Planet Storytelling

Planet Storytelling: Kolumbien

Kolumbien, das Land aromatischen Kaffees, lupenreiner Smaragde, Salsa-tanzender Menschen und prägender Historie. Die bekannteste aller Geschichten ist wohl die über den Drogenbaron Pablo Escobar. Wer jedoch schon einmal einen Fuß auf südamerikanisches Terrain gesetzt hat, weiß: Die tatsächliche Lage widerspricht dem, was beispielsweise die Netflix-Serie „Narcos“ überspitzt repräsentiert, auf so vielen Ebenen. Und weil diese Kartell-Story bereits einige Runden in unser aller Gedächtnis gedreht hat, teile ich drei Eindrücke, die ich während meines sechswöchigen Aufenthaltes in diesem beeindruckenden Land gesammelt habe.

Es soll in diesem „Planet Storytelling“ Blogpost um zerstörte Vogelstatuen, heilige Gebiete der Indigenen und die bedrückende Armut in entlegenen Küstengebieten gehen.

Quelle: privat

Der „Pajara de Paz“ für den Frieden in Medellín

Als ich meinem Vater schrieb, wir wären auf dem Weg nach Medellín, dem ehemaligen Dreh- und Angelpunkt von Pablo Escobars Machenschaften, war seine zynische Antwort: „Wie schön, die Kartell-Stadt.“ Und es stimmt, in unseren europäischen Köpfen herrscht noch immer das Bild einer gemeingefährlichen Metropole vor, wahrscheinlich auch bestärkt durch die Netflix-Serie „Narcos“. Als Ur-Berlinerinnen hat mir und meiner Reisebegleiterin aber das offene, moderne Stadtbild von vornherein gut gefallen – und vom Gegenteil der allgemeinen Wahrnehmung überzeugt. Während der geführten Touren durch die verschiedenen Viertel wurde uns klar, dass die wegen ihrer durchgehend milden Temperaturen genannte „Stadt des ewigen Frühlings“ seit einigen Jahren einen extremen wirtschaftlichen Aufschwung erfährt – was zu einem Teil dem steigenden Tourismus zuzuschreiben ist.

Sehr schnell erkannten wir, dass Kolumbien voller Stolz auf einen bestimmten Künstler blickt, dessen Bronze-Statuen überall auf den Plätzen und in den Straßen zu finden sind: Fernando Botero. Der Wiedererkennungswert seiner Skulpturen ist einmalig, der Bildhauer hinterfragt Volumen, spielt mit menschlichen und tierischen Proportionen, lässt Nasen riesig und Hände winzig erscheinen. Jedes seiner Werke ist einzigartig – bis auf das eines Vogels, welches an eine Tragödie erinnern soll, die sich 1995 in der Metropole abgespielt hat. 

Quelle: Destinoinfinito

Die Plaza San Antonio ist ein weitläufiger Platz in der Nähe des Stadtzentrums, regelmäßig finden hier Veranstaltungen statt. Auch dort stand eine Botero-Statue, der „Pájaro de Paz“ (Friedensvogel)“. Während eines Konzerts platzierte ein Attentäter der regierungsfeindlichen Guerilla-Truppe FARC eine Bombe unter dieser Skulptur, tötete mehr als 20 Menschen und verletzte unzählige weitere. Eine Stadt in Schockstarre, der Anschlag markiert rückblickend den Höhepunkt der Gewalttaten. Während der Räumarbeiten meldete sich Botero zu Wort und bestand darauf, den zerstörten Vogel an Ort und Stelle stehen zu lassen – in Gedenken an die Opfer des 10. Juni 1995.

Im Jahr 2000 erschuf der Bildhauer eine zweite, identische Statue als Geschenk an den südamerikanischen Frieden, die neben der demolierten Version platziert wurde. Am Fuße dieser Vögel stehen heute die Namen der Verstorbenen und der Plaza San Antonio ist fester Bestandteil jeder Stadtführung.

Von der ersten kolonialisierten Stadt zum heiligen Nationalpark: Die Karibikküste

Nach sechs Tagen Aufenthalt in der Großstadt ging es für uns weiter in Richtung Karibikküste. Rund 17 Stunden Busfahrt später erreichten wir Santa Marta, eine der bedeutendsten historischen Metropolen des Landes. 1525 erbaut, gilt sie als eine der ersten heute noch bestehenden spanischen Städte auf amerikanischem Festland.

Auch ist der Einfluss der indigenen Tairona-Bevölkerung in der gesamten Küstenregion deutlich spürbar. Körperlich fitte Reisende buchen eine viertägige Wandertour zur Ciudad Perdida, der verlorenen Stadt, welche neben Machu Picchu eine der größten wiederentdeckten präkolumbischen Städte Südamerikas ist. Und so ziemlich alle statten dem Tayrona Nationalpark einen Besuch ab.

Quelle: privat

Mehr als 30.000 Indigene leben auch heute noch auf dem Gebiet des Sierra Nevada de Santa Marta und damit um den Tayrona Park herum verteilt. Die dort lebenden Völkerstämme schreiben der Gegend eine besondere heilige Bedeutung zu und sehen ihre Aufgabe unter anderem darin, das Land ihrer Ahn:innen zu schützen, zu pflegen und zu bewahren. Auf dem Gelände selbst finden sich auch zahlreiche heilige Stätten, die weiterhin für Rituale genutzt werden. Seit einigen Jahren kollidieren diese Vorhaben allerdings mit den 250.000 jährlichen Besucher:innen des Nationalparks.

