„Put aside social justice — diversity is just good science.“
Xoli Belgrave, Senior Director bei parexel
Dieser Satz von Xoli Belgrave, Senior Director bei parexel, dem weltweit zweitgrößten Auftragsforschungsinstitut, bringt es auf den Punkt: Vielfalt in der Pharmaindustrie ist nicht nur eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, sondern auch ein wesentlicher Faktor für bessere Forschungsergebnisse. Nur wenn klinische Studien zu Arzneimitteln, Diagnosen und Behandlungsansätzen die Vielfalt der Bevölkerung widerspiegeln, kann unterschiedlichen Patientengruppen geholfen werden.
Eine vielfältige Gesellschaft braucht ein Gesundheitssystem, das ihre Unterschiede versteht – und das beginnt mit den Menschen, die in der Pharmaindustrie arbeiten. Doch wie weit ist die Branche tatsächlich in Sachen Inklusion und Diversity und welche neuen Chancen für Employer Branding eröffnen sich?
Innerhalb der letzten Jahre gewannen die Themen Diversität und Inklusion an Relevanz und erfahren zunehmend öffentliche wie auch gesundheitspolitische Aufmerksamkeit. DEI steht dabei für „Diversity, Equity, and Inclusion“ – zu Deutsch: Vielfalt, Gerechtigkeit und Inklusion. Diese drei Prinzipien sind zentral, um Arbeitsumgebungen zu schaffen, die Unterschiede anerkennen und schätzen und gleichzeitig allen Menschen die gleichen Chancen bieten. Während „Diversity“ die Vielfalt in Bezug auf Geschlecht, ethnische Herkunft, sexuelle Orientierung, Fähigkeiten und viele andere Merkmale umfasst, geht es bei „Equity“ darum, gerechte Bedingungen zu schaffen, bei denen alle Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft oder ihren Lebensumständen, gleich behandelt werden. „Inclusion“ bedeutet, eine Kultur zu schaffen, in der sich jede:r willkommen, respektiert und unterstützt fühlt – egal, wer er oder sie ist.
Für die Pharmabranche hat DEI eine besonders große Bedeutung, da die Entwicklung von Medikamenten und Therapien in hohem Maße von der Vielfalt der Menschen abhängt, für die diese Medikamente entwickelt werden. Ein inklusiver und gerechter Ansatz bei klinischen Studien, Forschung und Produktentwicklung ist entscheidend, um sicherzustellen, dass die entwickelten Medikamente für alle Menschen sicher und wirksam sind. Zudem bringen diverse Teams unterschiedliche Perspektiven und Lösungsansätze ein, die die Innovationskraft eines Unternehmens erhöhen.
In einer globalisierten Welt, in der die pharmazeutische Forschung und die Gesundheitspolitik über Ländergrenzen hinweg immer mehr miteinander verknüpft sind, haben sich viele Pharmaunternehmen bereits dazu entschieden, DEI aktiv zu fördern. Diese Firmen erkennen, dass dies nicht nur die Qualität der Forschung steigert, sondern auch das Vertrauen der Patient:innen in die Produkte und das Unternehmen selbst.
Dennoch sehen sich Pharmaunternehmen, die Diversity, Equality and Inclusion fördern, in den USA teils mit Widerstand konfrontiert. Dort wurde der Biotechnologiekonzern Pfizer beispielsweise von der Organisation „Do No Harm“ verklagt, weil ein DEI-basiertes Stipendienprogramm angeblich diskriminierend war – ein Vorwurf, der letztlich gerichtlich abgewiesen wurde.
Mit der Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus gewinnen konservative Kräfte, die sich gegen Diversity-, Equity- und Inclusion-Programme aussprechen, weiter an Einfluss. Es erhöht sich aktuell der Druck auf Unternehmen und andere Organisationen, Diversity-Initiativen abzubauen. Dieses politisch aufgeheizte Klima trägt dazu bei, dass auch einige US-amerikanische Gesundheitsunternehmen den Begriff Diversity lieber vermeiden.
Während die USA vor einer möglichen politischen Neuausrichtung stehen, ist die Debatte in der deutschen Pharmaindustrie deutlich weniger ideologisch aufgeladen. Gesundheitsfirmen fördern die Unterschiedlichkeit der Teams und Mitarbeitenden, in der sie vor allem Potential und Stärke sehen. Im Vordergrund steht dabei, die bestmöglichen medizinischen Lösungen für alle zu entwickeln. Besonders das Bewusstsein für sogenannte Diversity Gaps, Lücken in der Gesundheitsversorgung, wächst tendenziell noch.
