175 Jahre Carl Zeiss: Eine Heldenreise von der Werkstatt bis zum Mond
Die menschlichen Sinne ermöglichen uns Reize aus der Innen- und Außenwelt aufzunehmen und zu verarbeiten – und unser Körper macht das ziemlich gut. Wie schaffen wir es dennoch Dinge wahrzunehmen, die außerhalb unserer Vorstellungskraft liegen? Aus den Augen aus dem Sinn? Nicht mit uns, denn dem Menschen sind bereits einige Ideen eingefallen, wie er diese Grenzen überschreiten kann.
So auch Carl Zeiss, dessen Name dem ein oder der anderen bestimmt schonmal ins Auge gefallen ist. Mit dem Blick auf das Feld, in welchem die Firma ZEISS sich aufhält, kommt das nicht von ungefähr, denn vom Mikroskop über Kameraobjektive bis hin zu Brillengläsern greift sie visuelle Welten allerart auf. Das ist kein Wunder, denn der Gründer Carl Zeiss hatte damals schon den Weitblick. Er hat die Art des heutigen Sehens, das seinen Ursprung im Durchsichtbaren findet, mit dem perfekten Block Glas massiv verändert. Kommt mit auf eine Heldenreise der visuellen Art, dank welcher wir heute die Welt mit anderen Augen sehen dürfen!
Die gewohnte Welt – eingebettet in die Leidenschaft für Technik
Carl Zeiss brachte schon früh Interesse für technische Dinge auf, was ihn unmittelbar zu dem Beruf des Mechanikers führte. Der Wunsch dessen trieb ihn in die Studentenstadt Jena, wo er bei Friedrich Körner, einem Professor an der Universität, eine Lehre aufnahm und in jungen Jahren die Grundlagen der Mechanik perfektionierte: Feinarbeit und Präzision. Und so kam eins zum anderen, dass der Weg des jungen Zeiss geradlinig auf ein ganz besonderes Instrument der Wissenschaft zusteuerte: das Mikroskop.
Der Ruf nach dem perfekten Glas
Mit dem Blick auf und durch dieses Gerät stachen ihm direkt vorliegende Probleme ins Auge: Die Optik ließ sich wissenschaftlich nicht berechnen, sodass jede Linse eine individuell unterschiedliche Qualität für sich aufwies. Um sein geliebtes Mikroskop zu perfektionieren, kam er an einer Revolution dieser Technik nicht vorbei. Hierfür brauchte er DAS perfekte Glas, welches im 19. Jahrhundert allerdings noch ziemlich schwer zu finden war. So machte er sich auf die Suche, ohne zu wissen, ob er je fündig werden würde.
Die Weigerung – Mut zu keiner Lücke?
Als Zeiss seine Lehre beendete, begab er sich zunächst auf Wanderschaft und ging seinem erlernten und sicheren Beruf des Mechanikers nach. Sie führte ihn nach Stuttgart, Darmstadt, Berlin und Wien, wo er sich in allerlei Werkstätten einen Namen machte. Dabei spielte ihm der Wandel zur Industrialisierung in die Karten, da seine Expertise hoch gefragt war. Um das Finden von Arbeit musste sich der junge Mann aus Weimar keine Sorgen machen. Eine Situation, an die man sich doch glatt gewöhnen könnte. Wenn da nicht noch dieses Ding mit dem Mikroskop wäre…
Mentoren mit Durchblick
Bei dem Gedanken, das Mikroskop, so wie Zeiss es in seinen Lehrjahren bei Professor Körner kennengelernt hatte, zurückzulassen, juckte es ihm dann doch ordentlich in den Fingern. So zog es ihn magnetisch zurück nach Jena, wo er 1846 seine Werkstatt für den Bau von wissenschaftlichen Apparaten eröffnete. Damals wusste er noch nicht, dass dies der Grundstein für einen Weltkonzern sein würde.
Anfangs hielt er sich mit der Fertigung von Brillengläsern über Wasser, doch durch den guten Draht zur Universität bekam er von dieser seine ersten Aufträge, um besondere Lupen aus Spiegelglas anzufertigen und – dreimal dürft ihr raten – Mikroskope zu produzieren.
Das Überschreiten der glasigen Schwelle
Nach einiger Zeit traf Carl Zeiss in der Uni Jena auf den Physiker Ernst Abbe, den er glatt für die Mitarbeit an seinen Mikroskopen gewann. Abbe gelang die exakte Berechnung der optischen Linse und stürzte sich ebenfalls voller Leidenschaft in das Unternehmen, sodass er 1877 Teilhaber dessen wurde. Durch den technologischen Fortschritt schaffte es Abbe, den erhofften Umsatz ins Haus zu bringen. So entwickelte sich die optische Manufaktur zu einem immer weiterwachsenden Wissenschaftsunternehmen.
Während der noch andauernden Suche nach DEM perfekten Glas traf Carl Zeiss auf sein vorläufig letztes Puzzleteil, den jungen Chemiker Otto Schott. Dieser hatte ein Auge für neue Glassorten und entwickelte für die optischen Instrumente von Zeiss und Abbe das wohl beste Glas dieser Zeit. Schott machte sich auf den Weg nach Jena und errichtet ein Glaslabor, welches ihnen im Kampf mit der Konkurrenz den ultimativen Vorsprung verschaffte.
