Lifestyle & Gesundheit

Storytelling für FemTech: Zwischen Technik und echter Verbindung

Könnt ihr euch noch an den Mega-Fail der Pinky Gloves erinnern? Die Einweghandschuhe waren quasi Mansplaining als Realsatire und eine völlige Fehlkonzeption. Zusätzlich zu der misslungenen Schöpfung kam jedoch noch eine unglückliche Kommunikation hinzu. Die Gründer, die sich selbst als Frauenversteher sahen, hatten sicher keine bösen Absichten im Sinn, doch verstanden sie den Kern eines FemTech-Unternehmens schlicht nicht. Wie es richtig funktioniert, Produkte und Dienstleistungen für Frauen zu konzipieren und welche Rolle dabei Storytelling spielt, gucken wir uns deshalb einmal genauer an

Moment… Fem-was?

Die Bezeichnung FemTech beschreibt Unternehmen, deren Technologien für die Bedürfnisse von weiblich gelesenen Personen entwickelt werden. Dazu gehören primär Angebote aus dem Gesundheitswesen zu den Themen Menstruation, Schwangerschaft und Wechseljahre, aber auch Wellness, Fertilität oder sexuelles Wohlbefinden werden bedacht. Die noch junge Branche macht vor allem auf die historische und systematische Ausgrenzung der weiblichen Bedürfnisse aufmerksam, zeigt Forschungslücken auf und stärkt ihre Zielgruppe, den eigenen Körper mit all seinen Facetten anzunehmen. Ein Blick auf drei Female Technology Firmen zeigt, wie innovative Erfindungen für Frauen aussehen können.

 Jede Frau ist individuell – FemTech berücksichtigt Vielfalt! | Foto von Anna Shvets auf pexels.de

Menstruation, Masturbation und ein Mammakarzinom

The Female Company ist wahrscheinlich den meisten menstruierenden Personen ein Begriff. Mit ihrer Vision, zu einer Welt ohne Tabus um den weiblichen Körper beizutragen, vertreibt die Brand Bio-Periodenprodukte, deren Baumwolle frei von schädlichen Stoffen ist und zusammen mit Gynäkolog:innen und Hebammen entwickelt wurden. In ihrer Kommunikation setzen die Gründerinnen Anni und Sinja auf eine klare Sprache ohne Umschreibungen, Beschönigungen oder Auslassungen. Oder wie sie es sagen:

Hersteller müssen auf der Verpackung nicht angeben, welche Inhaltsstoffe in ihren Tampons stecken. Wir wollen wissen, was (wortwörtlich) in uns steckt und das Tabu brechen! Schluss mit blauen Flüssigkeiten, „Mumus“ und „Erdbeerwochen“.

The Female Company

Doch nicht nur die Monatsblutung war bislang ein Tabuthema. Auch die weibliche Lust wurde über Jahrhunderte hinweg unterdrückt, mit Scham behaftet und ignoriert. Als Julie Lepique 2018 schließlich bemerkte, dass Adult Content bis dahin immer nur von Männern für Männer konzipiert wurde, kam ihr eine Idee – mit erotischen Audio-Stories wollte sie die Perspektive verändern. Also gründete sie femtasy und stellt mit der Mission Liberating Pleasure das Verlangen von Frauen in den Mittelpunkt.

Wir haben Porno hinterfragt, weil er uns nicht angemacht hat. Erotik neu definiert, weil sie uns zu spießig war. Und femtasy gegründet, weil es an der Zeit war, dass sich etwas ändert.

femtasy

Insbesondere die Gesundheit des weiblichen Körpers rückt für Mediziner:innen und Unternehmen immer stärker in den Fokus. Einschneidende Erkrankungen, wie Krebsdiagnosen sind für viele Betroffene oft mit Überforderung und Vereinsamung verbunden. Denn welche außenstehende Person kann schon nachempfinden, wie es der Leidtragenden gerade geht? Mit der App Brea verfolgen die Gründer:innen deshalb eine ganz besondere Mission: Brustkrebs-Patient:innen eine ganzheitliche und nachhaltige Unterstützung auf ihrem Weg durch die Therapie und darüber hinaus zu bieten.

