mittlerweile, glaube ich, zwölf Leuten, die auf die wirklich ernsthaften Fragen, wenn einer fragt: „Warum ist denn jetzt mein M29 zu spät?“ Dann hat der eine Antwort verdient, die ist dann nicht immer witzig, sondern die muss insbesondere richtig sein. Deswegen ist unser Team stark darauf fokussiert, auch diese Antworten zu geben und diesen Kundenservice so zu bringen. Das Agenturteam ist eher darauf spezialisiert, die witzige Tonalität über das Ganze zu legen.
Miriam: Das ist ja auch echt immer so ein Ding, Humor, auch Ironie und Selbstironie. Wie habt ihr diese bestimmte Form von Humor gefunden? Da scheiden sich ja auch mal die Geister, was lustig ist und was nicht, was ist eine Persiflage und was ist wirklich noch Selbstironie, die man so auch anerkennen kann? Habt ihr das auch ein bisschen getestet oder auch einfach nur gemacht?
Martell: Naja, das, was wir den ganzen Tag machen, ist ja in Wahrheit ein Test. Wir testen ja unsere Tonalität täglich an unserem Kunden und merken, was funktioniert und was funktioniert nicht. Es gibt auch Sachen, die einfach mal nicht funktionieren. Das sind dann vielleicht einzelne Tweets, die zu schwierigen Reaktionen führen, wenn man merkt da ist man irgendwie zu sexistisch gewesen. Da gab es mal in New York eine Diskussion, dass Männer bitte nicht breitbeinig in der U-Bahn sitzen sollen. Der Hashtag war #manspreading. Dann ist unser Team auf die Idee gekommen, zu sagen, wir machen jetzt #womenspreading und dann war aber die Reaktion nicht „das ist witzig“, sondern die Reaktion „das ist sexistisch“. Und dann muss man sagen „hm, ja, ok, habe ich verstanden“ und sich dann auch mal entschuldigen. Weil auch bad news is good news für Presse, da stürzt sie sich drauf und sagt „habe ich jetzt verstanden, #weilwirdichlieben interpretiert ihr neu“ – nein.
Miriam: Hast du sonst noch ein paar Beispiele, wo ihr gemerkt habt, da gehen wir mit unserem Humor irgendwie in die falsche Richtung? Du hast gerade von Flughafen Bashing gesprochen, das habt ihr gelernt zum Beispiel.
Martell: Ja, das ist immer witzig und das sind bestimmt einfache Punkte. Wir sind aber ein öffentliches Unternehmen und der Flughafen auch und dann kommt schon die Frage auf: Wir sind eine Familie, wollen wir uns auch nicht so benehmen wie man sich in der Familie benimmt und den anderen auch mal in Ruhe arbeiten lassen und sich nicht noch Punkte verdienen auf dessen Kosten? Es sind so ein paar Themen dazu gekommen, wir sind auch ein Unternehmen, das öffentlich in der Aufmerksamkeit steht.
Martell: Es gibt immer wieder Diskussionen mit politischen Parteien, die auch gerne unsere Reichweite nutzen, indem sie dann BVG-Themen nehmen oder unseren Hashtag. Dann kommt es zu Diskussionen. Auch das diskutieren wir immer wieder: Wie tief darf eine BVG da einsteigen? Wie sehr darf sie Position beziehen?
Es gibt manche Themen, die für uns nicht verhandelbar sind. Das ist so ein Thema wie Toleranz. Das liegt insbesondere daran, dass wir drei Millionen Fahrgäste täglich haben, die müssen miteinander auskommen, das ist Kern-DNA der BVG. Auch unsere Mitarbeiter kommen aus – ich müsste raten – aber weit über 100 Nationen. Das gehört zu uns, das ist nicht verhandelbar und wenn jemand, sei es auch politisch gegen unsere „Regel“ verstößt, dann erlauben wir uns auch hier und da, was zu sagen. Da ist auch keine Partei bislang verschont worden. Es wird immer hier im Haus diskutiert „wie politisch darf eine BVG sein?“ Im Ergebnis: ja, ein bisschen. Wenn es um Werte geht, vor allen Dingen.
