Die Heldenreise der Barbie: Vom unrealistischen Klischee zum inspirierenden Vorbild
Meine erste Erinnerung an eine Barbie ist, dass meine Mutter mir keine kaufen wollte. Zum Glück hatten meine Tanten Mitleid mit mir, so dass ich meine erste Puppe aus dem Hause Mattel samt modischer Ausstattung von ihnen geschenkt bekam. Zwar billigte meine Mama diesen Umstand, verdammte das Püppchen aber in mein Zimmer und verbot mir „mit ihr über den Flur zu gehen“.
Was heute als lustige Familienanekdote gilt, hatte aber einen durchaus ernsten Hintergrund für meine Mutter. Ich denke, sie empfand die Barbiepuppe mit ihrer unrealistischen Körperform und ihrem entsprechenden sexy Image nicht geeignet als Spielzeug für ein junges Mädchen und Vorbild für ein gesundes Körperbild.
Wenn wir einmal schauen, woher die Barbie ihren Ursprung hat, ist das durchaus nachvollziehbar. Denn die Herkunft der amerikanischen Puppe liegt eigentlich in Deutschland und einem Comic, das so gar nicht für Kinder gedacht war.
Gewohnte Welt – Ein Männertraum als Vorlage
Im Juni 1952 erschien in der ersten Ausgabe der BILD-Zeitung eine sexy Comicfigur mit blonden Haaren und langen Beinen namens Lilli – kurzum ein stereotypischer Männertraum. Die Abenteuer der jungen Dame kamen bei der Leserschaft anscheinend so gut an, dass man in der Redaktion beschloss, die Figur als Werbemittel zu produzieren. Ab 1955 war die Puppe dann für jeden erhältlich und wurde bis 1959 ca. 130.000-mal verkauft – für damalige Verhältnisse durchaus ein Erfolg. Jedoch war die Figur aus Hartplastik eigentlich nicht für Kinder gedacht, sondern diente als Werbung oder Dekoration, beispielsweise in Schaufenstern.
Der Ruf – Entdeckung im Schweizer Schaufenster
In einem solchen entdeckte Ruth Handler, die Ehefrau des Mattel-Mitbegründers, 1957 eine Lilli-Puppe auf einer Schweizreise in Luzern. Sie kaufte das kleine Püppchen für ihre Tochter Barbara, die begeistert damit spielte, indem sie die Lilli immer wieder neu frisierte und einkleidete.
Die Weigerung – Puppen sind zum Kuscheln da
Anfang der 50er-Jahre hatte Ruth Handels Mann die Idee einer Mannequin-Figur noch abgelehnt. Seine Spielzeugfirma vertrieb unter anderem auch Puppen. Er glaubte allerdings, dass die Produktion für diese Art zu teuer wäre und zudem kleine Mädchen lieber etwas zum Kuscheln hätten.
Die Tochter als Mentorin und überschreiten der ersten Schwelle
Doch seine eigene Tochter überzeugte ihn vom Gegenteil, und so plante er mit seiner Firma Mattel eine eigene Mannequin-Puppe namens Barbie, dem Spitznamen seiner Tochter, auf den Markt zu bringen. Das Produkt wurde zum ersten Mal in New York 1959 auf einer Spielzeugmesse vorgestellt.
Prüfungen, Verbündete, Feinde – Erfolglose Messe, fehlende Lizenzen
Die Messe war jedoch nicht sehr erfolgreich. Die Konkurrenz amüsierte sich über die Kreation und war sich sicher, wie Jahre zuvor Ruth Handlers Mann selbst, dass kein Kind eine Puppe mit Brüsten mögen würde. Doch die junge Zielgruppe sah das ganz anders. Im Einzelhandel kam das Produkt besonders bei kleinen Mädchen gut an – sehr zur Überraschung des Spielzeug-Herstellers. Das Konzept des Ankleidens für die Barbie war marketing-technisch genial, da so ständig neue Welten fürs Kinderzimmer erschaffen – und verkauft – werden konnten. 1961 wurde das Portfolio dann mit Ken um ein männliches Pendant erweitert – diesmal benannt nach dem Sohn der Familie Handler.
Es gab jedoch ein Problem: Mattel hatte sich keine Lizenzen vom deutschen Hersteller sowie dem Axel-Springer-Verlag gesichert. Zwar hatte die amerikanische Barbie nicht allzu viel gemein mit der deutschen Lilli, trotzdem gab es rechtliche Differenzen. Erst 1964 konnten sie mit einer Einigung inklusive einer geheimen Streitsumme beigelegt und die Puppe ab dem Zeitpunkt nur noch exklusiv von Mattel vertrieben werden.
