Was ist von außen blau-gelb und von innen ausgestattet mit BILLY, IVAR, Köttbullar und einem ganzen Småland? Richtig, IKEA. Oder in Langform: Ingvar Kamprad, aufgewachsen auf der Farm Elmtaryd, aus dem kleinen Örtchen Agunnaryd. Die größte Haushaltsmöbelmarke der Welt hat seit ihrer Gründung im Jahr 1943 einen derartigen Kultstatus erreicht, dass wenige Stichworte genügen, um das Rätsel zu lösen. Die Prominenz ist auf die unschlagbaren Preise und Produkte zurückzuführen. Noch stärker aber wirken die Geschichten, die sich um den Konzern ranken, auf die Konsument:innen. IKEA nutzt die Macht des Storytellings in jeder erdenklichen Kommunikationsform: visuell im Katalog, erlebbar in der Filiale oder auch emotional in den allseits bekannten TV-Kampagnen. Unabhängig vom Kanal werden wir regelrecht mit dem Wunsch zurückgelassen, die heimische Inneneinrichtung komplett über den Haufen zu werfen und alles neu einzurichten.
Allein die mit Prüfungen und Erfolgen gefüllte Gründungshistorie des Möbelkonzerns reicht aus, um Bücher zu füllen – oder ein Museum, welches sowohl im schwedischen Älmhult als auch im Internet besuchbar ist. Denn Ingvar Kamprad war ein Visionär, der die Möbelbranche von Grund auf revolutionierte. Der Unternehmer reformierte die Vorstellung von Produkt-Katalogen und Filial-Konzepten, etablierte völlig neue Design-Grundsätze und ersann neue Wege, Möbel zu konstruieren. Und jede dieser Innovationen erzählt eine eigene Geschichte.
Bis in die 1950er Jahre bestand ein Produkt-Katalog einzig aus dem, was er auch wortwörtlich beinhaltet: Produkte. Doch Ingvar Kamprad bediente sich eines neueren, modernen Ansatzes. Für seine IKEA-Kataloge nutzte der Unternehmer die Kraft des visuellen Storytellings für sich und integrierte die Verkaufsartikel erstmals in Shooting-Sets wie Wohn- oder Schlafzimmer. Was für uns heute völlig normal scheint, war damals ein absolutes Novum und sorgte für einen zusätzlichen Aufschwung der Marke.
Ein Ausflug zu IKEA ist außerdem nicht einfach ein Einkauf. Der große blau-gelbe Bauklotz beherbergt ein Shopping-Konzept, das es so sicherlich kein zweites Mal gibt. Tatsächlich existieren die Showrooms, welche Wohnräumen nachempfunden sind und allerlei Einrichtungsideen beinhalten, bereits seit 1953. Als der Unternehmer in den 1960ern erkannte, dass hungrige Kund:innen weniger kaufen, eröffnete er die bis heute bestehenden IKEA-Restaurants. Ein Feuer im schwedischen Flagship-Store führte 1970 dazu, dass Lagerhallen zur Selbstbedienung errichtet wurden. Die Self Service Areas erfreuten sich in nur wenigen Monaten großer Beliebtheit und wurden daraufhin permanent in das Store-Konzept aufgenommen. Kamprad nahm jede Prüfung an, der er entgegentreten musste, bewältigte sie und verwandelte die Challenge in eine neue Chance – offensichtlich mit Erfolg.
Ein Shopping-Trip bei IKEA ist vielmehr wie der Eintritt in eine ungewohnte Welt. Die Besucher:innen begeben sich auf ihre eigene Heldenreise durch Showrooms, Möbelausstellungen, Self Service Areas und nicht selten gehört auch ein Zwischenstopp im Restaurant dazu. Dabei bewältigen sie Prüfungen – zum Beispiel, die passenden Bausätze in der Lagerhalle zu finden –, oder treffen Verbündete – Mitarbeitende, die wissen, wo die benötigten Teile zu finden sind – und feiern Erfolge. Schlussendlich kehren sie in ihre gewohnte Welt, in die eigenen vier Wände, zurück. Dort können die Shopping-Held:innen das Elixier – die Befriedigung, ihre Lebensumstände auf eine neue Ebene gehoben zu haben – in aller Ruhe genießen.