Miriam: Und weil du es gerade angesprochen hast: Eure Mitarbeiter haben wahrscheinlich auch durch den positiven Umschwung einen Selbstbewusstseins-Boost bekommen hoffentlich und sich da auch noch mal ein bisschen bestätigt gesehen.
Martell: Ja, also es fällt mir immer schwer für die Mitarbeiter zu sprechen, die dann zuhören und sagen „was?!“. Also die Frage ist ja: Finden die Mitarbeiter das cool oder nicht? Also profitieren die von dieser Kampagne? Und jetzt musst du dich mal in die Rolle eines BVG-Mitarbeiters hineinversetzen, der zu einer Party geht. Und da heißt es dann: „Und, wo arbeitest du?“ „Ja, ich arbeite bei der BVG.“ Und dann heißt es: „Ja, äh, neulich in der M29 und der hat gebremst und…“ In deinem Privatleben bist du auch BVG. Was ist das Ergebnis? Wenn du es das nächste Mal auf einer Party gefragt wirst, sagst du: „Ähm, ja, öffentlicher Dienst, ich… also…“. Du sagst es nicht. Wenn du aber zur Party kommst und sagst auf die Frage „wo arbeitest du?“: „Na, bei der BVG!“ und die sagen „hey, geiles Marketing, coole Kampagne, cooler Sneaker, coole Aktion“ – dann merkst du: „Augenscheinlich arbeite ich ja doch bei einem coolen Unternehmen!“
Mit diesen teilweise wirklich tollen Sachen, die uns da gelungen sind – ich glaube, das hat bei Mitarbeitern dazu geführt zu sagen: „Hey Mann, Ich bin stolz und ich habe verstanden, ihr macht nicht nur bunte Bilder für euch, ihr macht sie für mich“.
Miriam: Ich hinterfrage jetzt einfach noch mal diesen Claim #weilwirdichlieben. Es ist natürlich toll, über die ganzen schönen Seiten zu sprechen und über die lustigen Videos und die lustigen Bildchen. Aber es gibt ja immer mal Situationen im Leben eines Berliners, wo man sich selber fragt: „Na ja, also…“ Wir kennen es ja selbst aus Agentursicht: Wenn die BVG streikt, ist das halbe Büro leer. Zum Glück können die Leute Homeoffice machen. Aber ich glaube, in anderen Berufen ist es wirklich noch viel kritischer. Die BVG ist Teil des Berliner Lebens, selbst wenn man nicht BVG-Fahrgast ist. Der Verkehr ist voll, wenn ein Streik ist oder wenn irgendwas nicht funktioniert. Auch in Richtung Mitarbeiter ist es wahrscheinlich dann in solchen Situationen schwieriger, diesen Claim zu verteidigen, gerade wenn man mit so viel Humor und Selbstironie rangeht. Also inwiefern kann man quasi in solchen Angelegenheiten noch dieses witzige, humorige #weilwirdichlieben anbringen, wenn es wirklich um Gehaltsverhandlungen und Streiks geht zum Beispiel?
Martell: Ich finde, das beißt sich nicht, weil wir haben diese Situationen ja täglich, dass ein Bus ausfällt, eine Straßenbahn nicht kommt, weil es einen Unfall gab oder oder oder. Es gibt es immer wieder Kunden – bei einem Streik sind es halt nur besonders viele –, die die Faust in der Tasche machen und sagen „ihr liebt mich ja nicht“ und das Stilmittel, das uns da hilft, ist ja quasi die Berliner Schnauze. Das ist der lockere Umgang damit. Ansonsten müssten wir uns den ganzen Tag auch auf unseren Kanälen nur entschuldigen, für entstandenes Unrecht. Genau das machen wir nicht, weil wir haben keinen Entschuldigungskanal, sondern diese Berliner Schnauze sagt sinngemäß: „So ist halt Berlin, das passiert schon mal!“ Und gibt dem einen humorigen Unterton.