Vordringen zur tiefsten Höhle – Kritik an dem einseitigen Schönheitsideal
Im Rückblick steht der Siegeszug der Barbie für einen Umbruch in der Kulturgeschichte. Im 19. Jahrhundert spielten Mädchen meist mit Babypuppen, welche sie auf die Mutterrolle vorbereiten sollten. Ein Spielzeug in Form einer erwachsenen Frau stand deshalb auch für Emanzipation. Dennoch protestierten von Anfang an Frauenrechtler:innen gegen die Barbie. Zum einen kritisierten sie die sexy Proportionen der Puppen, welche Kindern ein unrealistisches Körperbild vermitteln würden. Auch würde die Figur sehr stark sexualisiert dargestellt werden. Zusammen mit dem hübschen Püppchen-Gesicht wurde für alle definiert, was als Schönheitsideal in die weltweiten Kinderzimmer Einzug hielt.
Ein weiterer negativer Punkt war die fehlende Diversität der Puppe. Als weiße blonde Frau war sie für weite Teile der weltweiten Bevölkerung zu wenig repräsentativ. Dieser Kritik nahm sich Mattel in den 80er Jahren an und produzierte erstmals eine schwarze Barbie. In den darauffolgenden Jahrzehnten variierten auch die Haarfarben der Barbiepuppe und sie wurde mit verschiedensten Ethnien dargestellt.
Rückkehr – Erneuerung der Marke
Zudem setzte Mattel wichtigen berühmten Frauen mit einer Barbie-Version ein Denkmal, beispielsweise den Protagonistinnen des Films „Hidden Figures“, der von vier Mitarbeiterinnen der NASA handelt, die maßgeblich zum Erfolg des US-Weltraumprogramms beitrugen. Zum Jubiläum stellte das Unternehmen weitere Puppen für das „Shero“-Programm (eine Mischung aus „she“ und „hero“) sowie eine neue Linie namens „Inspiring Women“ her, die historischen Frauen würdigt und gerade Mädchen als Vorbild dienen sollen.
Nicht immer stieß diese Form der Ehrung auf Gegenliebe. Beispielsweise sorgte die stark geschönte Version von Frida Kahlo für wenig Begeisterung bei den Erb:innen und für einen Rechtsstreit mit dem Spielwarenhersteller. Auch die mexikanische Schauspielerin Salma Hayek, welche die Künstlerin in einem Film darstellte, machte ihrem Unmut öffentlich Luft:
„Frida Kahlo hat nie versucht, wie jemand anderes auszusehen, sie hat ihre Einzigartigkeit gefeiert. Wie können sie nur eine Barbie aus ihr machen?“
Das Elixier – Der Wandel zum Vorbild
Viele der aktuell ausgewählten Role Models fühlen sich jedoch geehrt als Barbie-Puppe verewigt zu sein. Schließlich geht es darum, Kinder auf diese Weise zu inspirieren und ihnen mit den Geschichten der bemerkenswerten Frauen zu zeigen, dass sie alles erreichen können. Im letzten Jahr rückte die „Dream Gap“-Kampagne zum Beispiel inspirierende Frauen aus der Wirtschaft in den Mittelpunkt, da es dem weiblichen Nachwuchs in der Arbeitswelt noch immer an Idolen fehlt.
Aus Deutschland wurde die Digitalpionierin Tijen Onaran ausgewählt, welche sich für die Sichtbarkeit von Frauen und Diversität in der Wirtschaft einsetzt:
„Ich finde es toll, ein Vorbild zu sein. Ich möchte jungen Mädchen zeigen: Egal, wo du herkommst, welche Hautfarbe du hast oder aus welchem Elternhaus du stammst, du kannst deinen Weg gehen.“
Auch wenn die Plastikpuppen weiterhin die typischen Grundzüge der Ursprungsfigur beinhalten und die Kollektionen nie vollständig die Realität abbilden können, so hat Mattel mit Barbie doch eine erstaunliche Wandlung vom klischeebehafteten Püppchen zum Vorbild junger Mädchen vollzogen. Ich bin sicher, heute wäre die Ablehnung meiner Mutter gegenüber meinem Wunsch nach einer Barbie nicht so rigoros wie damals in meiner Kindheit.
Wie die Geschichte einer anderen deutschen Spielzeugmarke aussah und zum weltweiten Synonym für Kindheit wurde, erfährst du in der Heldenreise von Steiff.
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12. November 2024