Während die Blicke beim Bummeln von KLIPPAN über IVAR hin zum BILLY-Regal schweifen, ist vielen gar nicht bewusst, dass selbst aus den Produkten einiges an Storytelling-Potenzial geschöpft wurde. Mit der Einführung des „Democratic Design“-Prinzips hat der Konzern im Jahr 1995 ein Tool entwickelt, das die Grundsätze der Möbelherstellung bei IKEA festhält. Fünf Dimensionen müssen bei der Entwicklung das Gleichgewicht halten: Form, Funktion, Qualität, Nachhaltigkeit und Niedrigpreis. Sarah Fager, Senior Designer bei IKEA Schweden, erklärt diese Vorgaben folgendermaßen:
“The form is for beauty, it’s what attracts the eye, and the object has to be functional, otherwise it won’t be used. When objects and materials last over time, that’s quality. Being mindful of resources is something that has been with us since the start. We don’t like complicated solutions and wastefulness, it’s bad for everyone. Part of sustainability is about using exactly the right materials for the function, and using them sparingly, but sustainability also means taking responsibility all the way through a product’s life.”
Insbesondere in Hinblick auf den Aspekt der Nachhaltigkeit war IKEA seiner Branche zu der Zeit weit voraus – und verfolgt die Linie bis heute. Dieses Prinzip geht mittlerweile über das Democratic Design hinaus und zeigt sich vor allem in den Kooperationen, die das Unternehmen mit Brands, Designer:innen oder auch außergewöhnlicheren Partner:innen eingeht. Eine davon besteht mit der World Surf League. Seit 2019 ist die Zusammenarbeit gefestigt, in diesem Jahr ging die gemeinsam entworfene Produktlinie an den Start. Die Kollektion „KÅSEBERGA“ hat zum Ziel, Menschen dabei zu unterstützen, im Einklang mit der Natur zu leben und recycelbare, natürliche Materialien zu verwenden.
Begleitet wird diese Kooperation mit einem elfminütigen Film, der erklärt, was IKEA mit Surfer:innen und deren Naturverbundenheit gemein hat. Auch in dieser Kampagne werden die Zuschauer:innen in eine ungewohnte Welt geführt, in der sie Kassia, Rob und verschiedene Entscheider:innen bei IKEA kennenlernen. Dabei übernimmt das Unternehmen die Mentorrollen von Architekt:in und Muse. Gemeinsam mit den Surfer:innen, die zugleich Designer:innen sind, werden Lösungen aufgezeigt und Inspirationen geboten, wie die Nähe zur Natur in den eigenen vier Wänden gelebt werden kann. Am Ende des Clips stehen verschiedene, vom Wellenreiten inspirierte Möbelstücke und ein tieferes emotionales Verständnis von der Notwendigkeit, einen nachhaltigeren Lebensstil zu etablieren.
Derartige Geschichten finden sich zuhauf auf der IKEA-Website. Jede Kooperation und Zusammenarbeit wird begleitet von einem Blogpost, die Partner:innen werden ausführlich vorgestellt und die Intention erläutert. Zu den Brand-Kooperationen gehören unter anderem LEGO und adidas. Mit der Londoner Designerin Ilse Crawford entstand eine Duftlinie. Und mit Sonos und Spotify wurden Musikanlagen sowie Bluetooth-Lautsprecher in das Sortiment aufgenommen.