Gründerin Jessica erkrankte 2018 selbst an einem Mammakarzinom und weiß um die damit verbundenen Herausforderungen. Ihr Partner und Mitbegründer Daniel begleitete sie in dieser Zeit und lässt seine Erfahrungen aus Angehörigensicht in die App einfließen. Das Trio wird durch Sahra komplettiert, die als gute Freundin ebenfalls den ganzen Verlauf der Krankheit aus nächster Nähe miterlebt hat. Ihre gemeinsame Botschaft: Du bist nicht allein!

 Vorsorge und frühzeitige Erkennung retten Leben. | Foto von Anna Tarazevich auf pexels.de

Aber was hat das jetzt Storytelling zu tun?

Kommen wir noch einmal zurück zu dem missglückten Experiment Pinky Gloves: Schlimmer als das  eigentliche Produkt – die pinkfarbenen Einweghandschuhe mit Klettverschluss – waren die Kernbotschaften, die sie damit menstruierenden Personen vermittelten. Denn was sagt ein Slogan wie „hygienisch und diskret entsorgen“ aus? Du bist unrein, wenn du deine Periode hast. Du musst dich schämen. Du bist nicht ok. Du musst dich verstecken. So richtig überraschend war der Misserfolg daher nicht. Die Gründer übersahen die wahren Anliegen ihrer potenziellen Käuferinnen.

Die vorgestellten drei Unternehmen haben alle etwas gemein: Sie sprechen die Wachstumsbedürfnisse ihrer Zielgruppen an. The Female Company verkauft Periodenunterwäsche, doch steht diese nicht im Mittelpunkt ihres Handelns. Stattdessen tritt das FemTech für die Enttabuisierung von Menstruation und Frauengesundheit ein. Durch eine klare Kommunikation, Aufklärung und authentische Erzählungen befähigt es seine Kundinnen dazu, sich gegen veraltete gesellschaftliche Stigmata durchzusetzen. In Kampagnen wie „The Tampon Book“ macht es auf die existierenden Missstände aufmerksam und spricht die ureigenen Wünsche des weiblichen Publikums an, in einer Welt mit hohen moralischen Werten leben zu wollen und Unwahrheiten aufzudecken.

Wer glaubt, dass die Audios von femtasy einfach nur erotische Hörspiele für Frauen sind, der glaubt auch, dass New Adult und Dark Romance Literaturpornos für Teenager sind. Denn was sich eigentlich hinter den knisternden Aufnahmen befindet, ist der Wunsch, das Leben in all seiner Komplexität sowie Vielfalt zu erleben und Vorurteile abzubauen. In der Rolle der Mentorin befähigt das Unternehmen seine Hörer:innen dazu, die feminine Sexualität endlich frei, selbstbestimmt und ohne Scham auszuleben. Indem es die Mythen rund um den weiblichen Körper zerschlägt und einen Safe Space für die unterschiedlichen Vorlieben schafft, schickt es seine Zielgruppe spielerisch auf eine Reise der Selbstentdeckung. Dadurch spricht femtasy das Wachstumsbedürfnis an, ästhetisches Vergnügen zu erleben und zu kreieren.

An Brustkrebs zu erkranken, ist wohl kaum eine schöne Story, doch die Gründer:innen der Brea App erzählen sie trotzdem und zeigen sich damit zutiefst persönlich. Diese Echtheit macht sie zu einem empathischen und authentischen Begleiter für Menschen in solch herausfordernden Zeiten. Indem sie Fakten rund um die verschiedenen Therapien sowie Behandlungsformen leicht zugänglich und übersichtlich in der App aufbereiten, erfüllen sie den inhärenten Wunsch nach Einfachheit – die Zusammenhänge hinter den Dingen zu verstehen. In der Rolle des Mentors gibt die App Mut und zeigt Patient:innen auch die kleinen Fortschritte auf, die es braucht, um mit der Herausforderung umgehen zu können. Mehr noch: Sie hilft den Nutzer:innen dabei, wieder ein Stück Kontrolle über ihr aus dem Gleichgewicht geratenes Leben zu erlangen.

Recap: Was gutes Storytelling konkret ausmacht

FemTech Unternehmen setzen bei ihrem Storytelling also auf ihr Publikum. Sie haben längst verstanden, dass Frauen keine Ritter in glänzender Rüstung brauchen, die sie retten. Deshalb stellen sie ihre Zielgruppe selbst als Heldinnen ihrer ganz individuellen Geschichten in den Mittelpunkt. In der Rolle der Mentor:innen begleiten, erkennen und fördern sie die Bedürfnisse ihrer Protagonistinnen nach Selbstverwirklichung und schaffen so eine echte Basis für Vertrauen in das jeweilige Produkt.

