Truthiness und die Rolle von Storytelling in einer postfaktischen Welt
„Als ich die Wahrheit erfuhr, erstarrte ich. Wie in einem Daumenkino schossen mir Bilder durch den Kopf, die alles wiederlegen. Es fühlt sich nicht richtig an.“ – Eine solche Konversation lässt in vielen Beziehungen das Herz in die Hose rutschen. Was hat die Wahrheit für eine Bedeutung, wenn das Miteinander auf dem Spiel steht? Dieses Phänomen ist übertragbar auf die Beziehung zwischen den Medien und der Gesellschaft. Wie mit einem Partner, basiert gegenseitiges Vertrauen vor allem auf Glaubwürdigkeit. Doch wenn in einer öffentlichen Debatte Fakten zur Ansichtssache werden und Gefühle Meinungen bilden, besteht eine Gefahr für die Demokratie. Im „postfaktischen Zeitalter“ wird Wahrheit durch „Truthiness“ bedroht. Der Begriff des amerikanischen Satirikers Stephen Colbert bezieht sich auf das Gefühl, dass etwas wahr ist, ungeachtet von faktischer Unterstützung. Das Phänomen fördert die Verbreitung von Fake News, polarisiert und antagonisiert. Auf den Medientagen 2018 stellte sich Åsa Wilkforss, Professorin für theoretische Philosophie an der Universität Stockholm, die Frage, wie eine ausgeglichene Meinungsbildung funktionieren kann.
Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt: Filterblasen und kognitive Dissonanz
Wo mein eigener Social Media Feed gefüllt wird von Informationsquellen wie New York Times, The Guardian, N-TV und Al Jazeera, so rühmen sich andere mit Breitbart News oder aber „alternativen News Quellen“. Der Clue: Niemand sieht die Meinungen des Anderen, ohne sie aktiv aufzusuchen. Wir umgeben uns mit den Nachrichten, die wir hören wollen und entwickeln Mechanismen, um andere Meinungen abzuwehren. Doch in der kreativen Welt der Wahrheitsverschleierung und -ablehnung, unterscheidet Åsa Wilkforss verschiedene Tendenzen.
Wahrheitsverzerrung (Truth Bias): Dieses Verhalten bezieht sich auf die Annahme, dass derjenige die Wahrheit erzählt, der mir persönlich am nächsten steht. Oft führt diese Tendenz zur Verurteilung von bestimmten Medien, wie zum Beispiel CNN gegenüber von Trump-Unterstützern. „Die Lügenpresse“ sage generell nie die Wahrheit, wenn es um ihren Reality-TV Star geht.
Wahrheitsillusion (Truth Illusion): Dieses Phänomen bezeichnet den Glauben an eine Information, wenn sie nur oft genug wiederholt wird. Obwohl beispielsweise schon längst bewiesen wurde, dass US-Präsident Obama in den USA geboren wurde, fordern immer noch tausende Bürger seine Geburtsurkunde ein. „Ich habe mal gehört, dass…“ wird zum Gefühl der „Truthiness“.
Bullshitting:Wer sagt, was er gerade denkt, und dem die Wahrheit dabei gleichgültig ist, bullshitted. Diese Kommunikation ist nicht zu unterschätzen, da sie nicht auf Fakten basiert. Sie ist genauso gefährlich wie alle Arten und Weisen, Fakten zu untermauern. „Klimawandel ist ein Schwindel, orchestriert von den Chinesen“, „Pakistan tut nichts für uns“ und „Flüchtlingsinvasionen“, sind Lügen des US-Präsidenten, die nicht auf Fakten basieren. Rationales Faktendenken rückt immer mehr in den Hintergrund und wird ersetzt durch Intuition. Solange diese allerdings nicht von einem Experten kommt, wie zum Beispiel einem Aktienspekulanten, hat diese keinen Wert. Ganz im Gegenteil.
