Klein, aber oho: Andorra mag mit seinen 468 km² eines der kleinsten Länder der Welt sein, hat aber mit seinen sympathischen Eigenheiten einiges an Storytelling und den ein oder anderen Fun Fact zu bieten. Die 10 Millionen Tourist:innen, die jedes Jahr das Fürstentum bestaunen, schätzen vor allem die zahlreichen Möglichkeiten Wintersport zu treiben und die unberührte Natur, welche die Abgeschiedenheit der Pyrenäen mit sich bringt.
Das Element des Feuers zieht sich durch sämtliche Erzählungen und Traditionen, die Andorra zu dem machen, was es ist: Eine Mischung aus spanischer und französischer Kultur mit atemberaubenden Landschaften – ein guter Grund, dem Kleinstaat einen Beitrag in unserer Planet Storytelling-Reihe zu widmen.
Die Bewohner:innen von Andorra sind ein stolzes Volk und blicken auf eine lange Geschichte zurück. Doch bei den Details zur Gründung des Staates gibt es Unstimmigkeiten. Der Legende nach gewährte Karl der Große Andorra die Unabhängigkeit als Dank für die Hilfe im Kampf gegen die Araber. Historisch ist diese Geschichte aber nicht haltbar und somit ein Mythos. Trotzdem wird in der Nationalhymne auf die Gründungslegende Bezug genommen.
Offiziell wurde Andorra im Jahr 1278 als Kofürstentums gegründet und wird bis heute von zwei Seiten regiert – zur Zeit vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem spanischen Bischof von Urgell. Das macht Andorra zu einem echten Unikat, denn in welchem anderen Land gibt es gleich zwei Amtsträger, die eigentlich Ausländer sind?
Die Gebirgskette der Pyrenäen erstreckt sich vom Atlantischen Ozean bis zum Mittelmeer und trennt Frankreich von Spanien. Daher werden in Andorra auch beide Sprachen gesprochen und Kulturen gelebt. Jedoch ist Katalanisch die meist vertretene Alltagssprache.
Sogar der Gründungsmythos von Barcelona hat seinen Ursprung in den Pyrenäen: Herakles, die Heldenfigur aus der griechischen Mythologie, wanderte durch die Welt und sah die brennenden Landschaften der Pyrenäen, vom Drachen Geryon in Brand gesteckt. Dieser wollte die spanische Königin Pyrene vom Thron stoßen. Doch weil ihr die Flucht gelang, rächte er sich und brannte alles nieder, was ihm in die Quere kam. Aber auch Pyrene kommt schließlich durch vom Feuer geschmolzenes Eisenerz ums Leben und Herakles beschließt, ihren Tod zu rächen und ihr zu Ehren eine Stadt zu erschaffen: Barcelona.
Dass Pyrene ausgerechnet dem flüssigen Eisenerz erliegt, ist tatsächlich kein Zufall, sondern geht auf die jahrhundertalte Tradition der Eisenherstellung zurück, die den Bewohner:innen der Pyrenäen neben der Forstwirtschaft zu enormem Reichtum verhalf. Bis heute gibt es eine Wanderroute, die die Spuren der ehemaligen Industrie nachverfolgt. Entlang der sogenannten Eisenroute können Minen, Holzkohlemeiler und Eisenhütten sowie Museen zum Thema besichtigt werden.
Im Tal abseits der Wanderwege liegt die höchstgelegene Hauptstadt Europas, Andorra La Vella. Hier kommen sogar Kunstliebhaber:innen auf ihre Kosten: Auf dem Plaça de la Rotonda steht eine Bronze-Statue, geschaffen von keinem Geringeren als Salvador Dali. Die Figur mit dem Titel „La Noblesse du Temps“ zeigt das bekannte Symbol der schmelzenden Uhr und soll die Vergänglichkeit der Zeit abbilden. 1984 geschaffen, hat das Kunstwerk nach einigen Zwischenstationen in anderen Städten schließlich im Jahr 2010 seinen festen Platz in Andorra La Vella gefunden. Es ist etwas fünf Meter hoch und ein Geschenk des ehemaligen Agenten von Dali, Enric Sabatar.
Eine Mischung aus historischen und modernen Gebäuden haben jede Menge Einkaufsmöglichkeiten zu bieten. Die günstige Steuerpolitik des Fürstentums wirkt sich auf die Preise aus, das Einkaufsbummeln wird regelrecht zelebriert. Jedes Jahr findet sogar ein Andorra Shopping Festival statt.
Neben den Sport- und Einkaufsmöglichkeiten hat man in Andorra im Sommer auch die Möglichkeit, ein Ritual heidnischen Ursprungs zu erleben, das im Jahr 2015 von der UNESCO zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit erklärt wurde. Die Festlichkeiten rund um die Sommersonnenwende sollen den Frühling verabschieden und den Sommer begrüßen. Dabei steht ein Element besonders im Fokus: das Feuer.
Sobald die Dunkelheit hereinbricht, beginnen Fackelläufe, die von den Bergen ins Tal führen und so ein unvergessliches Spektakel fürs Auge bieten. In den Dörfern angekommen, werden die Teilnehmer:innen mit Essen, Wein, Musik, Glockenläuten und Feuerwerk empfangen und es wird bis tief in die Nacht gefeiert. Zu Essen gibt es „Coca de Sant Joan“, ein Kuchen aus Biskuitteig, Creme und kandierten Früchten. Erst 1987 hat eine Gruppe von Jugendlichen aus Andorra La Vella diese alte Tradition wiederbelebt, die Mitte des letzten Jahrhunderts verloren gegangen war.
Die Andorraner:innen sind eigen und gelten als eher scheu und skeptisch gegenüber Zugezogenen. Dieser Fakt könnte auf einer schlechten Erfahrung fußen, die einige Jahrzehnte zurückliegt und dennoch zum Schmunzeln bringt:
Im Juli 1934 gab sich der russische Immigrant Boris Skossyreff als Teil der europäischen Aristokratie aus und verlangte die alleinige Herrschaft über den Kleinstaat. Im Gegenzug versprach der Schwindler wirtschaftlichen Wohlstand, den er durch den Bau von Casinos und die Etablierung von Andorra als Steuerparadies erreichen wollte. Damit konnte er lokale Politiker und schließlich das Parlament tatsächlich überzeugen und war für ganze neun Tage offiziell König von Andorra. Als der Erzbischof von Urgell die Situation erkannte, ließ er Skossyreff jedoch verhaften und stellte ihn vor das Gericht in Barcelona. Zu wirtschaftlichem Wohlstand haben es die Bewohner:innen bekanntlich auch ohne ihn gebracht.
Um spannende Geschichten zu ergründen, muss man nicht zwangsläufig ferne Länder bereisen. Neugierig? Dann entdeckt das Potenzial, das Deutschland zu bieten hat, in unserem letzten Blogpost der Planet Storytelling-Reihe.
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