Ein Beispiel für die Notwendigkeit von Vielfalt in der Pharmabranche ist der „Gender Health Gap“, der zeigt, wie Krankheiten bei Frauen oft anders verlaufen als bei Männern und daher zu spät oder gar nicht erkannt werden. Ein Beispiel: Autoimmunkrankheiten betreffen rund 8 Prozent der Weltbevölkerung, doch 78 Prozent der Betroffenen sind Frauen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen an rheumatoider Arthritis oder Multipler Sklerose erkranken, ist drei- bis viermal höher als bei Männern. Trotzdem sind Frauen in vielen klinischen Studien noch immer unterrepräsentiert. Diese Lücke betrifft nicht nur die Geschlechterfrage, sondern auch die ethnische Herkunft, das Alter und den sozioökonomischen Status. All diese Faktoren können die Wirkung von Medikamenten beeinflussen.
Die Pharmaindustrie steht vor der Herausforderung, Diversity Gaps zu schließen und zu gewährleisten, dass Medikamente, Behandlungen und Forschungsergebnisse die Realität einer vielfältigen Gesellschaft widerspiegeln. Mitarbeitende mit unterschiedlichsten Hintergründen, Eigenschaften und Perspektiven spielen dabei eine wichtige Rolle. Sie bringen einen größeren Pool an individuellen Potenzialen und Fähigkeiten mit. Im Gegensatz zu einer eher homogenen Belegschaft können diverse Teams so besser sowohl auf vielfältige Patientenkreise als auch unterschiedlichste Anforderungen eingehen und erfolgreicher auf diese reagieren.
In der Pharmaindustrie gibt es bereits einige Unternehmen, die zeigen, wie gelebte Vielfalt und Inklusion aussehen können. Sie setzen nicht nur auf diverse Teams, sondern investieren gezielt in Programme, die eine gerechtere Forschung und bessere medizinische Versorgung für alle ermöglichen. Drei Beispiele zeigen, wie unterschiedlich diese Ansätze sein können – von globalen Konzernen bis hin zur Startup-Welt.
Das französische Gesundheitsunternehmen Sanofi gilt mit einer rund 50-prozentigen Frauenquote in der Führungsebene als Vorreiter auf dem Gebiet Diversity und Inclusion. Das Unternehmen hat erkannt, dass ein vielfältiges Führungsteam bessere Entscheidungen trifft, die das gesamte Unternehmen und seine Forschung voranbringen. Sanofi geht jedoch noch weiter: Im Oktober 2024 gab das Unternehmen eine Investition von 18 Millionen US-Dollar in drei Colleges der historisch schwarzen Communities in den USA bekannt. Ziel dieser Initiative ist es, die Diversität in klinischen Studien zu fördern und eine medizinische Forschung zu unterstützen, die der gesamten Bevölkerung zugutekommt.
Doch auch hierzulande übernehmen Unternehmen aus der Pharmabranche eine Vorbildrolle. Bayer hat bereits in den vergangenen Jahren aktiv Frauen in Führungspositionen gefördert und setzt sich für eine geschlechtergerechte Forschung ein. Bayer ist sich bewusst, dass die Pharmaindustrie eine besondere Verantwortung trägt, wenn es darum geht, unterschiedliche Perspektiven in der Forschung zu integrieren und Bias in klinischen Studien zu vermeiden.
Mit der Kampagne „Be You. Be Bayer.“ rückt der Pharmakonzern auch beim Employer Branding Vielfalt in den Vordergrund. Wie die Top 10 der größten deutschen Pharmaunternehmen auf ihren Karriereseiten Einblicke hinter ihre Kulissen ermöglichen, hat unser Storytelling-Report 2024 analysiert. Aus dem Ranking der stärksten Arbeitgebermarken ist Bayer als Spitzenreiter hervorgegangen. Besonders überzeugt der Pharmakonzern mit authentischen Geschichten von Mitarbeitenden, die die Vielfalt bei Bayer sichtbar machen. Über die Karriereseite hinaus lässt Bayer die Stimmen auch auf LinkedIn und Instagram zu Wort kommen.
Wer noch tiefer ins Thema einsteigen möchte: In unserer Podcast-Folge mit Annika Schreiber von Bayer erhält Miriam Rupp spannende Einblicke in die Erfolgsfaktoren des Employer Brandings bei Bayer.
Eine Reihe von innovativen Startups in der Healthtech-Branche setzen ebenfalls auf diversitätsorientierte Lösungen. Hier werden nicht nur die Frauen- und Geschlechtergesundheit stärker berücksichtigt, sondern auch die spezifischen Bedürfnisse von verschiedenen ethnischen Gruppen und Altersklassen. Es entstehen beispielsweise Apps zur Zykluskontrolle, spezialisierte Plattformen zur Diagnose von Autoimmunerkrankungen bei Frauen oder maßgeschneiderte Therapieansätze, die gezielt auf individuelle Bedürfnisse eingehen. Solche Lösungen sind nicht nur ein Gewinn für die Patient:innen, sondern auch ein wirtschaftlicher Erfolg, da sie neue, bisher unberücksichtigte Zielgruppen ansprechen.
