Storytelling mit Chat Fiction: Spannender Lesestoff für die Gen Z?

Ganze 98 Prozent der Digital Natives besitzen bereits im Alter von zehn Jahren ihr eigenes Handy, was mit großer Wahrscheinlichkeit ein Smartphone ist. Eine Welt ohne Internet kennen sie nicht. So jonglieren sie Tag ein Tag aus gekonnt mit diversen Apps und Medien. In der flüchtigen digitalen Welt aufgewachsen, sind die jungen Medienprofis die perfekte Zielgruppe für eine neue Form des Storytellings oder Geschichten, die im Format eines Messenger-Chats gelesen werden können – kurz Chat Fiction. Diese Form der Unterhaltung soll auch die ganz Jungen zum Verweilen bringen und ein neues Leseerlebnis schaffen. 

© Unsplash / Daniel Frank

Die Kunst der Fiktion im Zeitalter der sozialen Medien

Immer häufiger werden Zielgruppen über Kurznachrichten angesprochen oder zu mobiler Interaktion aufgerufen. Vom Messenger-Journalismus des öffentlich-rechtlichen Rundfunks über das interaktive Storytelling bekannter Streaming-Dienstleister bis hin zur Chat Fiction. Doch vor allem für Digital Natives gibt es wenige Formate, die sich ihrer Lebenswelt und ihrem Medienkonsum anpassen. So entstand in den letzten Jahren eine neue Form des Erzählens. Kurzgeschichten, die im Format eines Messenger-Chats abgespult werden, Storytelling im mobilen Kontext. Ganz wichtig dabei: Junge Leser gewinnen. Was die Sache noch besser macht und die Anmutung der für Digital Natives oft verstaubten Literatur überholt: Das Format bringt die Geschichte und damit Handlung sowie Spannung quasi „live“ hervor.

Mit einem Fingertipp: Die Gen Z hautnah dabei

Was vor knapp drei Jahren anfing und vorerst nur US-Teenager inspirierte, interessiert mittlerweile Digital Natives weltweit. Nicht selten funktioniert der Einstieg in die Chat-Unterhaltung über YouTube-Videos, die die ersten Minuten der Storys abspielen und neugierig auf mehr machen. Weiter geht es dann in einer der zahlreichen Apps, die kostenlose Storys und Abos anbieten. Die Genres variieren, Hauptsache es bewegt die Gen Z. Das Angebot erstreckt sich von Horror- über Mystery- bis hin zur Liebesgeschichte. Die Erzählungen sind um die fünf Minuten lang, so dass die Kids einer täglichen Aktualisierung der Episoden und Unterhaltungen entgegen fiebern. Vor allem liegt der eigentliche Trigger im „Dabei-Sein“, vielmehr in der Möglichkeit „heimlich“ in fremde Gespräche reinzuschnuppern, ohne sich dabei schuldig zu fühlen.

© Ascension / Yarn

„schreibt…“: Von Cliffhangern und Live-Tickern

Chat Fiction ähnelt einem Live-Ticker. Die Storys laufen Satz für Satz und muten einem Echtzeit-Spielerlebnis an. Die Serie besticht vor allem durch den gezielten Einsatz stilistischer Mittel. So erscheint die nächste Nachricht nicht immer wie gewohnt auf Fingertipp. Wenn es die Story zulässt, erscheint für ein paar Sekunden, die „schreibt…“-Benachrichtigung. Wer kennt es nicht. Innehalten in diesen Momenten baut bereits in nicht-fiktiven Chats Spannung auf. So beginnt jede Erzählung in der Hitze des Gefechts, die mit jeder weiteren Nachricht aufrechterhalten werden muss. Bisher beschränkt sich das Angebot lediglich auf den Screen des einen Messengers. Zudem wird mit ergänzenden Fotos, Sprachnachrichten oder Videos gearbeitet, die in den Chat einfließen. So richtig interessant wird es, wenn der Content nicht mehr linear verbreitet wird und stattdessen andere Kanäle Teil des Storyboards sind. So planen Publisher, die Geschichten zukünftig auf andere Social-Media-Kanäle auszuweiten. Auf diesen können sich dann aufbauende Storys mit den Protagonisten abspielen.

Yarn: Heimliche Komplizenschaft

Yarn ist wohl die bekannteste App für gelungenes Storytelling mit Chat Fiction, die der Markt zu bieten hat. Sie besticht mit umfangreichen Serien bekannter Autoren, die auch für Hollywood-Produktionen schreiben. Das Besondere ist, dass verschiedene Geschichten, die anfänglich parallel laufen, in einem großen Finale münden. An großer Beliebtheit erfreut sich derzeit die Serie Ascension, die neben den klassischen Texten auch Videos der Protagonisten mit einbezieht. Durch den schnellen Wechsel der unterschiedlichen Stilmittel baut die Story eine enorme Spannung auf, die tatsächlich an Horrorfilme erinnert. Eine medienübergreifende Version der Serie ist bereits im Gespräch.

Fazit: Chat Fiction lässt sich weiterdenken

Die hohe Relevanz, Zielgruppen über Messenger zu erreichen, liegt auf der Hand. Noch stecken die Ideen der Publisher und Schriftsteller zu spannendem Storytelling mit Chat Fiction in den Kinderschuhen. Es bleibt spannend, wie schnell sich neue Formate entwickeln. Interessanter wird es, wenn Messenger-übergreifend produziert wird und zum Beispiel Charaktere aus den Chats in Instagram-Storys erscheinen. Der Multimedialität sind keine Grenzen gesetzt. Das Besondere an dieser Form der Fiktion: Sie ist unglaublich flexibel und barrierefrei! Mit dem morgendlichen Handycheck ist der Zugang zur Story da. Wenn das Smartphone vibriert, ist es nicht unbedingt der non-fiktive Familien- oder Freunde-Chat, sondern eine spannende, unbekannte Welt, die sich öffnet.

Lisa de Haardt

Gelassenheit, Spontaneität und Sinn für Ästhetik: Ist Lisas Neugier einmal geweckt, stürzt sie sich mit Freude in kreative Prozesse.

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