Auf der Suche nach dem Perfect Match – Der 16-Personalities Test im Bewerbungsverfahren
Wie würde man hier antworten, wenn das Ergebnis entscheidet, ob man den Job bekommt? Kandidat:innen können aus Abstufungen von starker Ablehnung bis starker Zustimmung frei wählen. Doch spätestens bei Aussagen wie „Am Ende erledigen Sie häufig alles auf den letzten Drücker“ oder „Bei Meinungsverschiedenheiten ist es Ihnen wichtiger, Ihren Standpunkt zu beweisen, als auf die Gefühle anderer Rücksicht zu nehmen“, spielt das Konzept der sozialen Erwünschtheit bei unserer Antwort eine Rolle, ob bewusst oder unbewusst. Wer gibt schon gerne zu, sich aus Teamaktivitäten lieber herauszuhalten oder ein Chaot am Arbeitsplatz zu sein?
Die Antworten auf den Fragebogen sollen offenbaren, was für ein Mensch man ist. Machen wir uns nichts vor: Persönlichkeit und Charakter spielen im Job eine große Rolle. Neben aufgehübschten Lebensläufen und fachlichen Qualifikationen gewinnt auch der zwischenmenschliche Fit, beim Entscheidungsprozess weiter an Bedeutung. Immer mehr Unternehmen verstehen, dass sich eine wissenschaftlich neutrale Perspektive lohnt, um unter den Anwerber:innen ihr Perfect Match zu finden. Laut einer Prognose soll der globale Markt für Persönlichkeitsbewertung von 7,4 Milliarden Dollar im Jahr 2021 auf 16,5 Milliarden Dollar im Jahr 2028 wachsen. Das ist durchaus sinnvoll, denn eine gute Teamdynamik macht Mitarbeitende nachweislich glücklicher am Arbeitsplatz!
Persönlichkeitstests wie die Einteilung nach dem oben erwähnten Myers-Briggs-Typenindikator (MBTI) erfreuen sich hierbei immer größerer Beliebtheit. Bekannter unter dem Namen „16-Personalities Test“ werden Menschen in charmant klingende Kategorien wie „Der Protagonist“ oder „Der Verteidiger“ eingeteilt und sind oft verblüfft über die akkurate Beschreibung, die sie erhalten. Aber Achtung: Ihr Einsatz ist nicht ganz unumstritten – mehr dazu später.
Architekt, Advokat oder Aktivist: Was ist der 16-Personalities Test?
Der 16-Personalities Test basiert auf der Theorie von Carl Gustav Jung, die später von Isabel Briggs Myers und ihrer Mutter Katharine Cook Briggs weiterentwickelt wurde. Anhand des Fragebogens werden Menschen in 16 verschiedene Persönlichkeitstypen kategorisiert, die auf vier Dichotomien fußen:
Insgesamt lassen sich aus diesen Buchstaben 16 Persönlichkeitstypen zusammensetzen, die mit eindrucksvollem Titel und detaillierter Charakterbeschreibung daherkommen. Kurz gesagt: Man ist entweder der charmante Träumer (INFP) oder der methodische Denker (ISTJ). Ich bin übrigens ein ENTJ oder auch Kommandeur – laut Myers-Briggs ein einfallsreicher und willensstarker Anführer, der immer einen Weg findet.
Von Freigeistern und Zahlenverstehern: Warum der 16-Personalities Test in Bewerbungsprozessen eingesetzt wird
Die Persönlichkeitstypen sind nicht nur als nettes Gimmick für eine Party geeignet, sondern können auch im beruflichen Kontext hilfreich sein. Denn wie jemand arbeitet, hat viel damit zu tun, wie die Person gestrickt ist. Sucht die Kandidatin bei Schwierigkeiten schnell Hilfe oder beißt sie sich allein durch? Tauscht sich der Anwärter lieber im großen Team regelmäßig aus oder arbeitet er still vor sich hin? Kann der potenzielle Mitarbeitende kleinteilige Anweisungen genau befolgen und umsetzen oder denkt er eher kreativ und sucht neue Lösungsansätze?
Wer etwas von Persönlichkeitsmerkmalen versteht, kann besser einschätzen, was seine Mitmenschen motiviert und welche Situationen sie herausfordern. Diese Bewertungen fließen auch in Bewerbungsprozessen ein – ob bewusst oder unbewusst. Mithilfe des MBTI können Arbeitgeber:innen die Persönlichkeit der Kandidat:innen besser verstehen und evaluieren, ob sie zur Jobbeschreibung passen. Zum Beispiel benötigen Salesmanager ein eher extrovertiertes Wesen mit selbstbewusstem Auftreten, während Pflegekräfte Empathie und Fürsorge mitbringen sollten.
Ein weiterer Vorteil liegt in der Verbesserung der Teamdynamik. Der Test ermöglicht es, potenzielle Mitarbeitende zu identifizieren, die nicht nur über die notwendigen fachlichen Qualifikationen verfügen, sondern sich gut in bestehende Teams integrieren können und die vorhandene Unternehmenskultur unterstützen.
