Die Heldenreise von Steiff – Wie ein Teddybär zum weltweiten Synomym für Kindheit wurde
Ein böser Albtraum weckt ein Kind mitten in der Nacht. Wer ist sofort zur Stelle zum Trösten, noch vor den Eltern? Der treue Teddybär. Mit seinen runden Knopfaugen und flauschigem Fell ist er der perfekte Kuschelbegleiter. Schon ist der böse Traum vergessen. Eine Szene, wie sie sich in Millionen Kinderzimmern weltweit abspielt. Einen großen Anteil daran hat die deutsche Firma Steiff. Zum 120-jährigen Jubiläum des Teddys stellen wir euch daher die Heldenreise des Unternehmens und die Persönlichkeiten vor, die den Kuschelbären zum weltweiten Synonym für Kindheit gemacht haben. Denn auch die Gründerin Margarete Steiff und ihr Lieblingsneffe Richard haben eine faszinierende Entwicklung auf dem Weg ihres Unternehmens durchlebt. Spoiler-Alert: Es ist ein inspirierendes Lehrstück dafür, wie Menschen aus Rückschlägen größer denn je hervorgehen können.
Aber zunächst zu den Basics: Die Hero’s Journey des amerikanischen Mythenforschers Joseph Campbell beschreibt ein Muster im Storytelling. Egal ob Star Wars oder Harry Potter, die erfolgreichsten Geschichten und Mythen laufen nach den Stationen der Heldenreise ab. Auch andere Unternehmen haben inspirierende Heldenreisen durchlaufen, wie Nike, Haribo und LEGO. Der in den 1940er entwickelte Kreislauf wurde von Christopher Vogler modernisiert und bietet sich nun auch für Unternehmensgeschichten an. Dieser ist der Rahmen für unsere Story über Steiff.
Gewohnte Welt: Das alltägliche Leben in Giengen an der Brenz
Zwischen Heidenheim und Ulm auf der Ostalb liegt das beschauliche Giengen an der Brenz. Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts war wirtschaftlich gesehen nicht einfach für die Region, doch mit der beginnenden Industrialisierung entwickelten sich neue Chancen. Zwar besitzt Giengen in Baden-Württemberg bereits Stadtrecht, wirkt aber dennoch zu der Zeit sehr dörflich.
Dort erblickt Apolonia Margarete Steiff am 24. Juli 1847 als drittes von vier Kindern das Licht der Welt. Das Leben ihrer Familie ist eher einfach und typisch für das Leben in der beschaulichen Stadt. Ihr Vater Friedrich ernährt die Familie als Bauwerksmeister, während ihre Mutter Maria den Haushalt führt sowie den Vater bei der Arbeit unterstützt. Der Weg für Margarete scheint vorgezeichnet: nach der Schule einen respektablen Ehemann finden und als Hausfrau und Mutter die Familie unterstützen.
Doch es kommt anders: Mit 18 Monaten erkrankt das kleine Mädchen an Kinderlähmung. Der Familie wird mitgeteilt, dass ihr bisher lebhaftes und unbeschwertes Kind für den Rest ihres Lebens nicht laufen können wird. Für die Mutter bricht eine Welt zusammen, denn sie geht davon aus, dass ihre Tochter für immer auf die Hilfe ihrer Mitmenschen angewiesen sein wird.
Der Ruf: Wie Margarete Steiff ihr Schicksal selbst in die Hand nahm
Margarete erkämpft sich trotz der schweren Einschränkung ihren Platz im Leben. Sie entwickelt sich zu einem sehr geselligen Mädchen und ist trotz körperlicher Beeinträchtigung viel mit den anderen Kindern zusammen. Dabei nutzt sie ihre Fantasie und wandelt Spiele so um, dass sie mitmachen kann. Diese Kreativität und der Einfallsreichtum werden sich später noch als nützlich erweisen. Die gleiche Entschlossenheit, sich nicht isolieren zu lassen, legt sie auch in der Schule an den Tag. Sie wird von ihren Mitschüler:innen auf dem Weg dorthin unterstützt und von einer Nachbarin die Treppe hinaufgetragen. Sie lernt wissbegierig und entwickelt sich zu einer guten Schülerin.
Nach dem Abschluss stellt sich die Frage, was Margarete nun mit ihrem Leben anstellt. Schließlich ist es eine männerdominierte Zeit. Traditionell haben Frauen ihre Rolle im Haushalt, nicht im Berufsleben. Das Einkommen ist gesichert durch den Ehemann. Die Diagnose kommt in den Augen der damaligen Gesellschaft daher einer Art Berufsverbot gleich. Denn: Die typische Rolle als Hausfrau und Mutter kann sie nach den strengen Vorstellungen des 19. Jahrhunderts mit ihrem Handicap nicht erfüllen. Margaretes Schwierigkeit in dieses vorgezeichnete Leben hineinzupassen, wird sich jedoch noch als Glücksgriff herausstellen.
