„Manchmal ist die Realität zu komplex. Geschichten geben ihr Form.“ Jean-Luc Godard
Daten brauchen Geschichten. Umgekehrt ist dies aber auch der Fall: Geschichten brauchen manchmal Daten. Das gilt insbesondere, wenn Institutionen und Unternehmen im Kontext gesellschaftlicher Entwicklungen wie beispielsweise dem Ukraine-Krieg oder der Energiekrise wirken. Für sie geht es darum, mit dem Informieren der Öffentlichkeit ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nachzukommen.
Für Data Storytelling in der PR gibt es viele Gründe: Es ermöglicht, das Wissen reichweitenstark und gezielt zu vermitteln. Das zeigen zwei Beispiele aus unserer PR-Praxis. Mit der Initiative #UnterkunftUkraine und dem Digitalunternehmen resmio sahen wir uns zunächst aber den typischen Hürden der Daten-PR gegenüber: Wie kommen wir zu Zahlen mit Nachrichtenwert? Wie ziehen wir Wissen aus nackten Fakten? Wir stricken wir die Erkenntnisse zu einer daten-basierte Erzählung? Das waren nur einige der Fragen, die wir uns immer wieder neu stellen mussten, damit aus Daten Geschichten mit Reichweite werden konnten.
Das große Potenzial des Data Storytellings: Es ermöglicht nicht nur, Nachrichten in die Welt zu tragen, sondern eine Nachricht überhaupt erst zu erzeugen. Im ersten Schritt braucht es aber für die Daten eine Quelle – und die muss manchmal erst erschlossen werden. Dazu gibt es im Grunde drei Möglichkeiten, die gutes Data Storytelling miteinander kombiniert.
Naheliegend ist es, auf Daten zurückzugreifen, die jede digitale Plattform ohnehin erhebt. Aus anonymisierten Nutzungszahlen kann mitunter eine Nachricht mit hoher gesellschaftlicher Relevanz entstehen. Als nach Beginn des Angriffskriegs in der Ukraine viele Menschen nach Deutschland flüchteten, stimmte zumindest eine Nachricht hoffnungsvoll: Die Hilfsbereitschaft war hierzulande groß. Innerhalb nur einer Woche wurden Geflüchteten mehr als 100.000 Betten über die Plattform von #UnterkunftUkraine angeboten. Die Erfolgsmeldung war dabei erst der Anfang der neu entstandenen digitalen Plattform und dem Engagement privater Gastgebenden. Das bedeutete, in den nächsten Monaten würden Medien immer wieder und häufig tagesaktuell Fakten anfragen. Die Rohdaten waren bei #UnterkunftUkraine zwar in der Regel vorhanden, aber ohne ihren Kontext noch wenig aussagekräftig.
Das Erheben von Daten für die Öffentlichkeit ist eine zweite Möglichkeit, die im Unterschied zur Verwendung bereits vorhandener Zahlen mehr Vorlauf benötigt. #UnterkunftUkraine schloss sich mit dem Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung zusammen, um einen tieferen Einblick in die Situation und den Unterstützungsbedarf privater Gastgebenden zu erhalten – und damit auch an die Öffentlichkeit weitergeben zu können. Die Kooperation mit einem Forschungsinstitut vom Studiendesign bis zum Bericht ebnet umfangreiche Möglichkeiten, Daten-Storys an die Presse zu kommunizieren.
Jedoch ist das Erheben eigener Daten auch mit weniger großem Aufwand möglich. Das zeigt das Beispiel unseres Kunden resmio, die als digitale Managementlösung für Gastronom:innen nah dran an den von der Energiekrise betroffenen Betrieben sind. Entsprechend interessiert war resmio, der Lage der Gastrobetriebe mehr Gehör zu verschaffen. Beim Studiendesign zählte am Ende, transportieren zu können, wie stark sich die Energiekrise tatsächlich auf die Gastronomie auswirkte. Fragen von Journalist:innen bezogen wir zusätzlich früh mit ein und hatten so einzelne Medien von Anfang an mit an Bord.
Eine dritte Quelle sind externe Daten, die in einen neuen Kontext gesetzt werden können. Der Einbezug von Zahlen des Statischen Bundesamts ermöglichte uns, das Wissen von #UnterkunftUkraine in das bundesweite Migrationsgeschehen einzuordnen. Fremde Erhebungen von Verbänden wie beispielsweise dem Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) waren für resmio als Ergänzung zu den eigenen Umfrageergebnissen relevant. In beiden Fällen ermöglichte das Heranziehen fremder Statistiken, vorhandene Informationslücken in den eigenen Erhebungen zu schließen und den gewonnenen Erkenntnissen zusätzliche Glaubwürdigkeit zu verschaffen.
