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Nora: Herzlich willkommen zum Praxis-Talk Brand Storytelling. Heute wieder zum Thema Storytelling im Wahlkampf, genauer gesagt: Digitales Storytelling und die Content Formate der SPD. Dazu haben wir uns natürlich auch einen passenden Gast eingeladen: Anna Kleimann, hallo erstmal.
Anna: Hallo, ich freue mich, dass ich da sein kann.
Nora: Sehr gerne, wir freuen uns auch sehr auf das Gespräch. Wir wollen heute gemeinsam besprechen, wie digitale Kommunikation in der Politik funktionieren kann, welche Bedeutung einzelne Kanäle für den Kontakt zu den Wähler:innen haben, welche Geschichten online überzeugen und natürlich, wie Wahlkampf im Jahr 2021 funktioniert. Ich werde unseren Hörer:innen erst mal kurz vorstellen, wer du eigentlich bist. Anna Kleimann ist seit 2017 im Willy-Brandt-Haus, der Parteizentrale der SPD, tätig. Sie war dort zunächst in der Onlinekommunikation der Jusos aktiv und später auch als Pressesprecherin.
Seit Dezember 2019 ist sie Referentin der digitalen Plattformen der Sozialdemokraten, koordiniert dort das Tagesgeschäft und, wie wir auch in einem anderen Podcast gehört haben, sagt sie: ‚Die Bundestagswahl wird im Netz entschieden‘. Da wollen wir natürlich genauer nachhaken, was die SPD in punkto Social Media und Content Marketing eigentlich so macht.
So Anna, jetzt bist du aber am Zug. Ich habe ja gesagt, du bist seit 2017 für die SPD tätig. Wie kam es eigentlich dazu? Was hat dich dazu gebracht, dich politisch zu engagieren? Und warum dann ausgerechnet der Bereich Online-Kommunikation?
Anna: Da gehe ich gerne drauf ein. Ich muss nur eine Sache vorwegschicken: Das Zitat stammt von Lars Klingbeil, ich habe mir das nur ausgeliehen (lacht).
Nora: Ahhh! Aber es ist ja trotzdem eine sehr wichtige Aussage!
Anna: Genau, es ist ein sehr gutes Zitat, das kann man immer mal wieder benutzen, auf jeden Fall. Vielen Dank für diese tolle Vorstellung. Was ich vor 2017 gemacht habe, ist vielleicht interessant. Ich komme ursprünglich aus dem Journalismus. Ich habe während der Schul- und Studienzeit bei verschiedenen Lokalzeitungen, der NOZ und bei Madsack gearbeitet, Politikwissenschaft studiert und währenddessen auch mal für drei Jahre eine kleine feine eigene Agentur mit einem lokalen Magazin gehabt. Ich habe da sehr viel ausprobiert und Kommunikation gemacht, mich praktisch probiert neben dem Studium, war aber in der ganzen Zeit kein Parteimitglied, also noch keine Genossin. Ich hatte immer schon ein großes Interesse an politischen Themen, wollte mir dann aber sozusagen die Neutralität und Außenperspektive bewahren.
Was mich dann doch umgestimmt hat, diese neutrale Perspektive zu verlassen, war, glaube ich, die Gründung oder das Aufkommen der AfD. Wenn ich so darüber nachdenke, war das der Funke: Man konnte 2013, 14/15 beobachten, wie die Partei größer wurde, in die ersten Landesparlamente eingezogen ist. Es ging dann bei der Bundestagswahl 2017 erstmals um den Einzug in den Bundestag und das war irgendwie ein rotes Tuch. Da hatte ich das Gefühl und das Bedürfnis, nicht mehr nur daneben stehen zu dürfen – also für mich, aus meiner individuellen Perspektive. Ich hatte den Impuls, was Neues zu machen und hatte mich bei den Jusos gemeldet in Berlin. Ich wollte gerne im Wahlkampf ehrenamtlich unterstützen, weil es auch ausgeschrieben war.
Da kam irgendwie eins zum anderen, die Dinge überschlugen sich. Der Pressesprecher rief mich an und meinte: „Kannst du dir das nicht auch Vollzeit vorstellen?“ Ich dachte „Wow, das wäre ein großer Schritt direkt ins Herz der Parteizentrale für mich“, hier ist ja auch das Juso-Bundesbüro mit angedockt. Aber der erste Kontakt war sehr gut und vertrauensvoll und ich hatte richtig Lust, mitzumachen und es war eine sehr aufregende Anfangszeit. Ich habe es nie bereut. Jetzt, im Wahlkampf 2021: Bei den digitalen Plattformen mit Olaf Scholz kann ich das nur noch mal unterstreichen.