Ein Werkzeug, kein Wundermittel: Kritik und Herausforderungen
Seit langem bemühen sich Führungskräfte darum, die verschiedenen Persönlichkeitsstrukturen ihrer Mitarbeitenden zu verstehen. Klingt gut, oder? Das Interesse an Wesen und Arbeitsweisen der Kolleg:innen ist grundsätzlich sinnvoll, doch da fangen bereits die Probleme mit Persönlichkeitsanalysen an.
Denken wir zurück an die Fragen zu Beginn des Beitrags. Natürlich möchte man beim Kennenlerngespräch einen guten Eindruck hinterlassen – sich von der besten Seite zeigen. Da liegt es auf der Hand, dass Bewerber:innen in Interviewsituationen nicht immer authentisch antworten. Das kann zu verzerrten (und schlimmstenfalls unbrauchbaren) Ergebnissen führen.
Nicht nur deshalb bemängeln Psycholog:innen die wissenschaftliche Validität des MBTI. Der Test nicht ausreichend empirisch untermauert und gebe daher keine verlässlichen Aussagen über die wirkliche Persönlichkeit der Kandidat:innen (selbst wenn diese auch die unangenehmen Fragen ehrlich beantworten). Zudem gibt es ethische Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes und der Gefahr einer möglichen Diskriminierung aufgrund der Testergebnisse.
Fragebögen, wie sie bei Myers-Briggs zum Einsatz kommen, zeigen lediglich Momentaufnahmen. Persönlichkeiten sind dynamisch. Menschen ändern sich mit der Zeit, und starr festgelegte Kategorien können diese Entwicklung nicht abbilden. Junge Berufseinsteiger:innen mit 20 haben andere Prioritäten als Mitarbeiter:innen in ihren Fünfzigern. Man denkt, handelt und entscheidet anders. Und vor allem verändert man sich durch Herausforderungen. Bewerber:innen die nicht perfekt in eine Kategorie passen, haben vielleicht das Potenzial, sich weiterzuentwickeln und über sich hinauszuwachsen. Wer hier frühzeitig aussiebt, lässt sich möglicherweise wertvolle Talente entgehen.
Es ist also Vorsicht geboten! Die Gefahr ist hoch, dass Arbeitgeber:innen den Testergebnissen eine zu hohe Bedeutung beimessen. Sie sollten lediglich ergänzend im Bewerbungsprozess eingesetzt werden – wenn überhaupt. Solltensich Unternehmen dennoch dazu entscheiden, einen Persönlichkeitstest in das Auswahlverfahren zu integrieren, gilt es einige Tipps zu beherzigen:
Best Practices für Unternehmen
Richtiger Zeitpunkt: Um aussagekräftige Ergebnisse zu liefern und den Prozess nicht zu früh zu beeinflussen, wird der Test zu einem späteren Zeitpunkt im Bewerbungsverfahren eingesetzt. Kandidat:innen sollten ihn keinesfalls vor dem ersten persönlichen Gespräch ausfüllen oder gar an die Bewerbung beifügen.
Kombination mit anderen Methoden: Der Test funktioniert am besten in Kombination mit anderen Bewertungsmethoden, um ein umfassendes Bild der Kandidat:innen zu erhalten.
Schulung des HR-Teams: Es ist wichtig, dass HR-Mitarbeitende geschult werden, um die Testergebnisse korrekt zu interpretieren und sinnvoll in den Bewerbungsprozess zu integrieren. Antworten können Grundlage für weiterführende Fragen sein und dürfen nicht isoliert betrachtet werden.
Erfolgsfaktor Bauchgefühl
Die Technologie schläft nicht und Persönlichkeitstests werden immer raffinierter. Richtig angewandt kann auch der Myers-Briggs-Test als ein Tool von vielen im Bewerbungsprozess eingesetzt werden. Er bietet wertvolle Einblicke für Arbeitgeber:innen wie auch Bewerber:innen und kann dazu beitragen, die bestmöglichen Matches zu finden – Menschenkenntnis und das gute alte Bauchgefühl ersetzt er jedoch nicht!
Vielleicht wird es in Zukunft leichter sein, Menschen zu „lesen“. Noch ist dem aber nicht so. Führungskräfte, die eine positive Arbeitskultur schaffen wollen, sollten sich gerade beim Bewerbungsprozess nicht (ausschließlich) auf Persönlichkeitstests verlassen, die Menschen in eine von 16 Schubladen stecken. Es gibt Alternativen zu den Algorithmen, um festzustellen, ob jemand ins Team passt.
Wie ein erfolgreiches Recruiting auch ganz ohne Test funktionieren kann, haben wir in unseren Blogbeiträgen Storylistening in Bewerbungsgesprächen und Storytelling im Bewerbungsprozess zusammengetragen.
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25. November 2024