Die Weigerung: Wieder einmal wird sie unterschätzt
Ein Wunsch ist geboren. Margarete träumt davon, Schneiderin zu werden. Dafür möchte sie eine Nähschule besuchen, doch ihr Vater weigert sich, dem zuzustimmen. Er möchte sie vor einer Enttäuschung schützen. Denn er kann sich nicht vorstellen, wie sie mit ihrer körperlichen Einschränkung diesem Handwerk nachgehen kann. Aber auch hier zeigt sich Margaretes Entschlossenheit und sie setzt sich durch. Zunächst fällt ihr das Handwerk tatsächlich schwer und sie braucht wesentlich länger als andere für ihre Arbeiten. Aber sie sucht gezielt die Hilfe ihrer Schwestern und wird mit viel Übung schließlich eine sehr gute Näherin. Wieder einmal zeigt sich, dass sie sich weder von Krankheit noch Geschlechterrollen einschränken lässt.
Mentoren (wider Willen): Vater Friedrich Steiff und Vetter Wilhelm Adolf Glatz
Nach seiner anfänglichen Skepsis unterstützt Vater Friedrich seine Tochter nun tatkräftig. 1874 baut er das Wohnhaus der Familie um. Im ersten Stock gibt es nun ein Arbeitszimmer, das als Schneiderei genutzt wird. Damit legt er buchstäblich das Fundament für das Geschäft der Familie. Die Steiff-Schwestern arbeiten von dort fleißig an ihren immer mehr werdenden Aufträgen. Der Fleiß zahlt sich aus und schon bald kann sich die Familie als erste im Ort eine eigene Nähmaschine kaufen.
Auch hier stößt Margarete wieder auf eine Hürde. Denn das Gerät ist von der Vorderseite nicht mit dem Rollstuhl zugänglich. Einfallsreichtum, Biss und die Unterstützung ihrer Familie helfen ihr aber auch hier. Sie bedient die Maschine fortan von der Rückseite und wird effektiver denn je. Von dieser Produktivität beeindruckt, hat ihr angeheirateter Vetter Wilhelm Adolf Glatz eine Idee. Er schlägt ihr vor, ein eigenes Filzgeschäft zu gründen.
Überschreiten der ersten Schwelle: Ein kleiner Elefant als Grundstein eines Imperiums
1877 folgt Margarete dem Vorschlag und gründet ein Filzkonfektionsgeschäft, in dem sie selbst hergestellte Haushaltsartikel und Textilien verkauft. Aus dem Laden entwickelt sich schnell ein erfolgreiches Kleinunternehmen mit mehreren fest angestellten Näherinnen. In dieser Zeit kommt ihr die Idee für ein Produkt, welches sich später als der Grundstein für das Steiff-Imperium erweisen wird: das „Elefäntle“.
1880 stößt sie in einer Modezeitschrift auf das Schnittmuster eines kleinen Elefanten. Sie fertigt auf Grundlage dieses Schnittmusters ein Nadelkissen in der Form des Tieres. Dieser eigentlich als praktisches Alltagsprodukt konzipierte kleine Elefant entwickelt sich schnell zum absoluten Verkaufsschlager auf dem nahe gelegenen Heidenheimer Markt. Das liegt nicht nur an seinem funktionellen Nutzen, sondern vor allem auch an seinem niedlichen Aussehen. Das weiche Filztier wird schnell beliebt bei Kindern als Kuscheltier. Margarete Steiff erkennt die Chance und produziert daraufhin in den folgenden Jahren weitere Figuren aus Filz, die viele Kinderaugen zum Strahlen bringen und das Geschäft aufblühen lassen.
Prüfungen, Verbündete, Feinde: Wie Lieblingsneffe Richard Steiff einen Plüschteddy entwickelt
Das erfolgreiche Geschäftsleben der Margarete Steiff ist auf dem Höhepunkt und sie plant gezielt, wie sich das Unternehmen auch in Zukunft weiterentwickeln kann. Da erweist es sich als passend, als 1897 ihr Lieblingsneffe Richard Steiff die Kunstgewerbeschule in Stuttgart und das anschließende Studium in England abgeschlossen hat und ins Familienunternehmen mit einsteigt.