Nora: Auf eurer Website – das ist mir schon vor langer Zeit aufgefallen – habt ihr eine besondere Serie unter dem Namen „1VON400TAUSEND„. Vielleicht kannst du erzählen, was es damit auf sich hat und was für Geschichten ihr da erzählen wollt oder wie ihr dazu gekommen seid. Das finde ich total spannend.
Anna: Das ist tatsächlich ein sehr gut laufendes Format bei uns, wenn man es so sagen will. Es begründet sich darin, dass wir 400.000 Mitglieder, also Genossinnen und Genossen, Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, in unserer Partei haben. Wir sind die mitgliederstärkste Partei. Und alle, die bei uns Mitglied sind, sind sehr mit dem Herzen dabei. Das ist natürlich ein unheimliches Pfund und ein großer Pool an Geschichten, die auch da drinstecken. Jede:r von uns bringt seine eigene besondere Geschichte mit. Einige erzählen wir in diesem Projekt „1VON400TAUSEND“. Da haben wir sehr, sehr unterschiedliche, tolle Geschichten dabei.
Unter anderem haben wir mit Olga Sippl gesprochen. Olga Sippl ist 100 Jahre alt und wurde als Kind von den Nazis verfolgt. Oder Hakan, der sich als Kind für den Fabrik-Job seines Vaters geschämt hat. Polina, die in Belarus aufgewachsen ist und bei ihrem Besuch in Deutschland nicht fassen konnte, wie viel Demokratie es geben kann. Oder auch die Krankenschwester Seija, in deren allererster Schicht ein Patient gestorben ist. Thomas zum Beispiel, der sich aus Angst vor Ächtung mit einer Frau verlobt hat, obwohl er schwul ist. Ich kann gerne mal die Anfangsgeschichte von Olga Sippl vorlesen, damit man merkt…
Nora: Auf die hat, glaube ich, Olaf Scholz auch geantwortet, nicht wahr?
Anna: Ja, der antwortet auf jede Geschichte.
Nora: Wie? Das habe ich mich nämlich gefragt, das ist Wahnsinn.
Anna: Ja, ja, stimmt. Also, wer sich dafür interessiert, die Seite ist einfach zu finden. Wir haben alles schön übersichtlich auf unserer Webseite unter „www.spd.de/1von400tausend/“. Das ist auch der Hashtag, unter dem man im Netz die Geschichten findet. Wir posten auch auf Facebook, Instagram und Twitter. Damit bekommt man mal ein Gefühl dafür, dass es auch für uns ein besonderes Format ist. Wir sprechen ja mit den Menschen und die Unterhaltungen und Gespräche sind intensiv. Das bleibt auch bei uns sehr hängen.
Die Geschichte von Olga Sippl fängt zum Beispiel so an: „Mein Name ist Olga Sippl und ich bin 100 Jahre alt. Nie werde ich vergessen, wie ein tschechischer Gendarm zu meinem Vater kam und sagte ‚Jetzt packen Sie etwas in die Tasche, keinen Koffer, ich bringe Sie zum Bahnhof. Es ist der letzte Zug nach Prag. Die schlagen Sie sonst tot.‘ Die, das waren die Deutschen.“ Dann geht es noch ein bisschen weiter. Wie gesagt, man findet es auf der Webseite, wenn man sich die Geschichten alle noch mal durchlesen möchte. Auch ich kriege dann immer noch mal wieder so ein bisschen Gänsehaut.
Nora: Das verstehe ich. Wie ist denn die Idee dazu entstanden? Wie setzt ihr das Ganze praktisch um? Bewerben die Leute sich dort? Wie findet ihr die Geschichten denn?
Anna: Teils, teils. Unsere Fühler strecken wir in die ganze Partei aus und sehen viele spannende Geschichten. Auf der anderen Seite kriegen wir Vorschläge zugetragen, wozu wir auch ganz explizit aufrufen und uns immer freuen, wenn Genossinnen und Genossen andere Genossinnen und Genossen empfehlen. Das ist immer schön zu sehen, wie viel Wertschätzung für die Geschichte und Arbeit da ist. Die Grundidee ist eigentlich so, dass in der Kommunikation Menschen gerne Geschichten von Menschen hören und lesen möchten. Diese bringen auch einen persönlichen Touch in die Themen. Es gibt so viele tolle, beeindruckende, bewegende Lebensgeschichten in der Partei, da lag das ein bisschen auf der Hand.
