Wer kennt sie nicht – die drögen, verschachtelten Sätze von wissenschaftlichen Texten während des Studiums. Nichts schreckt Leser:innen mehr ab als Fachchinesisch und ein komplizierter Satzbau. Auch in der Arbeits- und Gründerwelt ist dieses Phänomen bekannt: Tolles Forschungsprojekt, innovative Technologie, es geht um viel Geld – doch keiner versteht die Thematik und in den Medien ist das Thema ein Flop. Als Schlüssel zu mehr Medienresonanz gilt Storytelling in der Forschung als eine Art Wunderwaffe, die zunehmend auch die Wissenschaftskommunikation durchdringt. Doch wie lässt sich dies umsetzen bei der Grundlagenforschung, die so abstrakt ist, dass künftige Einsatzmöglichkeiten noch nicht einmal am Horizont zu erkennen sind? Bei technischen Details, die Ingenieur:innen-Herzen höher schlagen lassen, der Rest der Welt sich aber gar nicht dafür interessiert?
Storytelling in der Wissenschaft basiert auf einem einfachen Prinzip: Forschungsprojekte werden in Geschichten gepackt, die den Leser:innen persönlich berühren und Bilder im Kopf erzeugen. Dahinter steht die Erkenntnis, dass Konzepte eher interessieren, wenn sie etwas mit der Lebenswelt der Menschen zu tun haben. Warum? Weil es dieselben Hirnregionen aktiviert, die auch beim Erlebnis selbst angeregt werden. Dadurch fühlt sich die Zuhörerschaft viel mehr eingebunden. Allerdings ist es für viele Wissenschaftler:innen nicht einfach, ihre Ergebnisse auf diese Weise anschaulich darzustellen oder gar über sich selbst und eigene Erlebnisse zu berichten. Wie Storytelling erfolgreich in der Wissenschaft und Forschung eingesetzt werden kann, zeigen die folgenden Tipps:
Spannende Geschichten sind einzigartig und überraschend. Sie fesseln den Geist, berühren das Herz und wecken Neugier sowie Anteilnahme. Sie müssen das Publikum bei ihren persönlichen Erfahrungen und Problemen abholen. Auch wenn es Wissenschaftler:innen oft nicht glauben: Die renommierteste Publikation oder Präsentation ist noch lange kein Thema, wenn nicht deutlich wird, was der Durchbruch der Menschheit nutzt. Konkrete Beispiele oder Anwendungsszenarien sind daher ein Muss, auch wenn sie in der Zukunft liegen.
In erster Linie aber lebt die Kommunikation heute mehr denn je von der Personalisierung. Die Persönlichkeit der Forscher:innen, Besonderheiten in Biografie und Kultur, Geschichten von ‚trial and error‘ sind die Inhalte, die eine Story authentisch und lebendig machen. Um dabei den Nerv der Zuhörer zu treffen, ist es wichtig, einen Perspektivenwechsel vorzunehmen: Nicht nur die der Wissenschaftler:innen, sondern die Sichtweisen von Anwender:innen, Wirtschaftspartner:innen, betroffenen Bürger:innen, ihrer Teammitglieder oder sogar ihrer Kinder machen ein Thema interessant. Es hilft – ähnlich wie ein Regisseur oder eine Regisseurin – diese verschiedenen Perspektiven einzufangen und zu einem abwechslungsreichen „Drehbuch“ zu verknüpfen.
Emotionalität und Spannung – das sind nicht gerade die Eigenschaften, an die man denkt, wenn es um den Abstract eines Forschungsberichts geht. Um hierfür aber doch noch bewegende Geschichten aufzuspüren, hat sich das aus dem Marketing entlehnte Konzept der Touchpoints* als sehr nützlich erwiesen. Demnach beschäftigt sich ein Kunde oder eine Kundin mit einem Produkt oder einer Organisation, wenn er oder sie einen positiven Bezug dazu hat. An welchen Schnittstellen kann eine solche Beziehung in der Wissenschaft entstehen?
Human Touchpoints (Schnittstelle Mensch zu Mensch): Der Bezug zu persönlichen Erfahrungen, die Schicksale und Gefühle Betroffener, sind die wohl erfolgreichsten Aufhänger für lebendige Geschichten. Dichtungstechnologien zum Beispiel sind per se eine eher profane Materie. Beschreibt man aber, wie ein Mensch sich nachts schlaflos im Bett wälzt, weil aufgrund einer defekten Dichtung die Rohrleitungen im Haus pfeifen, wird das Thema greifbar.