IKEA richtet sich bei der Produkt-Entwicklung nicht nur nach dem Prinzip des Democratic Designs, sondern auch nach den Wie-Werten, die das Unternehmen für sich definiert hat. Insgesamt gibt es acht „Key Values“, die sich durch die gesamte Firmen-Philosophie sowie die Kommunikation ziehen:
Viele dieser Faktoren spiegeln sich bereits in der Art und Weise wider, wie und mit wem Kooperationen eingegangen oder auch Designs entworfen werden. Doch auch im B2B-Geschäft verfolgt das Unternehmen stringent diese Grundsätze und integriert hier ebenfalls das Storytelling-Prinzip in die Kommunikation. Dabei fällt auf, dass sich IKEA nicht allein auf die schönen Seiten einer Geschichte konzentriert, sondern auch von Challenges berichtet. Welche Herausforderungen gilt es zu bewältigen, wenn der indische oder südkoreanische Markt erschlossen werden sollen? Wo liegen die Hürden bei der Eröffnung innerstädtischer Stores, wie beispielsweise in Paris, Hongkong oder auf den Kanaren? Und wie ist es eigentlich, als Franchise-Unternehmen für IKEA zu arbeiten?
Das Unternehmen teilt auf der Homepage interessante Insights, die auch im B2B-Geschäft von Vorteil sein können. Denn für potenzielle Businesspartner:innen spielen gerade die Geschichten hinter den Kulissen eine bedeutende Rolle. IKEA kommuniziert transparent, stellt auch diese Zielgruppe als Held:innen in den Mittelpunkt der Geschichten, die den Möbel-Konzern zu dem machen, was er heute ist. Dieser Ansatz ist nicht nur Teil einer sehr erfolgreichen Storytelling- sondern auch Employer Branding-Strategie. Darüber hinaus sorgt die Marke mit den jährlichen Sustainability– und Life at Home-Reports für zusätzliche Transparenz und lässt die gesamte Branche an den Auswertungen teilhaben. Zugleich zahlen die Erhebungen auf die Wie-Werte der Marke ein: als Beispiel voranzugehen sowie Verantwortung übernehmen und übergeben zu wollen.
Wer kennt sie nicht, die Köttbullar von IKEA? Es soll sogar Menschen geben, die ihre Mittagspause nur für die kleinen Fleischbällchen ins Restaurant der nächstgelegenen Filiale verlegen. Die Beliebtheit und Bekanntheit des traditionellen schwedischen Gerichts hat sich IKEA auch für die im Februar 2022 veröffentlichte Recruitment-Kampagne zunutze gemacht. Mit Bewegtbildern von 3D-Druckern, die eine pflanzenbasierte Version der Köttbullar drucken, sollen Tech Talente motiviert werden, sich bei dem Konzern zu bewerben. Wer zum Job-Interview kommt, darf selbstverständlich von den gedruckten Fleischbällchen probieren.
Der Grund für die Kampagne: Noch in diesem Jahr möchte IKEA 150 Stellen mit Menschen besetzen, die sowohl ein Talent für Technologien als auch Unmengen an Fantasie und Vorstellungskraft mitbringen. Die Köttbullar des Möbelhauses sind bereits fest im kollektiven Gedächtnis der Konsument:innen verankert – ob die gedruckte Version genauso gut schmeckt?
Warum auch wir bei Mashup Communications im Bewerbungsprozess auf Storytelling setzen, erfahrt ihr hier.
YouTube, Instagram, Twitter, Pinterest – IKEA nutzt so ziemlich alle gängigen Social-Media-Kanäle, um die Community zu erreichen. Neben den offiziellen länderübergreifenden Accounts betreut dabei jede Nation auch eigene Konten. Auf dem Pinterest-Kanal, der fast 175.000 Follower zählt, wird reichlich Inspiration für die Dekoration von Wohn- und Geschäftsräumen geboten sowie Do-it-yourself-Vorschläge geliefert. Im Gegensatz zu den bisher prall gefüllten Storytelling-Ansätzen ist der Informationsgehalt auf Pinterest und Twitter jedoch vor allem visuell ansprechend beziehungsweise rein neutral gehalten. Anders sieht es bei YouTube und Instagram aus.