Richards Hobby erweist sich als schicksalshaft für das Unternehmen. In seiner Freizeit geht er gerne in den Zoo und fertigt Skizzen von den Bären im Gehege an. Inspiriert vom Verkaufsschlager „Elefäntle“ kommt er schließlich auf die Idee, ausgehend von seinen Skizzen einen Bären als Plüschtier zu entwickeln. 1902 ist schließlich das Geburtsjahr des Steiff Teddys. Zwar ist das Plüschtier bereits für Kinder gedacht, jedoch ist der erste Prototyp mit seinem etwas zu akkuraten Aussehen noch etwas steif. Das Besondere an ihm ist allerdings, dass er bewegliche Arme und Beine hat. Richard Steiff gibt ihm den förmlichen und funktionellen Namen „55PB“ für „55 Zentimeter“, „Plüsch“ und „beweglich“.
Stolz präsentiert Richard seine Erfindung 1903 auf der Leipziger Frühjahrsmesse. Doch die Enttäuschung ist groß: Zunächst interessiert sich niemand für das Plüschtier. Erst kurz vor Messeschluss kommt ein Einkäufer aus Amerika an den Stand und ist begeistert. Er kauft den gesamten Vorrat und ordert bereits im Voraus. Tatsächlich wird der Teddy in den Vereinigten Staaten ein Erfolg und im darauffolgenden Jahr werden bereits unglaubliche 12.000 Steiff-Bären in den USA verkauft.
Ein weiterer Amerikaner wird schließlich drei Jahre später den absoluten Siegeszug des Teddybären herbeiführen. Doch zunächst steht Steiff vor einer weiteren Prüfung. Die Beliebtheit der Produkte führt zu feindlichen Nachahmern. Ein Preiskampf droht. Zum Glück hat Franz Steiff, ein weiterer Neffe von Margarete, eine geniale Idee. Er entwickelt 1904 das noch heute weltweit bekannte Markenzeichen, den „Knopf im Ohr“ eines jeden Kuscheltieres. Dadurch werden die Tiere zu Markenprodukten mit hohem Wiedererkennungswert. Zu Beginn noch mit dem Elefäntle als Logo, wird er im Laufe der Zeit durch den Steiff Schriftzug ersetzt.
Ein Verbündeter aus Übersee: Ein US-Präsident mit Namen „Teddy“
Durch einen schicksalhaften Zufall entwickelt sich ein sehr berühmter Amerikaner als ein weiterer Verbündeter der Familie Steiff. 1906 war US-Präsident Theodore Roosevelt, Spitzname „Teddy“, auf dem Höhepunkt seiner politischen Karriere. Der beliebte Präsident ist mitsamt Entourage und Presse auf einem Jagdausflug unterwegs, als ihm als leichtes Ziel ein angeleinter kleiner Bär angeboten wird. Roosevelt lehnt es jedoch ab, den hilflosen Bären zu erschießen. Das Erlebnis wird begeistert von den anwesenden Journalisten aufgenommen und Cliffort K. Berryman zeichnet die Szene als Karikatur mit dem Titel „Teddy‘s Bear“.
Das Bild wird in der Washington Post veröffentlicht und verbreitet sich rasend. Die charmante Geschichte führt dazu, dass immer mehr Kinder einen Bären wie den von „Teddy“ haben wollen. Schnell entsteht ein regelrechter Boom um den Teddybären und die Plüschtiere der Firma Steiff finden reißenden Umsatz. Sie produziert nun mit 400 Mitarbeitenden und 1.800 Heimarbeiter:innen bereits 1.700.000 Spielartikel und 973.990 Teddys und wird immer bekannter. Als Dankeschön für ihren unerwarteten Markenbotschafter ist in der ersten Teddylieferung für die USA auch ein Bär für Präsident Roosevelt dabei. Dieser hat nichts gegen die Assoziation und nimmt das Geschenk gerne an.
Vordringen zur tiefsten Höhle: Tod der Firmengründerin, Materialknappheit und Goldene Zwanziger
Nach den glücklichen Jahren des Booms kommen harte Zeiten auf die Familie Steiff zu. Mit nur 61 Jahren verstirbt Matriarchin Margarete Steiff am 9. Mai 1909 an den Folgen einer Lungenentzündung. Das Unternehmen und ihre Neffen müssen nun ohne den Einfallsreichtum der klugen Frau auskommen. In ganz Europa kippt zudem die Stimmung und der Erste Weltkrieg bricht 1914 aus. In der Not des Krieges und der Nachkriegsjahre ist Spielzeug keine Priorität. Wieder einmal rettet der Erfindergeist der Familie 1919 das Geschäft. Da Mohair und Wolle durch den Krieg knappe Materialien geworden sind, werden sie kurzerhand durch Papier ersetzt. Der „Papierteddybär“ ist geboren. Darüber hinaus vertreibt Steiff nun als Alternative auch Spielzeug aus regionalem Holz.