Aus diesem Grund wandten sich die Vertreter:innen der vier indigenen Völker Kogi, Arhuaco, Wiwa und Kankuamo vor acht Jahren an die kolumbianische Regierung mit der Bitte, den Tayrona Park jedes Jahr mehrere Male für Nicht-Einheimische zu schließen. Die Story dahinter: Ihrer Auffassung nach bedürfe es regelmäßig einer spirituellen Reinigung, um die Existenz von Flora und Fauna weiterhin sicherzustellen. Nach längerer Verhandlung willigte der Staat ein, im Jahr 2019 wurde das Gelände beispielsweise für einen Monat gesperrt. Seither werden auf der Webseite des Parque Tayrona folgende Schließzeiten kommuniziert:

  • rund zwei Wochen im Februar zur „Época de Kugkui shikasa“ (Zeit, in der sich die Erde erneuert)
  • rund zwei Wochen im Juni zur „Época de Saka Juso“ (Zeit, in der die Erde menstruiert)
  • Zwischen Oktober und November zur „Época de Nabbat“ (Zeit, in der die Tiere Rituale durchführen)

Auch das ist Kolumbien: Die bedrückende Armut der karibischen Wüste „La Guajira“

Die Erzählungen von zwei Backpackern führte uns spontan in die Wüste „La Guajira“, der nördlichsten Provinz Kolumbiens an der Grenze zu Venezuela . Und die Story, die wir in einer der ärmsten Gegenden der Nation erlebten, geht uns nachhaltig noch unter die Haut. Es ist eine Geschichte, die wir versuchen immer weiterzugeben.

Gegen Abend kamen wir im kleinen Cabo de la Vela, Ausgangspunkt der geführten Tour, an der Karibikküste an. Eines war hier besonders auffällig: Plastiktüten hingen in Kakteen, säumten die Straßenränder, flogen über den sandigen Untergrund, Hunde hatten Plastikteile verschluckt… hier Ordnung zu schaffen, wurde scheinbar schon vor Jahren aufgegeben. Und es gab eindeutig auch größere Probleme in dieser Gegend, wie Hunger und Wassermangel.

Quelle: Berend Leupen / Unsplash

Die Route zum nördlichsten Zipfel Südamerikas, Punta la Gallina, hätten wir allein nicht gefunden. Die Streckenabschnitte wechselten zwischen klar erkennbaren Pfaden, umzäunt von lebensgroßen Kakteen und kleinen Hügeln, und weiten, ausgetrockneten Sandflächen, auf denen verschiedene Reifenspuren in unterschiedliche Richtungen abbogen. Nach etwa 45 Minuten kam das, wovon unsere Vorgänger:innen berichtet hatten.

Zwischen den zu beiden Seiten stehenden Holzpfosten war ein Seil gespannt. Und neben dieser Schranke standen zwei Kinder, vielleicht sieben und elf Jahre alt. Als unser Jeep zum Stehen kam, kamen sie an unsere Fenster, reckten die Hände in die Höhe und baten uns um etwas zu Essen oder Geld – andernfalls dürften wir nicht weiterfahren. Glücklicherweise hatten wir entsprechend vorgesorgt: Zwei große Tüten voller Obst, Gemüse, Babynahrung, Wasserflaschen, Brot hatten wir mitgebracht. Allein auf dem Weg zu unserer Wüsten-Unterkunft mussten wir etwa vierzig solcher Halte einlegen, gaben Nahrung an Frauen oder Kinder jeden Alters heraus. Auf dem Rückweg waren es mindestens doppelt so viele Stopps, teilweise lagen diese nur etwa 20 Meter auseinander.

Es war bedrückend: Alle paar Minuten in die Lebensmittel-Tüte zu greifen und Brot in kleine Kinderhände zu drücken, während die Stimmen nach „Agua“ immer lauter wurden. Auch, wenn man den dort Lebenden ihre Waren abkauft, seien es Kakteenfrüchte oder selbstgemachte Taschen, weißt man eigentlich, dass damit nur wenig geholfen ist. Beklemmend war auch das Gefühl, als der Fahrer uns erzählte, was passiert, wenn den Mitfahrenden die Lebensmittel ausgehen: Gas geben und die Absperrungen ignorieren, die Menschen würden schon rechtzeitig aus dem Weg gehen.

Quelle: privat

La Guajira gehört zu den ärmsten Provinzen des Landes, der hier lebende indigene Stamm der Wayuu hat kaum Kontakt zur restlichen zivilen Welt – geschweige denn zu politischen Akteur:innen Kolumbiens. Wassertransporte sind leergepumpt, bevor sie die innersten Gebiete erreichen, Schulen oder Tankstellen existieren hier nicht. Dafür aber unvorstellbare Plastikmassen. Bei Erlebnissen wie diesen wurde uns einmal mehr bewusst, in welcher privilegierten Gesellschaft wir uns befinden und wie weit weg derartige Zustände doch sind, wenn niemand ihre Story erzählt.

Egal, wie viele Geschichten wir teilen, sie werden niemals spiegeln können, was für ein atemberaubendes, traditionelles und historisch geprägtes Land Kolumbien ist. Die Präsenz der indigenen Einheimischen in fast jedem Ort ist nur ein Zeichen dafür. Die Nation ist schon seit langem ein beliebtes Reiseziel, in den vergangenen Jahren zeigen sich auch die wirtschaftlichen Auswirkungen dessen: Großstädte wie Medellín florieren, wohingehen Gegenden wie La Guajira zunehmend verarmen. Aber jede ihrer Storys, ob alt oder neu, ist es wert erzählt zu werden.

Redaktion

Unser Redaktionsteam nimmt uns mit auf eine Erkundungsreise durch die Welt des Brand Storytelling und durch unseren Agenturalltag. Es appelliert an unsere Vorstellungskraft und verzaubert uns mit Zukunftsmusik. Zudem macht es sich stark für faire Themen mit Haltung.

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