Nach der Datenerhebung folgt die Auswertung. Bei der Analyse geht es darum, Komplexität zu reduzieren, ohne zu banalisieren. Das umfangreiche Zahlenmaterial muss zunächst in Tabellen und Grafiken aufbereitet und sortiert werden. Hierbei war es unsere Herausforderung, neue und überraschende Erkenntnisse zu generieren, die damit einen hohen Nachrichtenwert bieten.
Auf den ersten Blick war der resmio-Stichprobe zu entnehmen, dass 45 Prozent der Gastronom:innen keine ausreichenden Rücklagen gebildet hatten, um die steigenden Kosten für ihren Betrieb aufzufangen. So erschreckend diese Nachricht klang – sie war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr neu. Erst eine tiefere Analyse und ein Vergleich der städtischen mit den ländlichen Betrieben offenbarten die Nachricht, die in der Headline für die PR-Meldung „Gastrobetriebe auf dem Land stärker von Schließung bedroht als in der Stadt“ mündete, die unter anderem die Welt als Thema des Tages aufgegriffen hat.
Beim Data Sorytelling steht die Frage im Mittelpunkt: Welche Informationen sind für die Zielgruppe relevant? Dabei können aus Leser:innen Protagonist:innen werden, wenn die Geschichte die nächste Frage des Publikums vorwegnimmt. Wir stellten dazu die quantitativen und qualitativen Ergebnisse miteinander in Bezug.
Dies war möglich, da die #UnterkunftUkraine-Befragten sowohl geschlossene als auch offene Fragen beantwortet hatten. Aus den Ergebnissen zu den geschlossenen Fragen ergab sich die erste wichtige und quantitativ gestützte Botschaft: Der überwiegende Teil der Unterbringenden (82%) hatte sich positiv zur Erfahrung mit der privaten Unterbringung geäußert. Für Leser:innen der Daten-Story lag damit jedoch die Frage nahe: Was war mit dem verbliebenen Teil? Hierzu gaben die qualitativen Ergebnisse zu den offenen Fragen indirekt Aufschluss. Diese zeigten, was #UnterkunftUkraine-Gastgebende sich konkret wünschen, sodass sich ihre Hilfsbereitschaft nicht erschöpfen würde. Vielfältige Hilfen bei bürokratischen Hürden wurde hier herangeführt.
Auf die Herausforderung, Zusammenhänge und unbekannte Strukturen zu finden, folgte direkt die nächste. Es galt, diese „Aha“-Erkenntnisse herausarbeiten. Denn beim Erzählen mit Daten ist weniger mehr, wenn auch alle Fragen zur Quelle und zu Zeitraum und Ort der Erhebung an jeder Stelle im Text geklärt sein sollten. Gleiches gilt für die visuelle Darstellungsform. Zudem gibt es hier einige grundsätzliche Regeln zu beachten, die mit unseren Sehgewohnheiten zu tun haben.
Ein Beispiel: Für Zeitverläufe nutzen wir grundsätzlich Liniendiagramme. Eine Grafik zum erstmaligen Engagement im Bereich Migration machte so die starke Neuaktivierung des Engagements im Bereich der privaten Unterbringung auf einen Blick erfassbar: 58% der befragten Unterbringenden hatten sich zum ersten Mal in dem Bereich Flucht und Asyl engagiert.
Demgegenüber entschieden wir gemeinsam mit resmio hervorzuheben, welche Herausforderungen in der Gastronomie zu den größten für die Inhaber:innen zählen. In Prozent wird das Verhältnis zu der Gesamtzahl der Befragten deutlich und damit die hohe Bedeutung, die die Gastronom:innen der sinkenden Nachfrage der Gäste beimessen. Der direkte Vergleich mit anderen Herausforderungen ist mit einem Balkendiagram auf den ersten Blick zu erfassen. Die Grafiken dienten Journalist:innen als Visualisierungsvorschläge, die sie in eigenem Layout umsetzten. Die darin abgebildeten und aufbereiteten Daten hatten wir ihnen nebst Text und Diagrammen zur Verfügung gestellt.
Dank reicher Datenquellen schrieb sich die Geschichte von #UnterkunftUkraine – eng verwoben mit dem Engagement privater Gastgeber:innen – quasi in Echtzeit und entlang der engen Zusammenarbeit mit den Journalist:innen, die auf die Initiative zukamen. #UnterkunftUkraine etablierte sich durch kontinuierliches Data Storytelling medial zu einer Stimme der Gastgebenden, resmio zu einer Stimme der Gastronom:innen. Denn auch mit den Daten-Stories von resmio und dank der gezielten Ansprache unterschiedlicher Medien, erreichten wir ein breites Publikum, das über die eng gefasste Zielgruppe hinausging. Die Daten-Storys sorgten aber nicht nur für mediale Aufmerksamkeit. Beide Organisationen nahmen auch gesellschaftliche Verantwortung wahr, indem sie Antworten auf die Fragen von hohem öffentlichem Interesse boten.
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