Direkt zum Inhalt wechseln
Storytelling in der Klimakommunikation: Weniger Zahlen, mehr Geschichten
Communications – PR, Content, Redaktion Tools 13. September 2023

Storytelling in der Klimakommunikation: Weniger Zahlen, mehr Geschichten

Um Menschen die Dringlichkeit der Klimakrise verständlich zu machen, braucht es einen Narrativwechsel in der Klimakommunikation. Wenn die Berichterstattung seit Jahren mit ihrem Fokus auf den individuellen Ursachen, negativen Folgen und Endzeitszenarien nicht handlungswirksam genug war, was dann? Statt weiterer Informationskampagnen und Angstmacherei braucht es Geschichten, die zum Nachdenken anregen und zum Handeln ermutigen. 

Das Beitragsbild zum Thema "Storytelling in der Klimakommunikation"
Storytelling in der Klimakommunikation | Bild: Pixabay

Wissen vs. Handeln: Wenn innere Spannung lähmt

Der norwegische Psychologe Per Espek Stoknes forscht seit vielen Jahren, warum die Menschen immer mehr über den Klimawandel wissen, es ihnen gleichzeitig so schwerfällt, das Problem ernst zu nehmen und entsprechend zu handeln. Das Stichwort lautet kognitive Dissonanz – ein psychologischer Fachbegriff für das unangenehme Gefühl, wenn Verhalten und Wissen nicht zusammenpassen. Folglich versuchen Menschen, die konträren Gefühle/Einstellungen wieder in Einklang zu bringen. Das geschieht meist durch einen der folgenden Mechanismen: 

1. Soziale Vergleiche & Relativierung des eigenen Verhaltens

“So schlimm ist mein ökologischer Fußabdruck gar nicht. Die Chinesen sind viel schlimmer.” 
“Ich fahre viel weniger Auto als meine Kolleg*innen.”

2. Relativierung oder Leugnung von Wissenschaft

“Es gab schon immer klimatische Schwankungen und Hitzeperioden in der Geschichte der Erde. Klimawandel ist eine Erfindung der Politik.“

3. Entlastung

“Ich esse vegetarisch, dann kann ich dafür ruhig einmal nach Bali fliegen.”

4. Anpassung der Handlung

“Die 3km mit dem Auto zu fahren, ist nicht konsequent. Ab morgen steig ich auf’s Rad um.”

Wir Menschen sind träge darin, unser Handeln zu ändern. Deswegen finden wir häufig Ausreden und passen unser Wissen so an, dass es zu unserem bisherigen Handeln passt – statt andersherum. 

Zahlen, Daten, Angst? Was Menschen wirklich zum Handeln bewegt

„[Der Klimawandel] ist eines der Themen, bei denen der wissenschaftliche Sachstand wohl am besten und zugänglichsten dokumentiert ist”, legt Prof. Dr. Mike Schäfer dar. Der Professor für Wissenschaftskommunikation an der Universität Zürich weiß, dass sich nicht jedes Problem der Klimadebatte lösen lässt: „Aber es gibt viele Punkte, an denen man kommunikativ ansetzen kann.”

Eine davon ist, das Narrativ zu ändern. Denn Angst ist ein unwirksames Mittel, um ein echtes persönliches Engagement zu motivieren, fand eine britische Studie des Tyndall Centre for Climate Change Research heraus. Dabei ist die mediale Berichterstattung genau davon geprägt. Medienforschende aus Harvard haben festgestellt, dass der Klimawandel häufig bei der Schilderung auswegloser Situationen stehenbleibt – und damit noch auswegloser dargestellt wird als Seuchen, Epidemien oder Naturkatastrophen.   

Der Heidelberger Trend- und Zukunftsforscher ​​Eike Wenzel schreibt im Handelsblatt, dass wir in der „medialen Aufarbeitung […] vorläufig erst einmal grandios gescheitert” seien und fragt: Wie kommen wir aus der kommunikativen Sackgasse heraus? Die britischen Forscherinnen des Tyndall Centre haben die Antwort: Ansprechender als der Status quo der Medienbranche seien nicht-bedrohliche Bilder und Symbole, die an die alltäglichen Emotionen und Sorgen im Zusammenhang mit Umweltthemen anknüpfen. 

Klimahandeln: Das Abstrakte konkret erfahrbar machen

Das Problem der Klimakrise ist, dass sie vermeintlich lebensfern ist: Sie ist nicht direkt beobachtbar und ihre Auswirkungen liegen „jenseits der geografischen und biografischen Lebenshorizonte vieler Menschen”, so Prof. Dr. Mike Schäfer. Umso wichtiger sei es, „das Komplexe in einfachen Bildern, die Wirkungen des Langzeitprozesses auf die Gegenwart, die Wirkungen in der Ferne anhand von konkreten Personen” deutlich zu machen. Der Schlüssel ist, konkrete Handlungsoptionen aufzuzeigen und die empfundene Selbstwirksamkeit zu steigern. 