Unserer Chefin Carline Mohr ist es immer – Gruß an der Stelle – sehr wichtig, in Formaten zu denken, denn das ist sehr hilfreich, weil es Klarheit und Struktur bringt. Da haben wir langsam angefangen mit den Geschichten, mal die ein oder andere auf Instagram zu posten. Es lief so supergut, dass wir uns gesagt haben: Da müssen wir mehr machen, da müssen wir mehr rein, das müssen wir mehr strukturieren und ein richtiges Format draus machen. Ja, dann haben wir das alles aufgebaut und uns was überlegt – Layouts, Webseiten, Titel, was auch noch irgendwie das Schwierigste war. Aber wir haben es gut geschafft. Meine Kollegin hatte dann die tolle Idee, das „1VON400TAUSEND“ zu nennen. So hat das alles angefangen. Mittlerweile haben wir schon einige zusammen und es wird noch weitergehen. Auch nach der Wahl.
Nora: Wir sind ja eine Storytelling-Agentur, insofern hast du da ganz unser Herz (lacht). Im Prinzip geht es ja darum, dass man sich mit den Protagonisten, über die man liest, identifizieren kann und gleichzeitig werden die Werte der SPD darüber transportiert, nicht wahr? Dann ist klar: Die Menschen, die ihr vorstellt, vertreten auch eure Werte.
Anna: Du kannst direkt einsteigen!
Nora: (lacht) Witzigerweise habe ich meine Bachelorarbeit tatsächlich über PR im politischen Wahlkampf geschrieben. Ich habe die noch mal als Blogpost zusammengefasst, wir haben die neulich auf unserem Blog veröffentlicht – kleine Eigenwerbung. Aber da merkt man auch, dass vieles tatsächlich immer noch so ist. Damals, als ich die geschrieben habe, gab es noch keinen digitalen Wahlkampf. Aber bestimmte Dinge, wie Leute eben auftreten und als Kandidaten – damals gab es nur Kandidaten. Jedenfalls: Die Art, wie sie sich inszenieren, hat an Gültigkeit auf jeden Fall nicht verloren.
Anna: Hast du denn auch schon mal eine Geschichte von „1VON400TAUSEND“ gelesen?
Nora: Ja! Ich habe tatsächlich die erste gelesen. Ist jetzt bestimmt schon wieder zwei Wochen her, aber ich meine, ich hätte noch eine gelesen, wo ein Mann sich von seinen Eltern geschieden hat. „Der soziale Aufstieg“, das ist, glaube ich, eine Geschichte, die bei mir so hängengeblieben ist.
Anna: Genau, das ist die Geschichte von Jeremias Thiel.
Nora: Die fand ich auch sehr, sehr beeindruckend. Ja, die ist mir sehr hängengeblieben.
Anna: Er ist mit elf Jahren zum Jugendamt gegangen und hat gebeten, ihn aus seiner Familie rauszuholen aufgrund von Armut.
Nora: Ich kriege Gänsehaut. Das ist die Geschichte, die ganz doll bei mir hängen geblieben ist. Wir haben sozusagen das Glück – wir werden die Folge eine Woche später ungefähr veröffentlichen – dass jetzt, vor ungefähr einer Stunde, euer Wahlwerbespot online gegangen ist. Der Kanzler-Werbespot. Die Leute werden den jetzt wahrscheinlich, wenn sie den Podcast hören, auch schon gesehen haben.
Da geht es ja sehr um die Heldenreise von Olaf Scholz. Man sieht ihn noch mit Haaren, was er schon alles erreicht hat, wofür er steht und auch mit der Verbindung zu Helmut Schmidt. Im Prinzip, würde ich sagen, ist alles sehr auf ihn ausgerichtet. Jetzt die Frage: Warum habt ihr das so extrem? Man hat das Gefühl, es geht schon sehr viel um ihn als Kanzler. Wenn ihr aber diese Geschichten habt, warum habt ihr hier nicht – weißt du jetzt vielleicht auch nicht ganz genau – einen Spot gewählt, wo vielleicht auch noch mal diese Geschichten von den Leuten mehr im Vordergrund stehen? Die Protagonisten, die Heldenreisen von denen.