Kurze Zeit später brechen die Goldenen Zwanziger an und die wirtschaftliche Stimmung hellt wieder auf. Die wiedergewonnene Lebensfreude führt zu einer hohen Nachfrage nach den niedlichen Teddybären, nun auch wieder aus weichem Plüsch. Um dem hohen Bedarf gerecht werden zu können, führt Steiff ab 1925 die Fließbandfertigung ein.
Die entscheidende Prüfung: Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg
Die aufblühende Stimmung der Zwanzigerjahre nimmt mit Beginn der Machtergreifung Hitlers ein jähes Ende. Für viele deutsche Unternehmen stellt sich nun die Frage, wie sehr sie sich den Nationalsozialisten andienen. Zu Beginn des Hitler-Regimes produziert Steiff eine SA-Filzfigur. Mit kriegsverherrlichenden Waren steht die Firma nicht allein da. Einige Unternehmen der Zeit vertreiben Spiele, mit denen sie sich an den nationalsozialistischen Zeitgeist angleichen wollen. Allerdings gefiel den Nazis selbst die Plüsch-SA-Figur nicht. 1934 wurde die Produktion durch das württembergische Landesgewerbeamt verboten, da sie ihrer Meinung nach die „Würde der nationalen Symbole“ beschmutzen würde.
Spätestens mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges nehmen großes Leid und Not wieder Einzug in Europa ein. Wieder einmal sind Spielzeuge und Teddybären keine Priorität für die Bevölkerung. Außerdem ist Steiff ein Unternehmen, das vor dem Krieg auch durch den Export hohe zusätzliche Einnahmen erwirtschaftet hatte. In Folge des Krieges stellt sich die Frage, wie der Ruf des Unternehmens aus dem nationalsozialistischen Deutschland jemals wiederhergestellt werden kann.
Die Belohnung: Neustart im Wirtschaftswunderland der 50er Jahre
Nach dem Leid kommt der Aufschwung. Zwei Jahre nach Kriegsende beginnt 1947 der unternehmerische Neubeginn für Steiff. Sie profitieren schnell von der Aufbaustimmung. Nach nur einem Jahr können sie bereits 1.000 Mitarbeitende beschäftigen und fünf Jahre später fast doppelt so viele.
Gleichzeitig mit dem wirtschaftlichen Aufschwung wird außerdem der „American Way of Life“ immer beliebter. Und was wäre da geeigneter als ein Teddy für die Kinder. Passend zur Aufbruchstimmung erfindet sich auch Steiffs Bär neu. Er erhält 1950 ein überarbeitetes Design und wird auf den Namen „Original Teddy“ getauft.
Rückweg und Auferstehung: Modernisierung und immer wieder neue Ideen
In den folgenden Jahrzehnten lässt sich Steiff immer wieder etwas Neues einfallen. 1966 wird das Design des „Original Teddybären“ modernisiert und von Fans aufgrund seiner kurzflorigen Schnauze auch „Maskenbär“ genannt. Mit der Zeit werden die Teddys immer ausgefallener. So auch mit der 1989 gestarteten Reihe „British Collector’s Teddy Bear“ und den Ländereditionen mit verschiedenen landestypischen Trachten. Mit dem 1992 gegründeten Steiff Club etabliert das Unternehmen neben Kindern immer mehr erwachsene Sammler als Zielgruppe. Dazu passen auch die exklusiven Designer-Kooperationen, die seit den 2000ern produziert und im Rahmen von Auktionen für den guten Zweck versteigert werden. Zum 125-jährigen Firmenjubiläum eröffnet das Unternehmen ein eigenes Museum in Giengen. Dort werden historische Figuren ausgestellt und Kinder können sich an einem Streichelzoo mit Kuscheltieren und einer Schlangenrutsche aus Plüsch erfreuen.
Rückkehr mit Elixir: 120 Jahre Steiff
120 Jahre nach der Geburt des ersten Steiff Teddys können Familie und Unternehmen auf eine lange und ereignisreiche Geschichte zurückblicken. Steiffs Elixir zum Erfolg ist dabei die Kombination aus Modernität und Innovation bei gleichzeitiger Bewahrung der Tradition. Die aktuellen Kooperationen mit Audiohörspielproduzenten schaffen zudem ein audiovisuelles Storytelling für die Kinder und sorgen dafür, dass die Marke auch im multimedialen Zeitalter relevant bleibt. Mit der Jubiläumsteddyfamilie zum 120. Geburtstag zelebriert Steiff zeitgleich seine Wurzeln.
So konnte aus dem kleinen Unternehmen in Giengen an der Brenz eine bekannte Marke werden, die weltweit die Herzen von Kindern wie Erwachsenen gleichermaßen höherschlagen lässt. Mögen auch in Zukunft weitere Prüfungen auf Steiff zukommen, der Teddybär wird höchstwahrscheinlich einen nostalgischen Platz im Herzen von uns allen behalten.
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