Auf dem YouTube-Kanal sammeln sich insgesamt 266.000 Abonnenten, die sich über verschiedene Angebote informieren können. Produktvorstellungen und Einrichtungsideen werden genauso verfilmt wie How To’s und DIY-Vorschläge. Auch ein Blick hinter die Kulissen wird gegeben und Menschen bei IKEA kommen zu Wort. Der offizielle @IKEA-Account auf Instagram verfolgt zwar eine rein ästhetische Linie, dafür sticht @ikeadeutschland umso mehr heraus: Die Highlight-Storys und der Feed sind ebenfalls gefüllt mit Einrichtungsideen, werden aber um Quizzes wie „Was ist das?“, Corporate Hashtags oder auch Takeovers von Kund:innen ergänzt. Hier wird der Wert der Zusammengehörigkeit deutlich, denn die Community wird in Umfragen und weiteren Beteiligungsformen in die Kommunikation eingebunden.
Ein weiteres Beispiel für den Wert der Zusammengehörigkeit ist die Geschichte zur Kollaboration mit der Designerin Nada Debs. Zum Launch der LJUV-Kollektion hatten die Instagram-Follower:innen die Möglichkeit, Fragen an die Libanesin zu schicken. Diese Art des Interviews, welches später auf der IKEA-Homepage veröffentlicht wurde, verdeutlicht die Kundennähe des Unternehmens und vermittelt ebenfalls ein Gefühl der Nahbarkeit bei den Rezipient:innen.
„Wohnst du noch oder lebst du schon?“ Mit diesem Slogan hat sich IKEA im Handumdrehen in das kollektive Gedächtnis seiner Kund:innen eingebrannt. Wer den Spruch auch nur liest, hat sofort die sympathische Männerstimme mit dem leicht schwedischen Akzent im Ohr und verknüpft die Aussage mit verschiedenen TV-Spots. Die Ansprache per „Du“, welche sich ebenfalls im Wording des Möbelhauses gefestigt hat, ist ganz der skandinavischen Sprache nachempfunden, in denen eine Höflichkeitsform wie das „Sie“ grundsätzlich nicht existiert. Eingeführt wurde die persönliche Ansprache in Deutschland im Jahr 2004. IKEA schafft hierdurch eine Wohlfühlatmosphäre und kreiert eine intimere Nähe zu den Konsument:innen.
In puncto Storytelling-Kampagnen macht der Möbel-Marke so schnell niemand etwas vor. Ob in einem einminütigen Spot mit Christoph Waltz in der Hauptrolle, einem 30-Sekünder mit Plastikfell-Schafen oder der Geschichte über zwei langjährige Freunde – IKEAs Clips emotionalisieren und fallen durch Originalität auf. In all diesen Geschichten stehen die Kund:innen der Marke als Protagonist:innen im Mittelpunkt. Sie streben insbesondere nach den Wachstumsbedürfnissen Schönheit, Einzigartigkeit und Perfektion. Sowohl der Slogan „Wohnst du noch oder lebst du schon?“ als auch die kreativen Storytelling-Kampagnen zeigen, dass IKEA durchweg die Mentorrolle der „Muse“ verkörpert: Verbraucher:innen sollen sich von den Design-Ideen inspiriert fühlen, ihren eigenen Vorstellungen von „zu Hause“ nachzugehen und ihre Vorhaben in die Tat umzusetzen. Aber auch der Mentortyp des oder der „Architekt:in“ lässt sich auf die Marke projizieren. Denn oft soll mit der Einrichtung eines Wohnraums auch etwas Neues geschaffen werden, in dem sich die Eigentümer:innen wohl fühlen.
IKEA ist mit seinen Werbespots nicht umsonst Stammgast in den monatlichen Brand-Storytelling-Kampagnen auf dem Mashup-Blog. Doch ein Röntgenblick in die Historie, die Produktentwicklung oder auch die B2B-Kommunikation zeigt: Storytelling ist fest verankert in der DNA des Unternehmens und einfach nicht mehr wegzudenken. Die größte Bestätigung ist hierfür wohl der weltweite Erfolg der Marke und die Tatsache, dass allein die Worte BILLY, IVAR und Köttbullar direkt mit dem blau-gelben Möbelhaus assoziiert werden.
Wer noch mehr darüber erfahren möchte, wie IKEA anhand von seriellen Kampagnen durch kontinuierliches Storytelling seine Zielgruppe an sich bindet, dem sei unsere Podcast Folge dazu empfohlen: „Mit Storytelling zum beliebten Dauertestimonial.“
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