Auch wenn der Busfahrer gefragt wird: „Fährst du Zoo?“ und der sagt „nee, Bus!“, dann kann man sagen, das ist unverschämt. Wir sagen „ne, das ist Berliner Schnauze, das ist original, das ist die Art und Weise, wie wir kommunizieren.“ Vielleicht ist das auch ein Stilmittel, was wir unseren Mitarbeitern an die Hand geben oder umgekehrt. Sie sind ja so, wir nehmen eigentlich das, was es schon gibt. Oder hast du deinen Busfanrer bislang so erlebt, dass der dann immer aufsteht und eine tiefe Verbeugung macht? Der ist ja wahrscheinlich lockerer Typ.
Miriam: Ich seh halt immer, was da in den Medien läuft und was dann irgendwie doch noch mal auf Twitter oder Facebook kommt in solchen Situationen und dann ist der Claim oder eben auch die Kampagne ein bisschen angreifbar.
Martell: Ja, das liegt in der Tat in der Natur unseres Systems, dass es uns nicht gelingt, jeden Tag alle Fahrgäste glücklich zu machen. Bei so vielen ist das auch kaum machbar in diesem dichten Verkehr in dieser Stadt, aber es ist natürlich unser Anspruch!
Miriam: Dann schauen wir doch einfach mal ein bisschen in die Gegenwart. Jetzt läuft die Kampagne seit 2015, viereinhalb Jahre. Ihr habt ganz viele tolle Kampagnen oder Videos und Inhalte geschaffen, die die Leute bis heute noch zitieren, und solche Aktionen auch wie die mit dem Adidas Sneaker. Wie misst du den Erfolg der Kampagne weiterhin? Was sind aus deiner Sicht Highlights – vielleicht quantitativ, aber auch vielleicht vom Gefühl her, die dir doch immer in Erinnerung bleiben? Und vor allen Dingen: Wie wollt ihr es schaffen, da immer wieder noch einen draufzusetzen?
Martell: Wie messe ich den Erfolg der Kampagne: Sicherlich gibt es ein paar KPIs, die wir haben. Das ist klassisch der Net Promoter Score, also wie viele Leute würden dich denn weiterempfehlen. Die, die dir eine Note von 1 bis 6 geben, sagen damit „eigentlich finde ich dich doof „, 7 bis 8 ist neutral, 9 und 10 ist super und die misst man gegenüber. Den Net Promoter Score haben wir gestartet mit -10, wo wir sagen, das nicht so gut, insbesondere wenn ich sehe, dass unser Berlkönig, unser neues Produkt bei +75 liegt. Die ganze BVG hat sich hoch gekämpft auf +18, was eine mega Veränderung ist! Also von -10 auf +18. Ich will nicht sagen, dass es wir es an jedem Tag halten, aber die Kampagne hat eine grundsätzliche Veränderung der Wahrnehmung dieses Unternehmen gebracht. Insofern ja, es ist eine Imagekampagne. Hat sie das Image verändert? Ja, sie hat es deutlich verändert und das über alle Altersgruppen. Und auch bei Nicht-Nutzern, also Leuten, die über die BVG reden, aber in Wahrheit gar nicht mit ihr fahren.
Der zweite Punkt sind die Verkäufe. Am Ende des Tages bin ich auch für die Kasse zuständig. also verkaufen wir denn mehr Tickets? Ja, wir verkaufen deutlich mehr Tickets. Jetzt würde man sagen: „Die Stadt wächst ist ja auch, kein Wunder, du hast ja Rückenwind!“ Ja, die BVG wächst, aber doppelt so stark wie diese Stadt, Also es gelingt uns, jeden Tag mehr Fahrgäste zu gewinnen und wenn man sich fragt: „Woran liegt das? Liegt das an den neuen U-Bahnen, die nicht gekommen sind, oder woran könnte es liegen?“ Ich sage, es liegt natürlich immer an unseren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, es liegt aber auch an der Kampagne, weil das ist, was wir grundsätzlich anders gemacht haben. Also mehr Verdienen, bessere Wahrnehmung, das wären so die Erfolgsfaktoren.