Anna: Ich bin jetzt nicht selber in die Entwicklung dieses Spots involviert. Das machen andere, sehr schlaue Menschen bei uns im Haus. Aber natürlich: Wir erzählen auch diese Geschichten. Das machen wir auf andere Weise über unsere Kanäle. Und bei dem Spot – was ja ein TV-Spot ist – geht es um unseren Kanzlerkandidaten, denn er steht für uns und unsere Partei bei der Bundestagswahl, für unsere Werte und Themen. Deswegen steht er natürlich im Vordergrund.
Ich glaube, wir mögen diesen Spot alle sehr gerne. Er ist anders als die anderen, er ist sehr unaufgeregt. Aber ich glaube, er passt auch sehr gut zu Olaf, weil er ganz authentisch ist und auch erzählt, wofür er steht und wie lange er sich auch schon engagiert in der Partei: Er ist mit 17 eingetreten und hat damals noch alles erlebt, wie man am Anfang auch sehen kann und hat auch wilde Zeiten hinter sich. Aber er hat auch schon viel geschafft, er steht für die Kompetenz und das bringt dieser Spot, glaube ich, ganz gut rüber. Mich hat er auf jeden Fall berührt. Ich musste schon ein kleines Tränchen verdrücken, als ich ihn zum ersten Mal gesehen habe.
Nora: Ja, auf jeden Fall. Ich finde auch – aus Storytelling-Sicht – ist da dieser Hook drin mit der Vereidigung. Natürlich ist es ganz wichtig: Es ist ein Werbespot für das Wahlprogramm. Da sind zum Beispiel auch Begriffe wie „globale Steuergerechtigkeit“ drin. Das ist auch die Frage, damit kann man vielleicht am Anfang gar nichts anfangen, wenn man sich damit noch nicht näher beschäftigt hat: Wie schafft ihr denn zum Beispiel, diese komplizierten politischen Themen oder auch Parteiprogramme runterzubrechen? Wie können die verständlich dargestellt werden, was ist da sozusagen sogenannter „Snackable Content“? Wie schafft ihr das, dass alles, wofür ihr steht, euer Wahlprogramm auch, an die richtigen Leute kommt, sodass sie es verstehen?
Anna: Olaf macht es, glaube ich, selber ganz gut, indem er immer in allen Interviews sehr gut erklärt, worum es geht. Wenn es um globale Gerechtigkeit geht, hat er einen sehr guten Vorstoß vor kurzer Zeit gemacht mit der globalen Mindeststeuer. Da war er in Washington unterwegs, hat mit der amerikanischen Finanzministerin gesprochen und eine Initiative aller Staaten angestoßen, dass man sich auf eine globale Mindeststeuer verständigt. Das klingt erst mal ein bisschen abstrakt und technisch, aber eigentlich ist es total wichtig, um große Unternehmen wie Amazon aus den Steueroasen rauszuholen, damit die ihren fairen Beitrag leisten. Da geht es um große Summen Geld und um Gerechtigkeit.
Er ist jemand, der auf internationaler Bühne Ansehen und Glaubwürdigkeit genießt und solche Projekte auch vorantreiben kann. Wir setzen natürlich darauf, das zu vermitteln und tun das beispielsweise über Formate der digitalen Plattformen. Wir haben beispielsweise ein on-point-Format. Das haben wir auch zur Mindeststeuer gemacht, wo wir noch mal ganz klar in einfachen Sätzen ohne Fachsprache auflisten: Worum geht es? Warum ist das wichtig und wie geht es jetzt weiter? Das wird immer sehr gerne genommen und geteilt und weitergeleitet, um bei solchen Themen aufzuklären. Wir fassen es immer auf einem SharePic zusammen, was man so abspeichern und mit der WhatsApp-Familiengruppe teilen kann. Das ist dann der ‚Snackable Content‘, obwohl man da schon einige geballte Informationen findet.
Nora: Auf Instagram macht ihr auch diesen sozialdemokratischen Wochenrückblick. Was ist das denn?