Diese Beispiele verdeutlichen: Vielfalt ist in der Pharmaindustrie nicht nur ein ethisches Anliegen, sondern ein echter Wettbewerbsvorteil. Unternehmen, die auf Diversität setzen, profitieren von besseren Forschungsergebnissen, einer stärkeren Arbeitgebermarke und langfristigem wirtschaftlichem Erfolg.
Wie Storytelling bei Technologien für die Bedürfnisse von weiblich gelesenen Personen aussehen kann, haben wir gerade erst in diesem Beitrag beleuchtet: Storytelling für FemTech – Zwischen Technik und echter Verbindung
„Gerade in unserer Branche ist es wichtig, unterschiedliche Perspektiven einnehmen zu können und mit Offenheit und Empathie zu kommunizieren. Denn unsere Arbeitswelt ist in einem stetigen Wandel – um weiter authentisch, aber auch wettbewerbsfähig zu bleiben und den steigenden Anforderungen durch die Digitalisierung und gesellschaftliche Veränderungen auch in Zukunft gerecht werden zu können, ist ein bereichsübergreifendes Diversity Management unabdingbar.“
Anne-Kathrin März, Head of Human Ressources der good healthcare group
Der Wettbewerb um die besten Talente in der Pharmaindustrie ist groß – und um im Kampf um die Fachkräfte von morgen zu gewinnen, müssen Unternehmen Diversity, Equality und Inclusion als integralen Bestandteil ihrer Arbeitgebermarke klar und nachhaltig kommunizieren. Dies gilt insbesondere für die Pharma- und Gesundheitsbranche, wo Ereignisse, wie die COVID-19-Pandemie und das Aufstreben von KI, die Nachfrage nach qualifizierten Fachkräften erheblich gesteigert haben. War früher vor allem das Gehalt der ausschlaggebende Grund für die Wahl eines neuen Jobs, achten Talente heutzutage auf sogenannte softe Faktoren.
Besonders jüngeren Generationen ist es wichtig, dass Unternehmen nicht nur in der Forschung und Entwicklung Vielfalt fördern, sondern auch in der Unternehmenskultur und bei den Arbeitsbedingungen. Flexible Arbeitsmodelle, die die verschiedenen Lebensrealitäten der Mitarbeitenden berücksichtigen, eine sinnstiftende Tätigkeit und eine inklusive Unternehmenskultur sind entscheidende Faktoren, um Fachkräfte zu gewinnen und langfristig zu binden.
Firmen, die Diversity und Inklusion ernst nehmen und glaubwürdig in ihre Unternehmenskultur integrieren, haben damit nicht nur einen klaren Vorteil beim Gewinnen neuer Talente, sondern auch bei der Entwicklung innovativer Produkte und Lösungen, die die Bedürfnisse einer breiten Bevölkerungsgruppe abdecken.
Dies bedeutet unter anderem:
Mit einem Umsatz von rund 64 Mrd. Euro und rund 133.000 Beschäftigten in Deutschland (BPI Pharma-Daten 2024) ist die Pharmabranche in Deutschland ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Hierzulande wächst das Bewusstsein für Diversität und Inklusion noch, während die bisherigen Fortschritte in den USA auf dem politischen Prüfstand stehen. Doch genau hier liegt eine Chance, die Firmen hierzulande dafür nutzen können, im internationalen Vergleich attraktiver für Fachkräfte zu werden.
Deutsche Pharmaunternehmen könnten sich gezielt als Vorreiter positionieren, indem sie Vielfalt weiterhin als Innovations- und Wettbewerbsvorteil nutzen und dies auch klar nach außen kommunizieren. Langfristig könnten sich Unternehmen, die auf Diversität setzen, sowohl im globalen Wettbewerb als auch bei der Gewinnung von Talenten als zukunftsfähiger erweisen.
Eine starke Arbeitgebermarke macht die Unternehmenskultur nach außen sichtbar – etwa durch Geschichten, wie diverse Teams innovative Lösungen entwickeln, die auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Patient:innen zugeschnitten sind. Unternehmen sichern sich Glaubwürdigkeit, indem sie Verantwortung in der Gesundheitsversorgung übernehmen und ihre Kommunikation an nachhaltigen Strategien ausrichten. Das erhöht das Vertrauen von Mitarbeitenden, Patient:innen und der Öffentlichkeit langfristig.
In einer Branche, die stark von wissenschaftlicher Forschung und internationaler Zusammenarbeit lebt, ist Diversität ein wichtiger Schlüssel für nachhaltigen Erfolg.
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Der Beitrag erschien zuerst in der Februar-Ausgabe des PM-Report
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