Was haben wir denn dafür getan, also was waren so die großen Highlights? Du hast es schon erwähnt. Der Adidas-Sneaker war sicherlich ein PR-Stunt, wo wir schon gehofft haben und das Gefühl hatten, dass der gut war. Aber dass das so eine weltweite Aufmerksamkeit erreicht und mich Leute aus allen Herren Ländern anrufen um zu sagen hey – also Kollegen von einer Verkehrsunternehmen – damit hat man nicht gerechnet, oder die New York Times den ersten Artikel über die BVG schreibt – dann muss man sagen: „Hey, das ist augenscheinlich großartig gewesen!“
Was sicherlich auch gut funktioniert, ist der YouTube Channel. Das ist das Learning aus der Kampagne: Ich möchte emotionalisieren. Was brauche ich für die Emotionalisierung? ich brauche bewegte Bilder. Nichts emotionalisiert so sehr wie Film. Deshalb muss man diese Tonalität, die wir auf den Plakaten haben, eigentlich in den Film übertragen und diese schönen Geschichten erzählen. Und der allererste – ausgerechnet der allererste – Film, den wir machen mit „Is‘ mir egal“ wurde quasi zum Schulhof-Pausenhit und über 21, 22 Millionen Mal gesehen. Bei YouTube sind das 14 Millionen Mal, da muss man sagen: Das ist enorm; mit Kazim Akboga, der das auch wirklich grandios gemacht hat. So reihen sich da vielleicht die ein oder anderen Highlights aneinander.
Wie kommt man auf solche Sachen? ich bin zwar Marketingchef, ich habe aber den Vorteil: Ich muss selber nicht kreativ sein. Ich kenne kreative Menschen. Es reicht, wenn andere die Ideen haben. Die kommen im Wesentlichen aus unseren Agenturen.
Die Highlights, muss man dann auch ehrlicherweise sagen, von Jung von Matt, saga aus Hamburg. Die machen das großartig. Die haben genau verstanden, wofür diese Kampagne steht. Wir machen aber auch immer wieder mal jenseits dessen ernste Themen. Im März gab es das sogenannte Frauen- Ticket für den Equal Pay Day. Frauen verdienen ja rechnerisch 21% weniger als Männer und da wollten wir einfach mal ein Zeichen setzen und Haltung zeigen. Haltung ist übrigens nicht für mich, wenn man sagt „Ja, ich bin auf dem CSD“ und fährt da jetzt den ersten Truck, wo man das hätte vor 30 Jahren machen können, dann wäre es Haltung gewesen, um zu sagen „ja, ich weiß es gefällt euch nicht, aber dafür stehe ich!“ Wenn alle dafür stehen, ist es keine Haltung. Frauen und Männer gleich zu bezahlen, bedeutet in dem Fall, dass wir Männer diskriminieren, und ihnen den Rabatt nicht geben. Der Aufschrei war enorm, wurde auch heftig diskutiert, aber auch da wieder große Aufmerksamkeit und wir sagen „ne, #weilwirdichlieben zieht klare Kante, eine Position für Frauen“ und die Aufmerksamkeit war gut. Selten zuvor gab es Tagesschau-Berichte in der Hauptnachrichtensendung von drei Minuten über die BVG. Klar kommt man da auch nur als Öffentlicher rein, als Coca-Cola wird man sich da schwer tun, da würden das die Öffentlichen nicht tun.
Kurz um: Wir suchen Dinge, die Aufmerksamkeit erregen, die ein bisschen eckig sind. Dafür bin ich bereit, auch was zu tun, die rechtlichen Grenzen auszutesten wie beim Frauenticket, weil es gibt ein Antidiskriminierungsgesetz und all diese Sachen, wo man sagt „na, wie würde das denn da hinein fallen?“, dann muss man sagen „na ja, gut, also nur für einen Tag.“
Ich bin bereit, auch die tariflichen Regeln auszutesten mit dem Sneaker. Ist das denn ein fälschungssicheres Ticket und wer garantiert mir, dass nicht morgen tausend Schuhe aus der Türkei kommen und dann auch hier rumlaufen? Es muss im Dienst der Sache stehen. Das führt zu Aufmerksamkeit, das tut der BVG gut, das tut den Mitarbeitern gut wie mit der Kampagne. Ja, wir haben weitere Ideen – die darf ich natürlich nicht erzählen.