Anna: Der sozialdemokratische Wochenrückblick, den gibt es auch noch. Wir haben sehr viele junge und interessierte Menschen, die bei uns mal vorbeischauen – Praktikanten und Praktikantinnen. Wir hatten einmal eine ganz aufgeweckte junge Frau namens Josi bei uns – schöne Grüße an der Stelle – und wir mussten echt feststellen: Die Generation Z hat einen unheimlich intuitiven, natürlichen Umgang mit Social Media. Sie hat „Follow me around“-Stories aus dem Willy-Brandt-Haus gemacht, „Behind the scenes“, Einblicke in alles ganz nahbar rübergebracht. Auch den Themen, die uns bewegen und in der Kommunikation für uns wichtig sind, hat sie ein Gesicht gegeben.
Daraus hat sich die Idee entwickelt, das wiederum in ein Format zu gießen und wöchentlich zu machen, um einfach mal drei, vier Themen, die uns die Woche bewegt haben, die wichtig für die Sozialdemokratie waren und sind, zu highlighten und so schön zusammenzufassen. Dann haben wir wieder ein Titel gesucht. Ich habe scherzhaft, weil wir so auf Alliterationen stehen, „Revue Rouge“ gesagt. Josy meinte, es wäre cringe, aber mittlerweile ist es hängengeblieben. Vielleicht war es doch gar nicht so schlecht.
Nora: Ja, witzig! So generell: Wo kommen sonst die Ideen her? Sie kommen wahrscheinlich einerseits durch euch, auch Praktikant:innen. Aber wie wichtig ist der Austausch der Community? Kriegt ihr da auch Inspiration für euren Content?
Anna: Sehr wichtig. Fast schon mit das wichtigste, würde ich sagen. Wir haben ein großes Community-Team, das sich um die Kommunikation mit Menschen, die mit uns Kontakt aufnehmen wollen, kümmert. Und natürlich um Genossinnen und Genossen, die die eine oder andere Frage haben, die wir mit Content oder Infos versorgen und denen helfen.
Wir haben da sehr viele Eins-zu-Eins-Kontakte. Dafür haben wir unseren Messenger-Kanal Telegram eröffnet, um da genau das zu machen. Wir verschicken zum Beispiel einmal in der Woche ausgewählte Presseartikel, wo die Highlights drin sind. So ähnlich wie bei der Revue Rouge, nur sind das Empfehlungen für journalistische Artikel, die man sich noch mal durchlesen kann. Aber wir wollen nicht nur raussenden. Wir wollen auch Input bekommen und viele schreiben uns darüber. Man kann ja ein bisschen beobachten, dass der öffentliche Austausch über Kommentarspalten bei Facebook oder so, abgenommen hat. Da sind leider mittlerweile sehr viele Hass-Postings und auch viele Trolle oder organisierte Leute, die dann laut sind. Und diejenigen, die diese harte Auseinandersetzung nicht so gerne mitmachen wollen, wurden ein bisschen vertrieben.
Deswegen ist es ganz wichtig, dass wir die trotzdem abholen können. Wir merken, dass sie uns sehr gerne schreiben, wenn man diesen geschützten Raum eines Chats wie bei Telegram hat: Sie schreiben uns, wir können zurückschreiben, echte Menschen stehen in Kontakt. Das ist eine tolle Sache. Das machen wir sehr gerne, da kriegen wir auch sehr viele Anregungen und Tipps und da entstehen manchmal Ideen. Das ist für uns wichtig.
Deswegen nimmt sich unser Kanzlerkandidat immer ganz gerne die Zeit, auf solche Dinge einzugehen, die im Netz stattfinden, wie beispielsweise die Antworten auf die Geschichten von „1VON400TAUSEND“. Wir haben auch ein Videoformat über Menschen, die wir während des Wahlkampfs auf der Straße treffen, die bei den Kundgebungen sind, die uns ein bisschen was erzählen oder eine Frage an Olaf haben. Da fangen wir dann auch eine Antwort von ihm ein und das schicken wir raus über die digitalen Plattformen.
Nora: Das macht ihr jetzt bei der Wahlkampftour dann oder bei Instagram auch, habe ich gesehen. Nochmal zurück zu Telegram: Ihr nennt es ja die „Sozenbande“ (beide lachen) – ein guter Name, den man sich merken kann. Wieso habt ihr euch für Telegram entschieden? Es war ja, sagen wir mal, in letzter Zeit negativ behaftet, da einen Account zu haben. Habt ihr es gemacht, weil ihr gesagt habt, ihr müsst da ein Gegengewicht schaffen oder weil das technisch am besten ist?