Bei all diesen bunten Verschleierungstechniken wird klar, dass Wahrheit letztendlich nicht das Ziel ist. Doch welche Motive gibt es? Mögliche Gründe sind unter anderem:
- Schutz seiner Weltsicht
- Eigeninteressen
- Schutz des sozialen Status oder der Identität
- Ängste und Phobien
- Politisch motiviertes Denken
In Übereinstimmung mit seinen Sichtweisen zu denken, hat einen starken Einfluss darauf, wie Beweise gewichtet, Diagramme gelesen und Experten beurteilt werden. Dadurch wird ein Hauch Verschwörungstheorie zu jeder gegensätzlichen Aussage hinzugefügt. Doch nicht nur Politiker greifen zu diesen Techniken, um ein bestimmtes Ziel zu verfolgen, oder eine Agenda zu setzen. Auch in unseren Beziehungen zu anderen Menschen greifen wir oft zu Ausreden, wenn wir mit gegensätzlichen Ansichten konfrontiert werden, oder unsere Fehler nicht zugeben wollen. Der unwohle Gefühlszustand (kognitive Dissonanz), der entsteht, wenn u.a. Informationen und Meinungen im Konflikt mit der eigenen Wahrnehmung stehen, wird oft um jeden Preis vermieden.
Ärger im Garten Eden: Die Beziehung zwischen Medien und Gesellschaft
Niemand hatte die Absicht, eine Mauer zwischen Mensch und Medien zu bauen. Besonders für faktenorientierte Menschen ist es weiterhin schwer, die Ursache dessen überhaupt zu begreifen. Die Tatsache, dass es Leute gibt, die wissenschaftliche Erkenntnisse wie den Klimawandel und andere Tatsachen nicht akzeptieren, macht viele wütend – hier muss man nur einen Blick auf Kommentare in den sozialen Medien werfen. Genauso ist es für „truthy people“ unverständlich, wie man den „Schwindel der Eliten“ einfach hinnehmen könne. Dies ist nur einer der Gründe, warum viele Menschen das Vertrauen in die Medien verlieren – besonders in einer Zeit, in der Medien und Menschen immer subjektiver werden.
Welche Rolle haben Public Relations und Storytelling in der Debatte?
Genau wie in einer Beziehung, ist es oft nicht ausschlaggebend, wer Recht hat. Eine gesunde Beziehung zu pflegen, sollte wichtiger sein, als das eigene Ego. Obwohl es absolut notwendig ist, Fakten zu checken, um bei der Wahrheit zu bleiben, ist der Weg von höchster Bedeutung. Jemanden mit Fakten zu bombardieren, um Unrecht zu beweisen, wird oft als Angriff verstanden, als feindlich wahrgenommen und verstärkt die Wut auf den Gegenüber. Wenn die Debatte zum Schlachtfeld wird, ist verbrannte Erde die Folge.
„Nobody’s ever been convinced by being made to feel stupid.“
– Abe Streep, Journalist
Wie der Name schon sagt, ist Public Relations Beziehungsarbeit – und diese Beziehung braucht viel Arbeit. Durch Storytelling ist es weiterhin möglich, beide Seiten abzuholen und einen Diskurs auf Vertrauensbasis zu schaffen. Denn, seine eigene Geschichte zu erzählen und denen des Gegenübers zuzuhören, um wirklich zu verstehen, woher bestimmte Ansichten kommen, ist ein Zeichen von gegenseitigem Respekt. Dadurch kann festgestellt werden, welche Werte beide Seiten verbinden und verstehen, was die Menschen wirklich bewegt. Bevölkerungsgruppen als Zielgruppen mit Ängsten und Wachstumsbedürfnissen zu analysieren, bringt mehr Menschlichkeit in die Debatte und niemand wird auf Grund ihrer Ansichten diskriminiert. Darauf basierend, ist es vielleicht möglich, eine Roadmap zur Versöhnung zu gestalten.
„Ich wusste nicht, wie ich es dir sagen sollte, ohne dich zu verletzen. Können wir reden?“
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