Miriam: Wir freuen uns schon drauf!
Martell: Ich bin optimistisch, sie werden großartig!
Miriam: Ich glaube, das wichtige, was du gerade gesagt hast, ist vor allem auch das Machen. Ihr hättet ja zum Equal Pay Day auch ein witziges Poster machen können oder ein Video. Aber dieser Schritt, das auch wirklich in ein Produkt zu verwandeln und da auch wirklich eine Möglichkeit zu geben, das im echten Leben anzuwenden, die Haltung, und dann auch zu sagen „dann haben wir auch weniger Umsatz mit diesem speziellen Ticket“ z.B., das ist ja das, was dann auch das nächste Level ist.
Martell: Die Mechanik ist ja klar: Natürlich gebe ich einen Rabatt rein, ich bekomme aber Aufmerksamkeit dafür raus. Ich hätte für das gleiche Geld Plakate schalten können, dann wären das aber relativ wenige gewesen. Ich bekomme aber ein große Menge an Aufmerksamkeit, die unbezahlbar ist und damit ist es rein wirtschaftlich ein Deal.
Solche Themen sind aber dann hier im Haus auch unserer Vorsitzenden, die sich ja sehr für Frauen in Führungspositionen und Frauenrechte einsetzt, ein echtes Anliegen. Da hat man gesagt, das passt einfach zu uns, passt zu unserer Vorsitzenden, es passt auch zur Kampagne. Wir wären blöd, wir würden es nicht machen.
Miriam: Aber ihr habt es gemacht und eben nicht nur drüber gesprochen. Das ist das, was ich noch mal betonen wollte.
Martell: Ja, ich könnte natürlich von ewigen Diskussionen hier im Haus und Reichsbedenkenträgern erzählen. Das ist in der Natur der Sache, dass wir auch manchmal Sachen verwerfen und uns ärgern, dass wir sie nicht gemacht haben, aber wenn wir wirklich daran glauben, dann muss man es auch machen. Das bedeutet ja im Kern Unternehmer sein. Unternehmer sein heißt, nicht Risiken ausschließen, sondern Risiken erkennen und sie bewusst eingehen. Und natürlich haben wir auch für sFrauenticket Klagen bekommen und es gibt arme Kollegen, die sich damit jetzt beschäftigen müssen. Aber in Summe war es das wert.
Miriam: Wir kommen mal zum Abschluss des Gesprächs. Ich habe nochmals ein bisschen mein Verhältnis zur BVG Revue passieren lassen, weil ich bin ja Berliner, auch wenn man es nicht hört, und ich fahre tatsächlich seit ich 10 bin mit der BVG. Ich hatte immer einen langen Schulweg. Und fahre jetzt 25 Jahre BVG. Und ich habe auch jetzt in Vorbereitung auf das Gespräch echt viel recherchiert, um ähnliche Kampagnen zu finden, auch im internationalen Raum. Vielleicht hast du aber noch ein paar Empfehlungen, was man sich noch aus anderen Ländern anschauen kann? Aber es gibt eigentlich relativ wenige Storytelling-Kampagnen.
Dabei gibt so viele Geschichten, die mir persönlich schon begegnet sind! Irgendwelche Irren, die rumlaufen, irgendwelche Sofas, die in der U-Bahn stehen, die Party-M10 und eben der Schulweg, wie man da als Kind alleine das erste Mal in die Straßenbahn geht und solche Geschichten. Meiner Mutter ist mal der Kinderwagen, wo ich drin war, vor der Nase weggefahren. Also es gibt wirklich viele Geschichten, die erzählt werden können, und doch gibt es im öffentlichen Nahverkehr so wenige Unternehmen, die das wirklich nutzen. Was ist da vielleicht einfach noch mal deine Beobachtung? Oder hast du da noch mal ein paar Beispiele, die außerhalb der BVG auch schon funktionieren oder vielleicht auch einen Grund durch deine Analyse, warum es für Zahnpasta mehr Geschichten gibt als für öffentlichen Nahverkehr?