Process bzw. Product Touchpoints (Mensch zu Arbeitsablauf oder zu Produkt): Typische Problemsituationen in Produktions- bzw. Arbeitsprozessen oder Schwachstellen bei der Nutzung derzeitiger Produkte lassen sich lebendig beschreiben und gut mit künftigen Lösungen gegenüberstellen.
Location Touchpoints (Schnittstelle Mensch zu Ort): Ob im Labor, in einer Großversuchsanlage oder auf einem Außenposten im Schwarzwald: Forschung findet oft an besonderen Orten statt. Auch diese Szenerien liefern Ansatzpunkte für bunte Geschichten.
Der wesentliche Teil der Wissenschaft ist und bleibt rational. Das macht sie glaubwürdig. Da herrscht demzufolge oft Nüchternheit, das nackte und abstrakte Denken eines Vulkaniers namens Mister Spock. Aber was wäre Spock ohne seinen draufgängerischen, emotionalen Gefährten Captain Kirk? Damit eine Geschichte tatsächlich das Herz trifft, muss sie Aufmerksamkeit wecken und verständlich sein. Denn auch wenn die Forschung aufklären soll, bleibt bei vielen Menschen eine emotionale Lücke, die eben nicht so einfach mit abstrakten Fakten wieder aufzufüllen ist. Menschen interessieren sich beispielsweise für die Lebenswelt des Mittelalters, schauen aber lieber fiktive Fernsehserien wie „Game of Thrones“, statt sich in historisch korrekte Bücher zu vertiefen, weil sie oft nur nackte Fakten und wenig blumige Geschichten enthalten.
Wie man komplexe wissenschaftliche Themen einem breiten Publikum zugänglich macht und mit Geschichten Wissen managt, erfahrt ihr auch in unserem Beitrag: Storytelling im Museum.
Um die Wissenschaft für ein breites Publikum interessant zu machen, muss der Text oder die Präsentation einen emotionalen, bildhaften Einstieg haben. Die Überschriften sollten eher kurz und plakativ gehalten werden. Und vor allem sollte der Autor auf die Verständlichkeit achten: Wissenschaftliche Fachbegriffe müssen für Laien erklärt werden, bei Anglizismen empfiehlt sich Sparsamkeit. Zudem ist bei der Vermittlung von Erkenntnissen wichtig, nicht nur auf die Fakten zu schauen, sondern auch auf deren Auswirkungen. Schlussendlich sollten die Kernbotschaften in einem Satz zusammengefasst werden können.
Übrigens: Je mehr Wissen jemand auf einem Gebiet besitzt, desto größer ist die Differenz zum Wissenstand des Publikums. Wie ihr euch von eurem Hintergrundwissen löst und das rettende Elixier für verständliche und emotionale Geschichten findet, erfahrt ihr im Beitrag „Den Fluch des Wissens bekämpfen„.
Wer in der Wissenschaftskommunikation mit Storytelling arbeitet, wird bei den Forscher:innen häufig auf Abwehr stoßen: „Nicht wissenschaftlich genug!“ Um dieses Misstrauen abzubauen, zählt einmal mehr der Faktor Mensch. Hier ist es essentiell, Vertrauen zu schaffen, Respekt für die Werte von Wahrheit und Klarheit zu entwickeln. Konkret heißt das: Präsenz zeigen und das Gespräch suchen – bei Institutsbesuchen, Symposien oder auch mal am Telefon.
Zum zweiten sollten Wissenschaftler den Vorteil von Storytelling in der Forschung für ihre eigene Arbeit kennen. Die Kommunikation von Studienergebnissen in die breite Öffentlichkeit hinein wird heute von jedem Träger der Wissenschaftsförderung explizit gefordert. Dass Storytelling ein Schlüssel zu mehr Medienpräsenz ist, kann durch zahlreiche Studien und oft auch durch ein eingeleitetes Monitoring belegt werden. Mittelbar führt dies zu einer höheren Sichtbarkeit von Forschungsaktivitäten. Den Nutzen davon haben Forscher:innen spätestens dann, wenn sie den nächsten Projektantrag stellen.
Fazit: Wissenschaft an sich muss so bleiben wie Mr. Spock. Durch und durch rational. Saubere Methodik, nüchterne Fakten. Wie in allen dokumentarischen Formaten gilt immer, dass das Berichten und Erzählen nie die Wirklichkeit überholen oder verzerren darf. Aber die Vermittler der Wissenschaft, die Wissenschaftskommunikator:innen, sollten durch Storytelling den Zauber in die Aufklärung bringen.
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