Anna: Das ist natürlich nicht der alleinige Grund, aber man kann schon sagen, man muss diese Plattform durchaus nicht den Querdenker:innen überlassen oder sonstigen rechten Gruppen. Die müssen den Kanal nicht alleine definieren. Wir sind da unterwegs, weil es auch viele technische Möglichkeiten für uns bietet, die wir gerne nutzen. Wir haben während der Pandemie das Angebot ermöglicht, sich über unseren Telegram-Kanal die Inzidenz-Zahlen für seinen Bezirk, Ort oder Umkreis zu holen, was auch sehr gut und gerne angenommen wurde.
Wir bieten viel Service an und, wie gesagt, die Presseschau ist auch ein Format, was über Telegram läuft. Für uns ist es auch ein bisschen Wertschätzung für unsere Wahlkämpfer im Netz, die sogenannte „Sozenbande“, du hast es eben schon gesagt. Die liegen uns natürlich besonders am Herzen, wenn sie im Netz für uns aktiv sind. Die bekommen darüber auch immer mal wieder Goodies von uns, wie zum Beispiel einen Videoclip, den wir vorab releasen. Jetzt beispielsweise beim Parteitag haben wir das gemacht, sie verbreiten die Inhalte dann auch gerne und motiviert im Netz. Da setzen wir durchaus auf unsere Follower:innen-Power im Netz und auf alle, die selbstständig aktiv sind. Es ist nicht unbedingt immer dieses „Top-Down-Prinzip“ – von wegen wir posten was und sie sollen das teilen –, sondern „Schwarmintelligenz“ könnte man es fast nennen. Das ist für uns ein ganz wichtiger Punkt im Wahlkampf.
Nora: Gerade diesen exklusiven Content finde ich ganz interessant. Daran habe ich auch noch nicht gedacht, dass man da noch mal seine Schäfchen an die Gruppe bindet. Generell: Wir haben schon vorhin über meine Bachelorarbeit gesprochen und wie es damals anders war. Da war an digital ja gar nicht zu denken. Welche Vorteile siehst du in der digitalen Kommunikation? Siehst du vielleicht auch Nachteile darin? Wie kann Social Media Wahlkampf schaden? Und was sind eigentlich die Chancen?
Anna: Nachteile direkt sehe ich glaube ich keine, das sind eher Möglichkeiten oder Chancen. Ich würde sagen, die Herausforderung, dass der Wahlkampf jetzt auch stärker im Netz stattfindet und Digitales eine größere Rolle spielt, ist natürlich, dass alles beschleunigt wird. Viele Dinge passieren gleichzeitig und sind schneller. Ein kleines Video-Snippet kann schnell viral gehen und einen Spin entwickeln, das haben wir bei Armin Laschet gesehen. Es gibt unheimlich schnelle, aber auch spezielle Resonanzräume.
Twitter, glaube ich, ist auch ein ganz großer Punkt. Es bildet sich nicht immer eins zu eins in einer Kampagne oder im Wahlkampf ab. Aber es ist sehr wichtig, weil sich da Fachpublikum von Journalist:innen und Politiker:innen tummelt und austauscht. Das ist eine wichtige Plattform. Aber es muss nicht unbedingt die Kampagne prägen. Es bietet auch die Chance, dass unheimlich viel Unterstützung und eine positive Stimmung erzeugt werden kann und dass es da auch eine Verbindung gibt.
Ich kann jetzt nur von mir sagen: Wir haben unseren Start in die heiße Wahlkampfphase vor zwei Wochen gehabt und das war unheimlich toll, weil wir natürlich das große Event mit Olaf Scholz in Bochum hatten, der seine Rede gehalten hat und viele aus unserer Parteispitze vor Ort waren. Wir hatten danach und davor noch einen Livestream, wo wir aus unserem digitalen Videostudio im Willy-Brandt-Haus ins ganze Land geschaltet haben. Da haben wir in die Aktionen reingeguckt, die Genoss:innen vor Ort in den Wahlkreisen gemacht haben – Grillzangen über den Gartenzaun zu reichen, mit einem Eiswagen unterwegs zu sein, Flyer in der Fußgängerzone zu verteilen oder sich sonst kreative Aktionen auszudenken.