Martell: Nein, ich kenne keine weiteren Geschichten. Und wenn man fragt, wie viele würden denn den Erfolg der BVG gerne imitieren, also welches Unternehmen setzt sich denn da drauf und sagt „hey, das ist cool!“ – dann stellt man fest, dass es, ich will nicht sagen keine, aber fast keine sind. Da gibt es harte Gründe.
Der erste Grund ist: Die BVG ist besonders groß und hat ehrlicherweise auch den ein oder anderen Euro. Viele Verkehrsunternehmen haben für Marketing nur wenig Geld und dieses wenige Geld wird dann faktisch in Fahrgastinformation investiert. Aus unserer Sicht würde man sagen: Die sind nicht kampagnenfähig, die machen in Wahrheit auch kein Marketing, die haben zwar einen Marketingleiter, aber in Wahrheit ist es Fahrgastinformation, Kundeninformationen. Dann machen die auch mal ein Plakat „Fahr mal Bus und Bahn“ oder irgendwas konsequenzenloses. Das entspricht aber nicht unserer Philosophie.
Der zweite Grund ist, dass auch die sich nicht so sehen. Wir spielen mit diesem shabby Berlin und dann sagen die „nein, in meiner Stadt ist das anders, also wir in Düsseldorf sind nicht so!“
Miriam: Sind sie auch nicht, aber z.B.in New York oder London? Wenn man es mal auf dem Level vergleicht, große Metropolen, die ein ähnliches Volumen haben oder sogar noch mehr und wo in New York z.B. auch die Subway auch so einen ikonischen Status hat.
Martell: Da sieht man das ja auch nicht. Es gibt sicherlich Unternehmen, die dann eher Geschichten erzählen aus der Sicht eines U-Bahnfahrers, wir als Unternehmen, und dann da so eine Art Selbstdarstellung machen. Das machen wir bewusst nicht, weil die Zielgruppe viel zu klein ist. Es gibt zwar Leute, die fahren total gerne U-Bahn und gucken aus dem Fenster oder wollen mal sehen, wie eine Werkstatt funktioniert, die Zahl ist aber verschwindend gering.
Ich habe drei Millionen Fahrgäste. Ich will die nicht langweilen. Ich will nicht fünf Tausend begeistern, ich brauche ein Millionenpublikum. Deswegen brauche ich Themen, die alle interessieren, brauche emotionale Geschichten und so funktioniert dann Marketing auch. Wir haben das so begriffen, es ist immer schwer zu sagen, warum die anderen anders denken, aber meistens liegt es am Geld und manchmal liegt es auch an der Einstellung.
Miriam: Dann machen wir mal noch mal den Bogen zum Anfang, wo du herkommst und deine Aufgabe, die dich hier gereizt hat, die sich hoffentlich auch genauso erfüllt hat, was du dir versprochen hast hier. Wenn du zurück blickst, wo du herkommst – aus dem aus dem süddeutschen Raum, aus Heidelberg – gibt’s manchmal Sachen, die du jetzt gerade im Bezug auf Berlin vermisst oder auch in Bezug auf den öffentlichen Nahverkehr oder Einstellungen, die du vermisst in Berlin?
Martell: Ich glaube, das einzige was man vermisst, sind Freunde aus alten Tagen. Meine Frau ist Berlinerin, die hat ihre Freunde um den Schornstein herum. Da muss man nichts vermissen. Nein, ansonsten vermisse ich in Berlin nichts. Die Stadt ist ja so vielseitig und bietet alles, hier kann man alles kaufen von der Schwarzwälder Kirschtorte bis … nein, ich glaube, hier kann man nichts vermissen.
Ausblick auf die nächste Folge: Influencer Marketing mit Norman Röhlig
Miriam: Das war die zweite Folge unseres „Praxis-Talk Brand Storytelling“. Wir machen uns jetzt mit der U-Bahn wieder auf den Weg in unser Büro und dann bereiten wir auch schon die nächste Folge vor. Dort treffen wir dann Norman Röhlig. Er ist der Gründer und CEO der Agentur RSA Media und wir unterhalten uns ein bisschen über Storytelling im Influencer Marketing.
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