An einem bestimmten Punkt der Menschheitsgeschichte musste man den Leuten erklären, wie sie Backpulver benutzen. Sie wussten es vorher nicht. Wir können uns alle vorstellen, wie das ungefähr aussah: Ein zu langer Schwarzweißfilm, wahrscheinlich aus den frühen 1960ern, eine Vorzeigefamilie mit noch vorzeigbarerer Ehefrau, die im gediegenen Reim, aber nur mit der Hilfe ihres Gatten, beschreibt, wie sie den Sonntag dank Dr. Oetker überlebt – aus heutiger Sicht bestenfalls als Nostalgie zu konsumieren. Ansonsten aber in jeder Form langweilig, rückständig und insgesamt sicherlich ziemlich ätzend. Was soll ich sagen? Das durchschnittliche Influencer-Marketing aus dem Jahr 2024 macht auf mich genau denselben Eindruck:
Der erste TV-Spot, der über den Kasten flimmerte, der erste Jingle, der im Radio lief, die erste Litfaßsäule, die jemandem im Weg stand – sie sind damals sicherlich aufgefallen. Von der Intensität ihrer Wirkung mussten die Maßnahmen über die Jahrzehnte jedoch einiges einbüßen. So bahnbrechend der erste Rabattcode, den die Leser:innen eines Blogs einst irgendwo fanden, auch war – die User von heute hält das nicht mehr vom Weiterscrollen ab.
Spätestens seit dem großen App-Update im November 2020 ist Instagram auch offiziell ein Online-Shop. Influencer-Marketing begegnet uns hier öfter als wir uns selbst im Spiegel. Dementsprechend unsicher gestaltet sich für Unternehmen der Outcome einer solchen Partnerschaft. Ein Garant für mehr Reichweite und die Erschließung neuer Zielgruppen sind Influencer heute jedenfalls nicht mehr. Warum ist die Zusammenarbeit trotzdem so spannend wie nie?
Von „Ich möchte euch ein neues Projekt vorstellen“ über „Ich teste es seit 3 Wochen“ bis „Mit dem Code 0815 bekommt ihr 10 Prozent“ – die gute, alte Influencer-Koop sorgt bestenfalls für die Aufmerksamkeit, die eines von vielen Schaufenstern im Einkaufszentrum bekommt. Stehen, wie im Marketing der 1960er, die Produkte, ihre Anwendung und Bewertung im Fokus, werden hauptsächlich die User:innen aktiviert, die sich ohnehin für die Produktgruppe interessierten. Die Chance, die gesamte Community eines Influencers zu erreichen und gänzlich neue Berührungspunkte mit einer Zielgruppe zu schaffen, wird nicht optimal genutzt.
Die einfache Lösung lautet: Brand vor Produkt! Und damit ist nicht etwa die Brand des Unternehmens, sondern die der Influencer gemeint. Was ist es nämlich, was alle Follower eines Influencers vereint? Es ist die Liebe zur Person, die Liebe zum Content dieser Person. Und genau diesen Content wollen wir sehen.
Ich für meinen Teil liebe Caitlin Reilly. Die Schauspielerin startete als TikToK-Komikerin während Corona durch und etabliert seitdem Video um Video zahlreiche Charaktere, die in irrsinnigen Monologen von ihrem Leben berichten. Wie funktioniert Influencer-Marketing mit ihr? Macht sie eine Unboxing-Story und zählt dann die Vorteile des Produkts auf? Zum Glück nicht!
Das Beispiel zeigt, dass es dem Anbieter nicht darauf ankam, ausschließlich über das Produkt zu sprechen. Vielmehr hat es Google Play verstanden, dass eine Influencer-Kooperation die Möglichkeit bedeutet, das eigene Produkt im Gewand einer anderen Brand zu sehen und durch Humor die Zuschauer:innen zu erreichen. Als Follower von Caitlin sehe ich trotz Werbepartnerschaft genau das, was ich sehen möchte. Voraussetzung für solches Influencer-Marketing ist natürlich, im ersten Schritt auch die Influencer auszuwählen, die überhaupt eine wiedererkennbare Brand haben.
Es war das Comeback des Jahrtausends. Seit 2021 sind die NoAngels wieder da. Zum 20. Jubiläum der Band rührte BMG, die Plattenfirma der Engel, die Nostalgie-Werbetrommel aber mal so richtig. Und wo geht das besser als bei galerie arschgeweih?
Wie die Zusammenarbeit aussah? Ebenso, wie alle Postings der drei Wiener:innen aussehen. Ein Clip aus den frühen 2000ern wird mit wenigen Worten in einen neuen, für uns alltäglichen Kontext gesetzt und ist damit auf einmal witzig. Der Post fügt sich nahtlos in den Feed ein. Besteht bei produktorientierten Kooperationen immer die Gefahr, das Reichweite und Interaktion plötzlich floppen, garantiert eine brandorientierte Kooperation, die Community des jeweiligen Influencers im gleichen Maße anzusprechen wie auch sein oder ihr restlicher Content.
Befindet man sich auf Suche nach innovativem Content, wird man oft in der Fashion-Szene fündig. So auch bei den Young Emperors. Das unverschämt attraktive „Matching Couple“ aus New York wurde damit bekannt, die Reels und Filter, die Instagram zur Verfügung stellt, so richtig auszukosten. Wie es aussieht, wenn die beiden für Mode werben?
Um welche Brand es sich handelt, um welche Kollektion, wie viel es kostet – keine Ahnung! Noch nicht mal einen Rabattcode oder Gewinnspiel gibt es. Lediglich in den Markierungen werden die Kooperationspartner:innen erwähnt. Haben die Verantwortlichen für diese Kooperation etwa geschlafen? Nein! Auch sie haben verstanden, welche Spielwiesen sich für ihre Produkte auftun, wenn sie ihren Kooperationspartnern erlauben, das zu tun, was sie eben tun. Die Belohnung: Sie sehen ihr Produkt in einem gänzlich neuen Anstrich.
Die Wahrheit schmerzt, doch die Follower euer Kooperationspartner:innen haben nicht auf euch und euer Produkt gewartet. Der Feed eines oder einer anderen ist damit nicht länger als Ort geeignet, um alle Fakten zum Produkt aufzuzeigen. Überzeugt der Content, sind diese ohnehin nur einen Klick entfernt. Die Beispiele zeigen, das Influencer Marketing spannend und voller Möglichkeiten bleibt und dass die eigentliche Herausforderung darin besteht, die richtigen Partner:innen auszuwählen. Eure zukünftigen Kund:innen werden es euch danken. Sie sind nämlich aus der traditionellen Darreichungsform einer Influencer-Kooperation herausgewachsen – so wie unsere Großeltern auch aus den Werbeclips von Dr. Oetker herausgewachsen sind.
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