Dabei sind vor allem die folgenden Kriterien entscheidend:

Tabus brechen statt Klischees festigen

FemTech bewegt sich oft in Bereichen, die lange stigmatisiert wurden. Gutes Storytelling nimmt diese Themen aus der Schamzone und macht sie offen, ehrlich und selbstverständlich. Deshalb setzt es voraus, dass die wahren Bedürfnisse der Zielgruppen erkannt und nicht irgendwelche Klischees bedient werden. Frauen und weiblich gelesene Personen möchten sich verstanden fühlen. Echte Geschichten können gezielt genutzt werden, um bestehende Stigmata zu benennen und eine offene Diskussion zu fördern. Das oben gezeigte Video von The Female Company ist ein Paradebeispiel für Tabu-Breaking-Storytelling und zeigt, dass es keiner ausgedachten Handlungen bedarf. Reale Herausforderungen für nicht privilegierte Menschen finden sich unserer Gesellschaft schließlich nach wie vor genügend.

Wissen empathisch vermitteln

Viele Produkte und Dienstleistungen im FemTech Bereich basieren auf wissenschaftlichen Daten und Fakten. Storytelling kann dazu genutzt werden, die gewonnenen Erkenntnisse greifbar und lebensnah zu vermitteln, ohne in unnötig komplizierten Fachjargon abzudriften. Schließlich sollen die Menschen hinter den Zahlen, Produkten oder Technologien sichtbar werden. Statt klinisch-abstrakter Sprache können Metaphern und Alltagssituationen helfen, um komplexe Themen leichter verständlich zu machen. In der Sprache geht es um Klarheit und Wärme, weshalb es zum Beispiel wenig ansprechend ist, wenn von „Hormonfluktuationen, die die kognitive Leistungsfähigkeit beeinflussen“ gesprochen wird. Menstruierende Personen können sich jedoch deutlich stärker mit einer Aussage identifizieren, wenn ihnen erklärt wird, dass „in ihrer Zyklusmitte das Gehirn wie ein Hochleistungscomputer läuft und diese Zeit damit perfekt für kreative Projekte“ ist.

Purpose-getrieben und Empowering

Werte wie Nachhaltigkeit, Inklusion, Diversität und Female Empowerment sind zentrale Bestandteile vieler FemTech Unternehmen. Doch sie dürfen nicht nur behauptet, sondern müssen auch konkret gelebt werden. Deshalb muss das Storytelling alle Personen, die von der Technologie profitieren – unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder Körperform – mitbedenken und ansprechen. Femtasy nutzt beispielsweise diverse Stimmen, um Lust ohne Klischees oder Scham erlebbar zu machen. Sie zeigen auf ihrer Website Geschichten, die den Slogan „Deine Fantasie, deine Regeln“ greifbar machen und sowohl weibliche als auch männliche und nonbinäre Personen ermutigen, ihre Wünsche selbstbewusst zu entdecken.

FemTech ist weit mehr als Produkte und Dienstleistungen für Frauen bereitzustellen. Die Branche entwickelt sich zu einem vielversprechenden Markt und hinterfragt durch gutes Storytelling die gesellschaftlichen Normen. Mit Empathie, Authentizität und Mut gehen die Gründer:innen dabei zwar ganz individuelle Wege, doch verfolgen sie alle dasselbe Ziel: die Lebensqualität ihrer Zielgruppe zu verbessern und endlich die weiblichen Bedürfnisse in den Mittelpunkt zu rücken.

Auch Brands fordern immer wieder den Status quo heraus. Der Kosmetikkonzern Dove hat mit seiner Real Beauty Kampagne die Schönheitsideale einer ganzen Industrie hinterfragt. Wenn ihr mehr darüber lesen wollt, empfehle ich euch das Storytelling Close-Up von Dove.

Michaela Bönsch

Michaela sucht immer neue Geschichten. Inspiriert durch den passenden Soundtrack im Ohr, sind ihrer Kreativität keine Grenzen gesetzt.

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