Wir haben alle zugeschaltet. Ich glaube, es waren über 30 Schalten an dem Tag, die wir gemacht haben. Ich stand mit meinem Kollegen Fabi im Studio und habe mit einigen vor Ort gesprochen. Da war einfach eine tolle positive Stimmung und das Gefühl, man kann was bewegen. Dass auch das Vertrauen in unseren Kanzlerkandidaten da wächst und dass so was möglich ist. Ich dachte, mit dem Internet (lacht) und dem Netz – die Leute waren teilweise mobil unterwegs und haben sich mit dem Smartphone eingewählt. Hat alles super geklappt und dass so was möglich ist, hat uns noch mal für unsere Kampagne einen großen Schub und Motivation gegeben.
Nora: Das ist wirklich toll, weil du ja sonst gar nicht so mitbekommst, was die anderen so machen. Wenn man sieht, wie die anderen auch an der Front kämpfen und sich dafür einsetzen, dann gibt es natürlich ein ganz anderes Wir-Gefühl, das sehe ich auch als Vorteil. Ich habe nur gedacht, dass einerseits ein Nachteil sein könnte, dass muss man wahrscheinlich immer, auf aktuelle Sachen zu reagieren. Die große Kampagne, die man sich vorher überlegt hat, ist die eine Sache. Dann kommen gerade jetzt viele News rein. Das Hochwasser war, Afghanistan ist jetzt gerade. Da muss man sich wahrscheinlich schnell positionieren und auch entsprechenden Content schaffen. Eher so gedacht, was negativ sein könnte: Wenn ich jetzt so an Trump denke, Einfluss aus Russland, was auch immer. Dass natürlich auch Fake News eine Rolle spielen können, die sich online schnell verbreiten.
Anna: Das stimmt. Aber da haben sich die demokratischen Parteien vorher verständigt, dass wir einen fairen Wahlkampf sowohl im Netz als auch auf der Straße führen wollen, dass es alles im Rahmen des Vertretbaren bleiben sollte. Und das sind wir, glaube ich, auch unserer Demokratie schuldig, dass wir uns daran halten.
Nora: Ich habe jetzt eigentlich keine Fragen mehr. Es ist ein sehr, sehr spannender Wahlkampf, muss ich sagen (lacht).
Anna: Ja, ich finde auch! (lacht)
Nora: Das ist irgendwie alles anders, als man es am Anfang gedacht hat und man weiß aber nicht, es ist noch ein bisschen hin. Wir haben jetzt einen Monat ungefähr noch.
Anna: Ja, ich glaube, 31 Tage oder 30? Ich glaube 31.
Nora: Ich glaube, ihr werdet wahrscheinlich Ende September alle Urlaub nehmen, nehme ich mal an (lacht).
Anna: Im Oktober ist das Willi-Brandt-Haus leer. Natürlich arbeitet man jetzt sehr, sehr viel, aber wir sind alle sehr motiviert und positiv gestimmt und haben richtig Bock, das jetzt in den nächsten vier Wochen zu rocken. Unser Generalsekretär hat heute bei der Präsentation der zweiten Welle und des TV-Spots gesagt: „Wir haben jetzt die Rekordmarke von einer Million Türen geknackt, an denen unsere Wahlkämpfer:innen geklopft haben.“ Es ist einfach toll zu sehen, wie die Kampagne getragen wird.
Nora: Insofern wünsche ich euch weiterhin Erfolg und Spaß dabei. Ich glaube, das ist auch wichtig. Dann werde ich mal beobachten, logischerweise, wie es so weitergeht. Wahrscheinlich musst du jetzt weiterarbeiten, also produktiven Arbeitstag.
Anna: Nein, lass uns noch ein bisschen weitersprechen (beide lachen).
Nora: Ich schau mal, was noch für neue Geschichten bei den „1VON400TAUSEND“ vielleicht noch veröffentlicht werden.
Anna: Ja, cool. Vielen Dank für die Einladung, die spannenden Fragen und euch weiterhin viel Erfolg mit diesem tollen Podcast.
Nora: Vielen Dank!
Die vergangene Folge sprachen wir mit Kurt Georg Dieckert von Bündnis90/Die Grünen über die Kampagnen-Strategie seiner Partei. Was es mit „Neues Tor 1“, dem Slogan und dem Imagewechsel der Grünen auf sich hat, erfahrt ihr hier.
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