Klimagerechte Sprache

Ein wichtiger Schritt auf diesem Weg ist es, unsere Wortwahl zu überdenken, denn Sprache schafft Wirklichkeit. Klimawandel klingt wie ein unumgänglicher Prozess – dazu noch nett und niedlich. Wörter wie Klimanotstand oder -problem werden dem Ausmaß schon eher gerecht. Erste Medien wie The Guardian oder die taz haben ihre Empfehlungen dahingehend bereits angepasst.

Klimaerwärmung vs. Klimaerhitzung. Klimaskeptiker vs. Klimaleugner. Verniedlichende Begriffe werden aktiv von Lobbyisten der Industrien verwendet, um das Problem klein und die Skepsis groß zu reden. Dr. Torsten Schäfer, Professor für Journalismus, beschäftigt sich mit klimagerechter Sprache und plädiert dafür, das Klimavokabular zu verbreitern. Sprache sollte vielfältiger und lebendiger werden, damit sie wirksamer wird. 

Forschung: Neue Klimakommunikation

Mit seiner Forschungsgruppe an der Hochschule Darmstadt hat Torsten Schäfer nach Möglichkeiten und Formen gesucht, wie sich das Thema Erderhitzung neu erzählen lässt – abseits trockener Zahlen. Sie haben u.a. folgende (ungenutzte) erzählerische Potenziale des Klimawandels identifiziert:

  • Selbstversuch: Diese Form ist im grünen Spektrum relativ oft zu finden und damit nur noch als semi-alternativ zu bezeichnen. Der Reporter oder die Reporterin nimmt an einem Kurs (Vegan leben, Survival-Techniken) teil, verzichtet auf etwas für eine gewisse Zeit (Plastik, Fleisch, Auto), testet Produkte (E-Bike, Solarauto) oder begleitet andere bei solchen Versuchen.
  • Vorbilder: Immer spielen hier Menschen oder Gruppen eine Rolle, die bereits etwas Unerwartetes geschafft haben oder es zumindest versuchen. Über sie mit Reportagen oder Porträts zu berichten, kann inspirieren und zur Nachahmung einladen. 
  • Rundgang: Man holt einen Experten an einen Ort und macht mit ihm/ihr einen thematischen Rundgang – etwa zur Frage, wie sich eine Stadt im Zuge des Klimawandels verändern muss oder wie öffentlicher Raum familien- oder fahrradfreundlich umgestaltet werden kann.
  • Patchwork-Erzählung: Viele kleine Geschichten oder Porträts setzen sich zu einem bunten Puzzle zusammen. Das kann sowohl international als auch regional funktionieren. Mit dieser Form lässt sich eine große Vielfalt zeigen und gegenseitiges Lernen fördern. 
  • Produktgeschichte: Im Beitrag wird die Produktion eines Gutes rund um den Globus thematisiert und dabei oft nach dem ökologischen Fußbadruck gefragt. So lassen sich besonders gut ökonomische Seiten der Nachhaltigkeit, etwa Produktion und Konsum, andenken.
  • Visionen & Fiktion: Hier kommen fiktionale und fiktive Elemente ins Spiel; diese Formen sind vielleicht auch deshalb etwas seltener zu finden. Ein Beispiel ist der Tagesschau-Zukunftspodcast “mal angenommen”.
  • Fiktive Gerichtsverhandlung: Sie bedarf der Schreibkunst, hat aber viele Vorteile, da Rollen zugeteilt werden wie etwa Richter, Anwältin, NGO-Vertreter oder Industriesprecherin. So kann sehr kontrovers und gleichzeitig zielgerichtet ein komplexer Stoff aufgespaltet und aus ganz verschiedenen Perspektiven dargestellt und erzählt werden. ZEIT Wissen hat es mit einer fiktiven Verhandlung zur grünen Gentechnik 2013 vorgemacht.
  • Alternative Protagonisten: Hier beginnen die Erzählelemente innerhalb der Form. Aber es spricht nichts dagegen, eine Umweltgeschichte einmal aus der Perspektive einer bedrohten Art darzustellen.
  • Stoffströme: Wer konsequent einem Stoff im Ökosystem folgt, z.B. einer Chemikalie, der ist einer organischen Dramaturgie auf der Spur, die eine ganz eigene Spannung enthält. Der Journalist Thilo Mischke hat das kürzlich mit den krebserregenden PFAS gemacht. 
  • Geld suchen: Auch Geld kann ein Stoff sein. Wer die Reporterregel „Follow the money“ beachtet, hat einen roten Faden für seine Geschichte, die so womöglich investigativ und sehr hintergründig wird, auf jeden Fall aber aufwendiger Recherchen bedarf. Im Klimafeld wäre das machbar bei CO2-Zertifikaten und deren Vergabe.

Storytelling ist im Kampf gegen den Klimawandel also kein nice-to-have Add-on, sondern ein fundamentaler Bestandteil von Wissenschaftskommunikation. Nur wer es schafft, Menschen durch die Fakten persönlich zu berühren und in ihre Lebensrealität zu sprechen, wird sie zum Umdenken und Handeln bewegen. 

Quellen



Share this article