Es dauerte nicht lange, bis sich ein hervorragender Ruf der Firma verbreitete – und das weltweit. Durch den Gehirnschmalz aller Beteiligten stellte Zeiss 1886 das beste Mikroskop der Welt ohne Farbfehler an der Linse vor.
Die Prüfung – ZEISS ohne Zeiss?
Als Carl Zeiss 1888 starb, stellte sich dem Unternehmen die Frage, wie es weitergehen soll. Ist der Betrieb bereit auch ohne die Expertise des ursprünglichen Gründers weiterzuleben? Es war schnell klar, dass ihr Ansatz bleiben soll: Ingenieurleistung kombiniert mit wissenschaftlicher Herangehensweise und einem Netzwerk herausragender Forscher, auch über den Tod des Gründers hinaus. Später wird sich herausstellen, dass sie etwas geschaffen hatten, was die normale menschliche Vorstellungskraft übersteigt.
Der Fall in die tiefe Höhle der Weltkriege
Trotz des engen Zusammenhalts geriet die Firma in den Sog der beiden Weltkriege und wurde für diese instrumentalisiert. Während im Ersten Weltkrieg ZEISS mit der Produktion von Ferngläsern und Entfernungsmessern für das Militär beauftragt wurde, stellte das Unternehmen im Zweiten Weltkrieg ausschließlich für die Rüstungsindustrie her.
Durch ZEISS‘ durchweg positiven Ruf wurd der Betrieb nach dem Ende des zweiten Weltkrieges zum Objekt der Begierde der Alliierten. Das Unternehmen wurde in entzweigerissen, wobei die Amerikaner ihren Anteil in ihre Besatzungszone nach Oberkochen in Baden-Württemberg umsiedelten und die Russen ihren Part Richtung Osten verlegten. ZEISS, was einmal ein Ganzes war, sollte es so nicht mehr geben.
Plot Twist? Die entscheidende Prüfung
Zwischen ZEISS-West und -Ost wuchs eine Konkurrenz, welche sich an einem ziemlich verrückten Ort bemerkbar machte: dem Weltraum. Fotografieren aus dem Weltall galt damals als sinnlos, da man dachte, dass die Erdatmosphäre keine Details erkennen lässt. Da die NASA ihre Mission aber keineswegs visuell undokumentiert lassen mochte, nahm sie für den Flug der Mercury-Atlas-Mission 1962 Kontakt zu einem Fotogeschäft in Huston auf. Dort kaufte die US-Bundesbehörde für Raumfahrt und Flugwissenschaft eine Hasselbladkamera mit einem renommierten Objektiv – von ZEISS-Ost.
Hasselblad, ein schwedischer Hersteller von digitalen Kameras, und ZEISS vertieften ihre Leidenschaft für das Visuelle und entwickelten Spezialkameras, die 1969 auf dem Mond Aufnahmen mit Kinnladen-Effekt lieferten. Für den Astronauten Ulrich Walter hat das Thema Fotografie im Weltraum eine eminente Bedeutung:
„Wenn man eine Mission zum Mond macht, die 50 Milliarden Dollar kostet, muss man das Beste vom Besten haben, sowohl was die Kamera betrifft als auch die Objektive – deswegen Hasselblad und ZEISS. Man kann viele Vorträge über die Schönheit der Erde erzählen, aber ein Bild sagt mehr als tausend Worte.“
So entstand in der Trennung ZEISS‘ dennoch etwas Weltbewegendes, denn nur durch das Objektiv konnte die gesamte Menschheit bei der ersten Mondlandung visuell dabei sein.
Der Rückweg zum Wir
Die Wiedervereinigung Deutschlands endete für ZEISS schlussendlich in einem Happy End und führte die auseinandergerissene Firma wieder zusammen. Auch wenn die Trennung Unterschiede in beiden Unternehmen hervorgebracht hatte, blieben beide dem Mikroskop treu. Dies zahlte sich aus, da bereits viele Forscher:innen weltweit auf die zeissschen Mikroskope schworen, wie der damalige Nobelpreisträger für Medizin, Robert Koch.
Heute ist die Carl Zeiss AG ein weltmarktführendes Photonik Unternehmen. Wenn man sich die Produktauswahl von ZEISS anschaut, kann es gut sein, dass einem erneut die Kinnlade herunterklappt. Was mit einer Faszination für das Mikroskop startete, entwickelte sich über die letzten 175 Jahre in zig weitere Ausprägungen der visuellen Welt fort. Fotoobjektive, astronomische Geräte, Planetarien, Messgeräte und Brillengläser fertigt der Konzern heute und bedient so von der Filmindustrie in Hollywood bis hin zu Topneurologogen in der Krebstherapie.
Zeiss‘ Motto war immer, das Unsichtbare sichtbar zu machen. Und dies findet seinen Ursprung im Durchsichtigen, dem perfekten Block Glas. Es ist das, was all diese unterschiedlichen Geschichten erzählt, die ganz kleinen unterm Mikroskop und auch die ganz großen mit Blick auf die gesamte Welt.
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